whatnext zu digitale Gesundheit: „Eine Transformation kostet immer Geld, Nerven und Zeit“

Alice Greschkow, Dr. med. Markus Leyck Dieken, Chris Berger, Dr. med. Amin-Farid Aly, Mina Luetkens und Maximilian Funke-Kaiser | Foto: Tobias Koch
Matthias David Mieves, Alice Greschkow, Dr. med. Markus Leyck Dieken, Chris Berger, Dr. med. Amin-Farid Aly, Mina Luetkens und Maximilian Funke-Kaiser | Foto: Tobias Koch
Veröffentlicht am 25.03.2022

Von Susanne Stracke-Neumann

Den vorletzten Platz gab es 2018 für Deutschland bei der #SmartHealthSystems Studie der Bertelsmann Stiftung, die 17 Länder der EU und der OECD bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems verglich. Damit sich das ändert, hat die Digitalisierung im Gesundheitswesen Fahrt aufgenommen. Wo werden wir bis 2025 sein? Wie weit werden dann die Einführung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGAs), die elektronische Patientenakte (ePA) und das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) umgesetzt sein?

Denn das scheint der Knackpunkt bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens zu sein, die Vereinbarkeit der verschiedenen Vorstellungen von Datenschutz, Interoperabilität, Praxistauglichkeit und Finanzierung. Das zeigte die Diskussion bei „whatnext – Der young+restless Breakfastclub“ in der Telefónica Digital Lounge deutlich.

Für das Kommunikationsunternehmen Telefónica Deutschland mit seinen 46 Millionen Kunden stehe die Digitalisierung des Gesundheitswesens zwar nicht an erster Stelle, sondern die Infrastruktur, „aber als Bürger und Patient sind wir doch alle davon betroffen“, meinte Philippe Gröschel, Head of Government Relations, zur Begrüßung, das nun nach zwei Pandemiejahren endlich wieder zur Geltung komme. Allerdings würden die vielfältigen Digital Lounge und BASECAMP Veranstaltungen auch weiterhin online angeboten.

Philippe Gröschel, Matthias David Mieves, Alice Greschkow | Foto: Tobias Koch

Moderatorin Alice Greschkow erinnerte daran, dass im BASECAMP schon vor Corona über E-Rezepte und ein digitales Gesundheitssystem diskutiert wurde. Die Pandemie habe eindrücklich vor Augen geführt, wie viele Defizite noch zu beheben sind. Wie gesundheitsorientierte Apps direkt helfen können, hat Amin-Farid Aly vom Dezernat Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung der Bundesärztekammer (BÄK) als Impfarzt gerade ausprobieren können, nämlich mit einer Übersetzungs-App. „Wir müssen uns als Mediziner mit so etwas vertraut machen“, war sein Appell an seine Kolleginnen und Kollegen. Dass sich auch Patient:innen für mehr Einblick in und mehr Einfluss auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen stark machen, zeigte Mina Luetkens, Physikerin und Gründerin von Patients4Digital.

Nur eine halbe Seite habe es im Koalitionsvertrag der Ampel zum digitalen Gesundheitssystem gegeben, sagte Greschkow an den online zugeschalteten Bundestagsabgeordneten Maximilian Funke-Kaiser, digitalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, der ebenso wie sein anwesender SPD-Kollege Matthias David Mieves sowohl im Ausschuss für Gesundheit und in dem für Digitales sitzt. Ein positives Zeichen? Funke-Kaiser, der sich als Digitalpolitiker im Gesundheitsausschuss begreift, nannte die halbe Seite „vielversprechend“. In früheren Koalitionsverträgen sei dies gar kein Thema gewesen. Man wolle aus den Fehlern der vergangenen Jahre lernen, habe in den ersten 100 Tagen schon manches auf den Weg gebracht und leiste ein „klares Bekenntnis zum Roll-Out“ für die elektronischen Patientenakte, die Telemedizin und die telematische Struktur. Die Gesundheitsforschung solle künftig in einem Dateninstitut mit all dem Wissen von Ärzten, Krankenkassen, Krankenhäusern zusammengebracht werden. „Disruptive Veränderungen brauchen Leitung“, damit das Zusammenspiel funktioniere.

Matthias David Mieves MdB SPD-Bundestagsfraktion, Mitglied in den Ausschüssen für Gesundheit und Digitales | Foto: Tobias Koch

Für Mieves muss in diesem ganzen Digitalisierungsprozess deutlicher herausgearbeitet werden, dass dies dem Vorteil von Patient:innen und der Entlastung der Beschäftigten im Gesundheitswesen dienen soll, auch um der Prävention einen viel größeren Raum geben zu können. Nicht alles, was bisher im Gesundheitsministerium unter dem früheren Minister eingeführt wurde, sei schlecht gewesen, aber das Vorgehen vielleicht „etwas brachial“.

„Eine Transformation kostet immer Geld, Nerven und Zeit“, so Mieves.

Das Geld werde bereitgestellt, die Geschwindigkeit könne „nicht mit der Brechstange“ erhöht werden. „Wir sind jetzt in der erweiterten Testphase.“ Dabei müsse Deutschland nicht alles neu erfinden, sondern könnte sich an Ländern in Skandinavien, im Baltikum oder auch an Frankreich und Spanien orientieren, wo die Einführung des digitalen Gesundheitssystems schon viel weiter sei.

Chris Berger von Doctolib, eine ursprünglich in Frankreich gegründete Online-Plattform für Arzttermine, die in Berlin auch zur Verwaltung der Impftermine im Einsatz war, sieht eine Menge Bewegung auf der europäischen Ebene bei der Verwendung von Clouds im digitalen Gesundheitssystem. Auch Doctolib arbeite mit Clouds. Dies fördere die Datenportabilität. Auch in der Pflege, vor allem in der mobilen Betreuung, werden die Cloud-Systeme von Doctolib deshalb viel genutzt. Wenn Kunden, sprich Arztpraxen, Pflegedienste etc., den Anbieter wechseln wollten, müssten nicht alle Daten neu erfasst werden.

Dr. med. Amin-Farid Aly Dezernat Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung Bundesärztekammer BÄK | Foto: Tobias Koch

Die Interoperabilität ist für den Arzt und jetzt Funktionär der Bundesärztekammer Aly aus seiner medizinischen Erfahrung besonders wichtig. Allerdings habe die Digitalisierung für die Praxen bisher nicht die erhoffte Erleichterung gebracht, weil die Vorhaben ständig verändert würden. Sie seien außerdem zu wenig in der Praxis erprobt, bevor sie in Anwendung kommen sollen. „Das Ganze ist so komplex.“ Aber alle paar Jahre käme eine neue Mannschaft, die alles neu erfinde.

Markus Leyck Dieken, Geschäftsführer der Gematik GmbH, die maßgeblich mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen betraut ist, betonte, dass sich bei der Gematik gerade viel verändere. Er sei der erste Arzt an der Spitze der Firma und habe als Notarzt selbst gemerkt, wie groß der Vorteil ist, wenn vor dem Patienten im Krankenwagen schon digital die Patientendaten eingetroffen seien. Die alten Gesellschafter hätten den Gematik-Beschäftigten den Kontakt zu den späteren Anwendern wie den Arztpraxen quasi verboten. Jetzt versuche man endlich, mit Ärzt:innen, Therapeut:innen und Patient:innen in direkten Kontakt zu kommen.

Insgesamt müsse man leider feststellen, dass Deutschland mit seinem Beharren auf eigenen Lösungen sich in der EU isoliert habe. „Wir sind nicht kompatibel.“ Es sei nicht möglich, ein elektronisches Rezept von Deutschland nach Österreich zu schicken. Ein spanischer Arzt habe dagegen kein Problem, ein e-Rezept nach Finnland zu übermitteln. Er hoffe jetzt auf eine bessere Zusammenarbeit mit den Kassenärztlichen Vereinigungen und einen gesellschaftlichen Konsens, wie es ihn etwa in der Schweiz oder Skandinavien gebe.

Matthias David Mieves, Alice Greschkow, Dr. med. Markus Leyck Dieken, Chris Berger, Dr. med. Amin-Farid Aly, Mina Luetkens und Maximilian Funke-Kaiser | Foto: Tobias Koch

Luetkens von „Patients4Digital“ appellierte am Schluss, dass sich alle Beteiligten bewusst machen sollten, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens im Wesentlichen ein politisches Thema sei. Aber sowohl das Gesundheitssystem wie auch die Politik wirkten auf immer mehr Bürger:innen – und Wähler:innen – völlig intransparent. Technik und Regularien seien sicher wichtig, aber das Thema müsse auf das Individuum heruntergebrochen werden: Was bedeutet es für die Datensouveränität, was heißt Künstliche Intelligenz für die Behandlung oder die Gesundheitsprävention? Und wie greift das alles ineinander? Diesen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel brauche es in der Diskussion:

„Ohne Integration führt es zur Geldverschwendung.“

whatnext – Der young+restless Breakfastclub:

Frische Ideen, frische Köpfe und frischer Kaffee – im young+restless Breakfastclub treffen sich junge Politikerinnen und Politiker mit Young Professionals. Perspektiven für die Zukunft – aus junger Sicht.

Weitere Impressionen von der Veranstaltung:

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