Wettbewerbsrecht: EU und Bundesregierung planen digitales Update
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In Deutschland und der EU stehen Reformen des Wettbewerbsrechts an. Derzeit hängt ein Regierungsentwurf für ein Wettbewerbsrecht 4.0 noch zwischen Justiz- und Wirtschaftsministerium fest. Die EU-Kommission hat unterdessen eine Konsultation für ein neues Wettbewerbsinstrument gestartet.
Die Bundesregierung möchte das Wettbewerbsrecht an das digitale Zeitalter anpassen, doch die geplante Gesetzesnovelle lässt weiter auf sich warten. Bis Februar 2021 muss außerdem die europäische Richtlinie zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden in nationales Recht umgesetzt werden – die Zeit drängt also. Ende Januar hatte das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) bereits einen zweiten Referentenentwurf vorgelegt, der kleinere Veränderungen an einem im Oktober 2019 veröffentlichten ersten Entwurf vornahm. Ein Regierungsentwurf, der unter den Ressorts abgestimmt sei, liege nun vor, sagte Thorsten Käseberg, Leiter des Referats für Grundsatzfragen der Wettbewerbspolitik im BMWi, bei einer Online-Veranstaltung des Verbandes der Internetwirtschaft eco am vergangenen Mittwoch. Dieser unterscheide sich aber „nicht wesentlich“ vom Referentenentwurf.
Einem Kabinettstermin sollte also eigentlich nichts mehr im Wege stehen – würde da nicht ein Streit mit dem Bundesjustizministerium (BMJV) schwelen, das im Gegenzug gerne eine Zustimmung zu seinem Gesetzentwurf für faire Verbraucherverträge von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hätte. Käseberg sprach von „Wünschen“ aus einem anderen Ministerium, ein anderes Projekt durchzubekommen. Die „Verknüpfung“ soll „politisch aufgelöst werden“. Wann die Novelle ins Kabinett kommt, könne er aber nicht sagen. Auf der vorläufigen Kabinettzeitplanung steht sie für den Monat Juli ohne konkretes Datum.
Ermittlung von Marktmacht soll neu geregelt werden
Besonders im Fokus der Digitalwirtschaft stehen die Änderung zur Ermittlung marktmächtiger Unternehmen nach dem geplanten § 19a im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Vor allem kleine Plattformen fürchten, unter diese Neuregelung zu fallen. Der Paragraph ist laut Käseberg mit den Ressorts „konsentiert“ und soll so ins Kabinett. Für die Feststellung einer „überragende[n] marktübergreifende[n] Bedeutung für den Wettbewerb“ soll das Bundeskartellamt demnach folgendes berücksichtigen: die marktbeherrschende Stellung des Unternehmens auf „einem oder mehreren Märkten“, „seine Finanzkraft oder sein Zugang zu sonstigen Ressourcen“, „seine vertikale Integration und seine Tätigkeit auf in sonstiger Weise miteinander verbundenen Märkten“, „sein Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten“ sowie „die Bedeutung seiner Tätigkeit für den Zugang Dritter zu Beschaffungs- und Absatzmärkten sowie sein damit verbundener Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter“.
Nach § 19a Absatz 2 wären dann zusätzliche Verbote möglich, wie das Verbot der Selbstbegünstigung, die Verpflichtung, die Portabilität von Daten und die Interoperabilität von Produkten oder Leistungen nicht zu erschweren, oder das Verbot, Marktzutrittsschranken zu errichten.
Die Regelung treffe nur auf wenige Unternehmen zu, betonte Käseberg. Viele Firmen hätten den Wunsch, Zugang zu Märkten zu bekommen, aber nicht Adressat der Regelung zu werden. Es gehe hier um Unternehmen, die „marktübergreifend ihr Ökosystem absichern“ und in andere Märkte vordringen können, um ihre Stellung zu sichern. Verfahren des Bundeskartellamts in solchen Fällen seien sehr ressourcenintensiv, weshalb es eine „natürliche Grenze“ gebe. Die Regelung müsse aber „anwendungsoffen“ gestaltet sein. Das Gesetz ziele auch nicht auf bestimmte Unternehmen wie Google, Apple oder Facebook ab. „Wir würden uns alle freuen, wenn wir Unternehmen in der Liga hätten, die in die Nähe der Marktbeherrschung kommen“, sagte Käseberg. Das Verfahren des Bundeskartellamtes gegen Facebook habe er „mit hohem Interesse verfolgt“. Solche grundlegenden Urteile seien wichtig, aber die Reform des § 19/19a sei davon unberührt. Insgesamt müsse man sich auch Gedanken darüber machen, wie Verfahren beschleunigt werden können, beispielsweise mit einer einstweiligen Verfügung.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte am 23. Juni eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf rückgängig gemacht, mit der eine Verfügung des Bundeskartellamtes aufgehoben worden war. Das Bundeskartellamt hatte Facebook untersagt, in den Nutzungsbedingungen die Zustimmung zur Verarbeitung und Verwendung von Nutzerdaten vorzusehen, die bei einer „von der Facebook-Plattform unabhängigen Internetnutzung erfasst werden“. Facebook verknüpft zu Werbezwecken Daten konzerneigener Dienste wie Instagram oder Whatsapp und bietet Werbekunden den Zugriff auf Programmierschnittstellen, mit der Unternehmen eigene Internetseiten mit Facebook-Seiten verbinden können. „Dabei wird nicht nur das Verhalten der privaten Nutzer auf Facebook -Seiten erfasst, sondern über entsprechende Schnittstellen (Facebook-Pixel) auch der Aufruf von Drittseiten, ohne dass der Nutzer hierfür aktiv werden muss“, kritisierte das Bundeskartellamt. Als missbräuchlich sieht das Bundeskartellamt an, dass die Nutzer keine Wahl darüber haben, ob ihre personalisierten Daten nur auf facebook.com genutzt werden oder auch auf Drittseiten.
EU-Konsultation zu Wettbewerbsinstrument
Auf EU-Ebene plant Exekutiv-Vizekommissionspräsidentin und Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ebenfalls eine Reform des Wettbewerbsrechts. Die EU-Kommission hat dazu eine Konsultation gestartet, die noch bis 8. September läuft. Für einen funktionierenden Wettbewerb sei ein ganzheitlicher und umfassender Ansatz erforderlich, teilte die Kommission am 2. Juni mit. Dieser stehe auf drei Säulen: der konsequenten Durchsetzung der geltenden Wettbewerbsvorschriften, einer „möglichen Ex-ante-Regulierung digitaler Plattformen, einschließlich zusätzlicher Anforderungen für Plattformen mit einer Torwächter-Rolle [Gatekeeper]“ sowie einem neuen Wettbewerbsinstrument. Letzteres soll strukturelle Wettbewerbsprobleme auf allen Märkten bewältigen, für die geltende Vorschriften nicht ausreichen, etwa die Verhinderung von Markt-Tipping. Für das vierte Quartal 2020 kündigte die Kommission einen „entsprechenden Legislativvorschlag“ an.
Deutschland kann die Reform während seiner am 1. Juli begonnenen EU-Ratspräsidentschaft voranbringen. „Wir freuen uns sehr darauf“, sagte Käseberg in Bezug auf die Ratspräsidentschaft. Gerade in der Wettbewerbspolitik könne Deutschland so grundsätzliche Diskussionen moderieren. Er sei auch gespannt, inwiefern die EU-Kommission § 19a aufgreife. Konflikten zwischen nationalem Recht und EU-Recht sehe er „entspannt“ entgegen. Die in § 19a genannten Faktoren für eine marktübergreifende Stellung seien so allgemein, dass er keine allzu großen Widersprüche befürchte. Interessant werde, wie die EU Gatekeeper-Plattformen definiert.
Tagesspiegel Politikmonitoring
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf der Website des BASECAMP.