UdL Digital Talk Nachbericht: Die Chancen der Digitalisierung ergreifen
Foto: Henrik Andree
Beim UdL Digital Talk am 10. Dezember diskutierten FPD-Generalsekretärin Linda Teuteberg und Digital-Unternehmer Nils Seebach über politische Konsequenz, Bildung und Chancen im Zuge der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft.
Die digitale Transformation stößt mitunter auf Ablehnung. Bedroht sie den eigenen Beruf? Schaden 5G-Sendemasten der Gesundheit? Unter dem Titel „Digital first, Bedenken second. Wieviel Digitalisierung verträgt Deutschland?“ diskutierten am 10. Dezember 2019 Linda Teuteberg, FDP-Bundestagsabgeordnete und seit April 2019 Generalsekretärin ihrer Partei, und Nils Seebach, digitaler Unternehmer und Autor des Blogs Digitalkaufmann.de, beim UdL Digital Talk im BASECAMP. Einig waren sie sich darin, dass sich durch die Digitalisierung viele Chancen ergeben, die in Diskussionen oft zu kurz kämen. Moderiert wurde der Talk von Fernsehmoderator Cherno Jobatey.
Zunächst müsse man herausfinden, woher diffuse Ängste überhaupt rührten, betonten Teuteberg und Seebach. Geht es um Datenschutz, die berufliche Zukunft? Ängste um den eigenen Arbeitsplatz hält Teuteberg nicht für komplett unberechtigt, die Politik müsse hier die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. „Jede Technologie kann missbraucht werden“, sagte sie. Andererseits ermögliche die Digitalisierung flexibleres Arbeiten durch Home-Office. Hier brauche es vernünftige Vereinbarungen mit den Arbeitgebern.
Bürger müsse man auf sich widersprechende Ziele hinweisen, so die FDP-Politikerin, die Obfrau im Innenausschuss des Bundestages ist. Man könne nicht einerseits schnelles Internet fordern und gleichzeitig keinen Sendemast in seiner Nähe haben wollen.
„Wir sind sicherlich ein Land der Beschwerdeführer“, sagte sie. „Deshalb kommt es zu Investitionsstaus in Bereichen, für die eigentlich genug Geld im Haushalt ist.“
Geht es nach Nils Seebach, müsse man Gegner der Digitalisierung gar nicht bekehren, aufhalten könne man den digitalen Wandel sowieso nicht. „Es ist auch immer die Frage, was einen bekehrt: Argumente oder Erfahrungen? Wahrscheinlich möchte nur eine kleine Minderheit ihr Mobiltelefon wieder abgeben“, sagte er. Auch gegen das Automobil gab es Vorbehalte, trotzdem fahre heute niemand mehr mit der Pferdekutsche. Teuteberg pflichtete ihm bei, dass sich Entwicklungen wie Online-Banking und E-Commerce nicht aufhalten ließen.
Digitalisierung gehört in die Bildungspolitik
Die Politik sei daher auch in der Pflicht, in vielen Regionen Deutschlands Internet endlich besser verfügbar zu machen – in Teutebergs Heimatort Königs Wusterhausen in Brandenburg sei der Empfang bis heute nicht gut. Daneben solle Digitalisierung mehr Einzug in die Bildung erhalten. „Lehrer müssen weitergebildet, Lehrpläne geändert, die Ausstattung an Schulen verbessert werden“, so Teuteberg. Man dürfe dabei Bildungsinhalte nicht gegeneinander ausspielen. „Erstmal müssen Kinder Grundfähigkeiten erwerben, zum Beispiel lesen lernen“, sagte sie. „Dann können sie lernen, mit digitalen Medien umzugehen.“
Den Ruf nach mehr Staat bezeichnete Seebach dagegen für zu einfach. „Am Ende muss jeder Verantwortung übernehmen“, sagte er. Durch die Digitalisierung seien heute so viele und so gut strukturierte Informationen verfügbar wie nie zuvor. Wer etwas lernen wolle, finde haufenweise Youtube-Tutorials. „Sie bringen einem ein Thema unter Umständen näher als Frontalunterricht“, sagte Seebach, der unter anderem die digitale Beratungsfirma Etribes mitbegründete. Gamification sieht er als Chance, Bildungsinhalte spielerisch aufzubereiten und junge Menschen zu motivieren.
Teuteberg stimmte Seebach zu, dass der Einzelne frei sei und der Staat nur Leitplanken setzen könne. Bis es neue Standards in der Ausbildung von Lehrern gebe, dauere es sowieso. „Momentan hängt viel davon ab, wie vertraut Lehrer mit digitalen Medien sind“, sagte sie. Aus ihrer Sicht sollten Schulen in Zukunft verstärkt selber entscheiden können, an welchen Stellen sie zusätzliche Mittel investieren.
Kritisch bewerteten die Politikerin und der Digitalexperte, dass der Bildungsbereich am Föderalismus-Prinzip festhalte. Teuteberg, seit kurzem auch Vorsitzende der FDP in Brandenburg, will Förderalismus nicht im Gesamten abschaffen. „Wir sind in der FDP aber für ein Kooperationsgebot in der Bildung für mehr Vergleichbarkeit“, sagte sie.
„Wir wollen nicht Wettbewerb zwischen Bremen und Bayern, Deutschland muss sich mit der Welt messen können.“
Den Digitalpakt, mit dem bundesländerübergreifend die Digitalisierung an allgemeinbildenden Schulen gefördert werden soll, hält Teuteberg für einen guten Ansatz.
Nils Seebach zufolge trage die Digitalisierung dazu bei, dass formale Bildung sowieso an Bedeutung verliere. Seinem eigenen Abschluss in Oxford messe er nicht mehr viel Wichtigkeit bei. „Viele Entwickler bringen sich alles selbst bei“, sagt er. Tarek Müller, mit dem Seebach den Online-Versandhandel About You gründete, habe gar nicht studiert.
Weiterbildungen oder lebenslanges Lernen?
Auf die Digitalisierung solle man Seebach zufolge auch nicht mit der Förderung von Weiterbildungen reagieren, wie es die FDP mit einem Midlife-Bafög vorschlägt. „Wenn ich sechs Monate lang aus meinem Job raus wäre, könnte ich in meinen Unternehmen nichts mehr beitragen“, sagte Seebach. Eine zweite Ausbildung hält er für „verschwendete Lebensmühe“, es brauche kontinuierliches, lebenslanges Lernen. Teuteberg wollte hierin keinen Widerspruch sehen. „Manchmal braucht es eine grundlegende Ausbildung, um einen neuen Weg einzuschlagen“, sagte sie.
Seebach betonte, man könne auch nicht alle Menschen in die digitalisierte Arbeit mitnehmen. Er sei daher für ein Grundeinkommen. Zwar nicht bedingungslos, aber für Menschen, die sich nicht mehr mit dem digitalen Wandel auseinandersetzen können und möchten. Ab welchem Alter das sei? Ab 50 Jahren halte er das für realistisch. „Ansonsten lassen wir Menschen mit ihren Ängsten allein, auf die der Populismus einfache Antworten liefert“, sagte Seebach.
Teuteberg sprach sich dagegen für ein Bürgergeld aus – die Grünen hätten ihrer Partei hier unlängst den Begriff geklaut. „Darunter wollten wir schon länger weniger bürokratisch beschränkte Sozialleistungen zusammenfassen und Möglichkeiten für Zuverdienste verbessern.“ Für Pessimismus sieht sie hingegen keinen Anlass: In vielen neuen Bereichen würden Arbeitskräfte gebraucht, es müssten lediglich die Bedingungen für einen Wechsel geschaffen werden.
Seebach sprach sich daneben für ein neues Einwanderungsgesetz aus. „In der Digitalindustrie ist es ein eklatantes Problem, dass Qualifizierte aus dem Ausland nicht einfach eine Blue Card beantragen können.“ Neulich habe er endlich jemanden in Südafrika für eine Stelle gefunden, dessen Fähigkeiten genau passten. Da er die nötigen Kriterien aber nicht alle erfüllte, war die Migration unmöglich – das sei „hochgradig frustrierend“ gewesen.
Teuteberg, die auch migrationspolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist, betonte, die FDP setze sich schon lange für ein Gesetz ein, das bei der Einwanderung neben humanitären Gründen auch Sprachkenntnisse und berufliche Qualifikationen berücksichtigt. Bislang gebe es nur viele Einzelregelungen, Anwärter müssten zum Beispiel ein Mindesteinkommen vorweisen, das auch viele Berufseinsteiger in Deutschland nicht hätten.
Deutsche Digitalpolitik müsse engagierter werden
Insgesamt halten Teuteberg und Seebach Deutschland noch lange nicht für wetterfest für digital stürmische Zeiten. Deutschland stehe zwar im internationalen Vergleich noch recht gut da und der Mittelstand sei ein gutes Rückgrat. Die Bundesregierung könne aber in der Digitalpolitik deutlich engagierter werden. „Das Angekündigte hätte schon lange umgesetzt werden können“, sagte Teuteburg. In ihren Augen brauche es endlich ein Digitalministerium, um das Handeln aller zu koordinieren und übergreifende Standards und Strategien zu schaffen.
„Das ist ein Fehler, den auch viele in der Wirtschaft machen“, kritisierte Seebach.
„Es bringt nichts, wenn ein Posten für Digitalisierung eingerichtet wird, Digitalisierung erfasst alle Prozesse. Deshalb muss jeder Minister sich fragen, wie er zu mehr Digitalisierung kommt. Alles andere ist Show.“
Könnte Seebach die Bundesregierung beraten, würde er sich zudem dafür aussprechen, Schritt für Schritt zu digitalisieren. „Zunächst muss der Bestand digitalisiert werden“, sagte er. „Dann braucht es Geschäftsmodelle, die nah an den alten dran sind und erst im nächsten Schritt sollte man größere Dinge angehen wie einen KI-Innovationsfonds. Ansonsten wirft man diffuse Begriffe in den Raum und weckt diffuse Erwartungen.“
Konkreten Regulierungsbedarf in kürzerer Frist sieht Seebach dagegen im Bereich Künstliche Intelligenz – spätestens ab dem Zeitpunkt wo diese einen direkten Einfluss auf den Alltag der Menschen gewinnt. Hier brauche es schnelle Entscheidungen. „Ich denke inzwischen im Zyklus von sechs Monaten“, sagte Seebach. „Ich muss heute eine Organisation so bauen, dass sie mit Veränderung umgehen kann.“ Er sei optimistisch, dass das Denken in kürzeren Zyklen, je mehr es sich verbreite, auch Einzug in die Politik halten werde.
Digitalisierung in der Demokratie
Teuteberg ist der Ansicht, dass die Regulierung Künstlicher Intelligenz nur nach und nach erwachsen könne, wenn sie nicht vorab alle Innovationen ausschließen soll. Sie gab allerdings zu bedenken, dass es in der Politik immer erst Mehrheiten brauche und man bei höheren Tempo jenen in die Hände zu spielen drohe, die sowieso schon viel Einfluss hätten. Auch wenn es heute viele digitale Kommunikationsmöglichkeiten gebe, die schnell und ortsunabhängig seien, brauche es zudem weiterhin Abstimmungen mit örtlicher Anbindung. Hier stießen auch Online-Mitgliedschaften an ihre Grenzen.
Teuteberg sieht es auch als Problem, dass klassische Medien ihre Filterfunktion immer mehr verlieren. Hier sei man wieder beim Thema Bildung, denn inwiefern Digitalisierung dazu beitrage, dass jeder sich besser informiere, gelte es zu hinterfragen. Nachdenklich stimme die Politikerin zum Beispiel, dass immer mehr Menschen online an ihre Partei Nachfragen stellten, auf die sie eigentlich ganz einfach selbst Antworten in den online verfügbaren Wahlprogrammen finden könnten. Seebach hob dagegen hervor, dass digitale Medien dazu beitragen, politischen Willen Ausdruck zu verleihen und sich zu organisieren. Fridays for Future zeige, dass Digitalisierung eine Chance sei. Es komme im Digitalen mehr auf den Einzelnen an. „Jeder hat die Verantwortung, sich aus dem Wust der Informationen seine Meinung zu bilden“, sagte Seebach.