UdL Digital Talk mit Michael Müller: Was kann Berlin für Start-Ups tun?
Wie steht es um die Start-up City Berlin jetzt und in Zukunft? Das wollte Moderator Cherno Jobatey vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller und von Ijad Madisch, dem Gründer des Wissenschaftsnetzwerks Research Gate, bei der 45. Auflage des UdL Digital Talks im Telefónica Basecamp wissen. Mit dabei ein sehr interessiertes Publikum, das sich in die Live-Diskussion und auf Twitter einschaltete.
Vor fünf Jahren kam Ijad Madisch mit Research Gate nach Berlin. Die deutsche Hauptstadt hatte dabei harte Konkurrenz, erzählt Madisch: Boston, wo Research Gate gegründet wurde, und San Francisco standen mit zur Auswahl. Der erste Kapitalgeber und Berater Matt Cohler, LinkedIn-Mitgründer und Investor, habe schließlich gesagt: „Du gehst nach Berlin und baust das coolste Start-Up Deutschlands auf.“ Inzwischen hat das Netzwerk mehr als zehn Millionen Wissenschaftler als Mitglieder, die Firma hat 250 Mitarbeiter.
In Berlin habe es die richtige Grundstimmung in der Szene gegeben, die ein Startup brauche, das die Welt verändern wolle. Mit Blick auf seinen Gesprächspartner aus der Politik sagte er: „Damit hat er nichts zu tun.“
Was tut die Politik für Start-ups?
Das wollte Michael Müller nicht auf sich sitzen lassen. Immerhin sorge die Politik für die Rahmenbedingungen – durch langfristig erhöhte Investitionen in die Hochschulen, die Sicherung von Flächen für Firmen und durch die Vernetzung mit anderen Start-Up-Metropolen. Und direkte politische Entscheidungen in Sachen Start-Up seien auch gar nicht sinnvoll: „Wir müssen die Gründerszene auch zu einem großen Teil in Ruhe lassen“, sagte Müller. Denn sie benötigten nach Ansicht des Regierungschefs Freiraum und dürften nicht überreguliert werden.
Auch Madisch wünscht sich keinen direkten Einfluss vom Staat – auch nicht durch Fördergelder: „Wenn man ein erfolgreiches Start-up hat, dann bekommt man das Geld ja in jedem Fall.“ Auch für die Zukunftsaussichten der jungen Unternehmen steht staatliche Unterstützung nicht auf seinem Wunschzettel. „Die Start-ups kümmern sich um ihre eigene Nachhaltigkeit.“ Und offensichtlich hätten sie in Berlin damit Erfolg. Von den fünf größeren Start-ups, die es vor fünf Jahren gegeben habe, seien fast alle noch da.
„Es geht um die richtigen Gründungen“
Auch die Zahl von 500 Gründungen pro Jahr in Berlin sei in Ordnung. „Es geht um die richtigen Gründungen“, meint Madisch. Auf die Frage aus dem Publikum, was denn erfolgversprechende Start-Ups seien, sucht der Mitdreißiger einen Moment nach einer diplomatischen Antwort. Etwas „online vergleichen und verkaufen“ sei es eher nicht, sagt er dann und spielt damit auf einige Berliner Gründungen an.
Auch wenn Madisch sich keine direkte Unterstützung vom Staat wünscht, kann die Verwaltung aus seiner Sicht trotzdem wichtig sein. Zum Beispiel, wenn es darum geht, die Behördengänge für neue Mitarbeiter aus dem Ausland zu erledigen. „Das war am Anfang schwierig, ist aber inzwischen schon besser geworden. Wir arbeiten dabei mit Berlin Partner zusammen, die uns sehr helfen.“ Probleme, überhaupt gute Leute zu finden, habe Research Gate ohnehin nie gehabt: „Die Leute wollen bei uns arbeiten, weil es spannend ist.“, stellte der Start-Up Chef fest, der in der Twitter-Diskussion als kompetent und sympathisch gelobt wird.
Zweifel am Bildungssystem
Auch Michael Müller hält das Angebot an qualifiziertem Personal für einen Standortvorteil der Stadt: „Für jede Fachrichtung gibt es die richtigen Köpfe.“ Dabei helfe das breite wissenschaftliche Umfeld mit Universitäten und Technologiezentren. Madisch ist dabei der formelle Abschluss im Bildungssystem gar nicht so wichtig. „Wir freuen uns immer wenn wir einen neuen Mitarbeiter dem Studium entreißen. Bei uns lernen sie es viel schneller und effizienter.“
Erstaunte Blicke im Publikum des Telefonica Basecamp und eine Frage: Ein studierter Arzt und Informatiker, der in Harvard geforscht hat und nicht viel von akademischer Bildung hält, aber ein Netzwerk für Wissenschaftler gegründet hat – wie passt das zusammen? Madisch erklärt, dass er an den Studieninhalten und an der Kultur des akademischen Betriebes seine Zweifel hat. „Ich habe im Medizinstudium alles gelernt“, sagt er und zählt eine sehr lange Reihe von Wissensgebieten auf, „was brauchst Du davon um ein guter Arzt zu sein?“. Iljad Madisch führt seine Hände zehn Zentimeter zusammen: „Nur einen ganz kleinen Teil.“
Zu wenig Praxis in den Universitäten
Auch an der Auswahl der Professoren hat er Zweifel. Wer in Deutschland eine Professur für Entrepreneurship bekomme, habe oft kaum Praxiserfahrungen. „Es geht beim Gründertum aber nicht um Faktenwissen, sondern um Bauchentscheidungen, die man in bestimmten Situationen treffen muss.“ In den USA sei der Seitenwechsel aus Unternehmen in die Universität einfacher.
Müller wollte gar nicht widersprechen, dass die Start-up-Szene schneller und flexibler sei, als die Hochschulen. Er zeigte sich aber optimistischer als Madisch: „Es tut sich da was“ und freute sich über die zahlreichen Gründungen aus dem Wissenschaftsumfeld.
Auch wenn Gründer Madisch sich mit Forderungen an die Politik weitgehend zurückhielt und das auch begründete: „Ich sage nichts zu Themen, mit denen ich mich nicht eingehend beschäftigt habe“ – in einem Bereich wünscht er sich deutliche Verbesserungen: beim Informatik-Unterricht. „Es ist eigentlich ein Witz was da in den Schulen gelehrt wird“, urteilt der Informatiker.
Die Forderungen ans Bildungssystem waren dem Regierenden Bürgermeister an diesem Abend sichtlich ein Anliegen. Müller verwies auf Jahr für Jahr wachsende Bildungsausgaben und versprach, dass sein Senat gründlich daran arbeite, mehr Studienplätze für Lehrer zu schaffen, um dadurch deutlich mehr Lehrer einstellen zu können. Das sei auch nötig, um den Anforderungen der wachsenden Stadt gerecht zu werden. In den nächsten zehn Jahren rechne Berlin mit 70.000 zusätzlichen Schülern.
Aber Müller sieht die Verantwortung für ein funktionierendes Bildungssystem nicht nur bei der Politik. Zu oft müsse die Schule auffangen, was in den Familien der Schüler schlecht laufe. „Wir werden gemeinsam scheitern, wenn wir nicht alle dafür sorgen, dass auch die Familien sich beteiligen“, entließ Müller mit einem Appell die Besucher des Telefónica Basecamp in den Berliner Sommerabend. Mit einem engagierten Regierenden Bürgermeister, einem überzeugenden Gründe rund Wissenschaftler und einem diskussionsfreudigen Publikum war der Moderator Cherno Jobatey sichtlich zufrieden. Sein Fazit auf Twitter: Wir hatten Spaß … und das bei #Politik!