Trend2Go! mit SPIEGEL-Reporter Ullrich Fichtner: Gute Argumente gegen den Pessimismus unserer Zeit
Mit dem Spiegel-Korrespondenten Ullrich Fichtner startete Gastgeberin Fiene Oswald in eine neue Reihe im BASECAMP von o2 Telefónica in Berlin-Mitte: „Trend2Go!“ will einen inhaltsstarken Blick in die Glaskugel werfen , wie Oswald erklärte. Und sie begann mit einem Gast, der dem Pessimismus und Zukunftsfrust, der laut Umfragen auch unter jungen Leuten stark verbreitet ist, gerade ein Buch entgegengesetzt hat: „Geboren für die großen Chancen. Über die Welt, die unsere Kinder und uns in Zukunft erwartet“.
Fichtner, der seit 20 Jahren in Paris lebt, war als Reporter viel in Kriegs- und Katastrophengebieten unterwegs. Wie er es trotzdem geschafft habe, sich ein so optimistisches Weltbild zu erhalten, wollte Oswald wissen. Fichtner sah darin keinen Widerspruch, denn „Krisen sind vorübergehende schreckliche Ereignisse, die wir überstehen müssen und wollen“. In Krieg und Krisen müsse man „den Raum des Handelns suchen zwischen Optimismus und Pessimismus“.
„Eigentlich haben mir Krieg und Krisen den Wert des Lebens deutlicher gemacht.“
Nach seiner Beobachtung sei die Leserschaft zwiegespalten: Die einen seien froh, wenn man etwas Positives berichtet, die anderen würden wütend, weil sie es für unangemessen und den Autor für naiv halten. Aber Fichtner beharrt darauf, viele positive Indizien für eine Wendung zum Besseren zu finden, „große Themen wie Klimawandel, Nachhaltigkeit und Energiewende haben sich in die Welt hineingeschlichen“. Die Welt zu retten, sei heute bei Studierenden und bei Messen als Motiv deutlich spürbar. Greta Thunberg habe „als lebende Metapher“ die Aufmerksamkeit vergrößert, das Pariser Klimaabkommen habe das weltweit größte Experiment hervorgebracht. Neue Energien würden immer lukrativer, ein Ende für Kohle und Öl stehe bevor, Deutschland habe seine Abgase halbiert, jedes Jahr einigten sich 200 Staaten auf Klimapläne.
„Wir durchleben einen Paradigmenwechsel aus ganz vielen kleinen Steinchen.“
Warum das in der medialen Berichterstattung so unsichtbar bliebe, war Oswalds Frage auf Fichtners Aufzählung der ermutigenden Erfolge. Weil die Presse sich selbst als Korrektiv sehe, das Missstände aufzeigen solle, und vom Publikum auch so wahrgenommen werde. „Das Gute langweilt, das Schlechte zieht uns an“. Magazine, die hauptsächlich über Gutes berichten, hätten wirtschaftlich keinen Erfolg, sagte Fichtner. Auch wenn der Journalist mit einem Gast aus dem Publikum einig war, dass Reportagen möglichst mit Links zu Lösungen beendet werden sollten, damit eine konstruktive Debatte ermöglicht werde. In der Medienbranche firmiert diese Bewegung unter dem Label „Konstruktiver Journalismus“ und hat ein eigenes Institut hervorgebracht.
Mit dem Begriff der „Umwelttrauer“ (Ecological Grieve), den Oswald als bei zwei Dritteln der 18- bis 24-Jährigen vorhanden ins Spiel brachte, kann Fichtner wenig anfangen. Als Jahrgang 1965 zählte er selbst als junger Mensch zur „Generation No Future“, konfrontiert mit Waldsterben, Ozonloch und dem Reaktor-GAU in Tschernobyl. Sie hätten damals auch Angst gehabt, aber es „hat uns nicht überrollt“. Lieber solle man suchen, was man selbst im Kleinen ändern und wie man die Notwendigkeiten des Umweltschutzes mit einem guten Leben verbinden könne und das auch entsprechend kommunizieren. Beispielsweise erst über die Förderung, dann erst über neue Heizungsvorschriften sprechen. Die Vermittlung ökologisch sinnvoller Politik als etwas Positives müsse besser entwickelt werden. Immerhin habe die Wissenschaft erkannt, dass sie offener und verständlicher kommunizieren müsse. Was während der Corona-Pandemie beim mRNA-Impfstoff zu schlecht gelungen sei. Hier sehe er die Charité in Berlin mit einem neuen Institut zum simulierten Menschen, dessen Ergebnisse im Erdgeschoss allen Interessierten zugänglich gemacht werden sollen, auf einem guten Weg.
Die prägendsten Entwicklungen für die Zukunft erwartet Fichtner auf Nachfrage aus dem Publikum in der Gen- und Biotechnologie und erinnerte daran, dass „jeder medizinische Fortschritt mit einem umstrittenen Tabubruch begonnen“ habe, ob Blutabnahmen oder Organverpflanzungen. Für die Ernährung der Menschheit sieht er die neue Gentechnologie (Crispr) als unerlässlich und damit ihre Anwendung auch als ethische Forderung. „Organic Food“ würde nicht für alle reichen, gerade in Dürregebieten nicht.
Auch durch Künstliche Intelligenz erwartet Fichtner enorme Entwicklungen, unter anderem auch in der Medizin. Außerdem: „KI hat den Vorteil, dass wir nicht mehr Programmieren lernen müssen, wir können jetzt mit dem Computer sprechen.“ Für den Journalismus hält er den Einsatz aber nur in stark von Daten geprägten und ziemlich normierten Texten wie in der Wirtschafts- oder Sportberichterstattung für hilfreich. In der Recherche sei KI jedenfalls bislang nicht zu gebrauchen, dafür produziere es zu viele „Halluzinationen“, die zwar plausibel klängen, aber grundfalsch seien.
Die Angst vor Manipulationen und „Deep Fakes“ durch KI entspreche der Angst bei jeder großen technischen Entwicklung. Auch vor der Eisenbahn hätten viele Angst gehabt, dass sie die Geschwindigkeit nicht überleben würden. Bei KI werde es den „Rüstungswettlauf zwischen den Fälschern und den Ehrlichen geben“.
Er sei gespannt, was der Digital Services Act der EU zu Regulierungen im Internet bringen werde und ebenso die Initiative des neuen französischen Premiers Gabriel Attal, Kinder unter 13 Jahren von Social Media ausschließen zu lassen – eigentlich eine Selbstverpflichtung der großen Plattformen, die aber nicht eingehalten wird.
Wenn er einem Neugeborenen heute eine Botschaft mitgeben könnte, dann würde er sich am Vortrag des Sportreporters Marcel Reif beim Holocaust-Gedenken im Bundestag orientieren, sagte Fichtner zum Schluss und schrieb auf den Zettel für die Zeitkapsel:
„Sei ein Mensch.“