TikTok-Verbot: Wie darüber in Deutschland und international diskutiert wird
Wohl kein anderes soziales Netzwerk nimmt eine so kontroverse Rolle ein wie TikTok. Seine Wirkung auf junge Menschen, bei der Verbreitung von Desinformation und im politischen Diskurs ist immer wieder Gegenstand harter Diskussionen. In den USA wurde zuletzt sogar über ein mögliches Verbot debattiert. Wir werfen einen genaueren Blick auf die aktuelle Lage.
Die Ergebnisse der Europawahl haben die Diskussion um TikTok und dessen Rolle im politischen Meinungsbildungsprozess erneut angefacht. Bereits seit einigen Monaten wird international intensiv darüber debattiert, welche Rolle TikTok spielt und ob Verbote bzw. härtere Einschränkungen gegen die Plattform eingeführt werden sollten – auch mit Blick auf den chinesischen Mutterkonzern der App. Wie ist die Lage international und in Deutschland?
Der Auslöser: Kommt das Verbot in den USA?
Bereits Ende April hatte der US-Kongress Nägel mit Köpfen gemacht und nach monatelangen Debatten ein Gesetz zu TikTok beschlossen: Aufgrund der Angst vor chinesischer Manipulation soll die Plattform an ein US-amerikanisches Unternehmen verkauft werden, ansonsten wird die App in den USA verboten bzw. aus den App Stores entfernt. Für den Verkauf bekam der TikTok-Konzern Bytedance 270 Tage Zeit.
Expert:innen halten eine tatsächliche Umsetzung des Gesetzes jedoch für unrealistisch. Zum einen liegen keine eindeutigen Hinweise für tatsächliche Spionage bzw. Manipulation durch TikTok vor, zum anderen ist ein Verbot schon zur Amtszeit Trumps mehrfach gerichtlich gescheitert. Vor einem tatsächlichen Verbot droht also mindestens ein langer Rechtsstreit. Hinzu kommt auch, dass eine US-amerikanische Käuferin unklar ist und den USA vorgeworfen wird, die Verbotsdrohung als Instrument im Handelskrieg mit China zu benutzen.
Die Bedingungen für ein erfolgreiches Verbot sind also suboptimal, dennoch wird die Möglichkeit international und auch in Deutschland immer wieder diskutiert.
Positionen in Deutschland
Im Gegensatz zu den USA wird hierzulande primär der Datenschutz als Kernproblem bei TikTok aufgeführt, aber die Möglichkeit staatlicher Einflussnahme durch die chinesische Regierung wird ebenfalls genannt.
So betrachtet etwa der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter TikTok als eine “Gefahr für unsere Demokratie” und bezeichnet die Verbreitung von Desinformation sowie die Nutzung der App als Spionage- und Datenabgriff-Tool als Teil der hybriden Kriegsführung Russlands und Chinas. Als Konsequenz daraus sei entweder eine effiziente und schärfere Regulierung oder ein grundsätzliches Verbot notwendig.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser dagegen schloss ein generelles Verbot im vergangenen Jahr aus, sieht aber auch das Risiko eines Datenflusses nach China bzw. generell an Dritte. Ähnlich positionierte sich der Vizepräsident des Verfassungsschutzes, Sinan Selen, der eine Einflussnahme staatlicher Stellen in Form eines Verbotes ablehnte. Auch der SPD-Politiker Ralf Stegner setzt eher auf eine “Ausschöpfung aller regulatorischen Möglichkeiten” als auf ein Verbot.
Kaum Fürsprecher für ein Verbot
Ähnlich bewertet Konstantin von Notz (Grüne), Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste, die Situation: Von “ohnehin schwer durchzusetzenden Verboten” sei er kein Fan, ein pauschales Verbot einzelner Plattformen sei zudem nicht weitreichend genug. Jens Zimmermann, der digitalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, argumentiert gegen ein Verbot mit dem Hinweis auf mangelnde Evidenz: Grobe Vermutungen seien nicht ausreichend für ein derart restriktives Vorgehen, viele der Vorwürfe gegen TikTok seien aktuell nicht eindeutig belegt.
In der Regel präferieren deutsche Politiker:innen also eine strikte Regulierung sowie eine Ausschöpfung der Möglichkeiten des Digital Services Act gegenüber einem Verbot der Plattform, das als unrealistisch und unverhältnismäßig gewertet wird. So argumentiert auch Konstantin Kuhle, dass die Europäische Kommission “die Plattform genau unter die Lupe nehmen” sollte, insbesondere aufgrund ihrer Nähe zum chinesischen Staat. Bei Rechtsverstößen seien Sanktionen notwendig. Aktuell läuft bereits ein Verfahren gegen TikTok, das aufgrund der Lite-Version der App angestoßen wurde und im Rahmen des DSA zu Sanktionen in Höhe von bis zu 6 % des Jahresumsatzes führen kann.
Kein TikTok auf Diensthandys?
Während ein allgemeines TikTok-Verbot derzeit nicht konkret in Erwägung gezogen wird, sieht es in deutschen Behörden und Ministerien unterschiedlich aus: Zwar gibt es auch dort keine übergreifende Regelung – das für eine Verbotsprüfung zuständige BSI hat keine Befugnis, dies tatsächlich durchzusetzen –, allerdings ist die App beispielsweise im Bundesinnenministerium verboten. Im Gesundheitsministerium wiederum wird TikTok auch auf Diensthandys genutzt.
Auf EU-Ebene greifen dagegen einheitliche Regelungen, die die Installation auf Diensthandys der Parlamentsabgeordneten und Kommissionsmitglieder verbieten. Auch hier fordern Politiker:innen teils striktere Regeln: So argumentieren etwa Jens Zimmermann und Maximilian Funke-Kaiser für ein allgemein gültiges TikTok-Verbot auf Dienstgeräten auch auf Bundesebene, Konstantin von Notz schlägt alternativ eine konstante Überprüfung und Risikobewertung der App vor.
Wie es international aussieht
Ein dienstliches Verbot ist auch im Ursprungsland der Debatte bereits implementiert: Die USA verbieten TikTok auf Diensthandys weitreichend, etwa für Mitarbeiter:innen in Bundesbehörden sowie im Repräsentantenhaus, im Außen-, Verteidigungs- und Heimatschutzministerium und im Weißen Haus. Auch mehrere Bundesstaaten haben ein derartiges Verbot eingeführt, zudem blockieren viele Uni-Netze die App.
Ein Verbot auf den Diensthandys von Politiker:innen und deren Mitarbeitenden haben darüber hinaus weitere Staaten verhängt: Dazu gehören u.a. EU-Staaten wie Österreich, Frankreich, Belgien und die Niederlande, aber auch Großbritannien, Kanada und Australien.
Ein weitreichenderes, gesamtgesellschaftliches Verbot hat etwa Indien implementiert, wo die App aufgrund ihrer “Bedrohung für die nationale Sicherheit” seit 2020 gesperrt ist. Auch in Nepal sei die App eine “Störung des sozialen Zusammenhalts” und ist daher seit 2023 komplett gesperrt. Im Gegensatz dazu hat Pakistan die App bereits mehrfach vorübergehend verboten, der letzte Bann aufgrund “unmoralischer und anstößiger Inhalte” endete jedoch 2022. Zeitweise Sperrungen implementierten auch Senegal und Aserbaidschan, dauerhafte Sperrungen finden sich zudem in Afghanistan, Jordanien, Usbekistan und dem Iran.
Selbst im Herkunftsland TikToks ist kein uneingeschränkter Betrieb möglich: Die chinesische Regierung erlaubt genauso wie die russische die Nutzung TikToks nur mit bestimmten Content-Filtern.
Ungewisse Zukunft?
Insgesamt zeigt sich also, dass die Zukunft TikToks zwar ungewiss, ein Verbot in vielen Staaten aktuell jedoch eher unwahrscheinlich ist. Auch in den USA, wo eine derartige Regelung am wahrscheinlichsten wirkt, verzichten noch nicht einmal die beiden Kandidaten für die Präsidentschaftwahl auf die Nutzung der App: Joe Biden setzt TikTok schon länger im Wahlkampf ein, während Donald Trump – zu seiner Amtszeit noch ein großer Verbots-Verfechter – seit Anfang Juni ebenfalls einen Account bespielt. Auch die komplizierte Umsetzung eines Komplettverbots spricht nicht für seine baldige Umsetzung.
In der EU sowie auf nationaler Ebene der Mitgliedstaaten wird ein komplettes Verbot wohl ebenfalls ausbleiben. Wahrscheinlicher erscheint hier eine Regulierung durch den Digital Services Act und dessen nationale Umsetzung.
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