TechnikRadar 2019: Wie Europa den digitalen Wandel bewertet
Foto: CC0 1.0, Pixabay / hpgruesen / Ausschnitt bearbeitet
Im europäischen Vergleich sind die Deutschen weniger optimistisch, wenn es um die Bewertung der Chancen durch die Digitalisierung geht. Das zeigt das TechnikRadar 2019, das acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und Körber-Stiftung gestern in Berlin vorstellten. Bei der Untersuchung handelt es sich um den Vergleich einer eigenen repräsentativen Befragung mit internationalen Studien.
Kurz nach der Europawahl macht das TechnikRadar 2019 deutlich, dass die Europäerinnen und Europäer die Chancen durch die Digitalisierung unterschiedlich bewerten. Die Deutschen nehmen im Vergleich insgesamt eine Mittelposition ein und sind weniger optimistisch – mit Ausnahmen: Wenn es beispielsweise um die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wirtschaft geht, ist Deutschland vergleichsweise zuversichtlich. Mit 82 Prozent erwarten hier etwas mehr Deutsche als Schweden (79 Prozent) positive Effekte durch Digitalisierung. Im europäischen Mittel sind es mit 75 Prozent sogar deutlich weniger als hierzulande.
EU-Vergleich: Deutsche haben weniger Vertrauen in Fähigkeiten
„In Europa gibt es erhebliche Unterschiede bei der Wahrnehmung und Bewertung des digitalen Wandels. Digitalisierung wird insbesondere dann kritisch erlebt, wenn sie als ein Prozess wahrgenommen wird, dem man sich ausgeliefert fühlt. Menschen, die sich in der Digitalisierung als vergleichsweise kompetent erleben und auf die institutionelle Regulierung vertrauen, sind auch optimistischer bei der Bewertung von Gestaltbarkeit und Chancen“, erklärt Cordula Kropp, wissenschaftliche Projektleiterin und Soziologin vom Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart, die Ergebnisse.
„Deutschland rangiert in diesem Zusammenhang in der Mitte zwischen skandinavischen und südeuropäischen Ländern“, so Kropp weiter. Das TechnikRadar 2019 zeigt: Dänen, Schweden und Niederländer, die ihre digitale Kompetenz überdurchschnittlich gut bewerten, haben auch überdurchschnittlich positive Erwartungen an die Digitalisierung. Die Deutschen haben nur durchschnittliches Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und auch ihr Optimismus liegt im europäischen Mittelfeld. „Andere Länder in Europa machen uns vor, wie man die Chancen der Digitalisierung ergreift“, kommentiert Lothar Dittmer, Vorsitzender des Vorstands der Körber-Stiftung. „Wir müssen uns in Deutschland in Zukunftsfragen mehr zutrauen, um unseren Wohlstand und unsere Position als weltweit führender Technologie- und Innovationsstandort nicht zu gefährden“, so Dittmer weiter.
Digitale Governance: Unternehmen wird mehr zugetraut
Die Frage, ob Unternehmen, Behörden oder die EU am ehesten in der Lage sind, sich mit den Folgen der neuesten digitalen Technologien zu befassen, wird in Europa unterschiedlich bewertet: 20 Prozent sehen bei Unternehmen die größte Kompetenz, die Governance der Digitalisierung zu übernehmen. Am zweithäufigsten genannt werden alle drei Akteure zusammen (19 Prozent), gefolgt von den nationalen Behörden (16 Prozent). Unter den Deutschen wünschen sich sogar 27 Prozent eine Regulierung durch Unternehmen. Der EU trauen die wenigsten diese Aufgabe zu (13 Prozent).
In Schweden, wo die Menschen ihre digitalen Kompetenzen hoch einschätzen, haben die über 65-Jährigen ähnlich positive Erwartungen an digitale Technologien wie die Digital Natives unter 35. In Ländern wie Deutschland, die sich nicht als digital fortgeschritten wahrnehmen und in denen sich die Befragten für durchschnittlich kompetent im Umgang mit digitalen Anwendungen halten, sind die Unterschiede größer: Die Generation 65+ hat hier erheblich niedrigere Erwartungen an die neuen Technologien als die Jugend. Interessanterweise ist dies kein Generationen-, sondern ein Alterseffekt. Mit zunehmendem Alter werden Menschen fast überall in Europa skeptischer, der Rückgang wird in der ältesten Altersgruppe besonders deutlich. Hier nimmt der berufsbedingte Druck ab, die digitalen Technologien zu nutzen.
Digitale Technik: Skepsis geht zurück
„Dennoch beobachten wir, dass die Skepsis gegenüber der digitalen Technik nicht nur insgesamt zurückgeht, sondern dass auch bei den älteren Menschen zunehmend Vertrautheit mit dieser Technik aufkommt“, erklärt Ortwin Renn, acatech Präsidiumsmitglied und wissenschaftlicher Direktor des IASS Potsdam. „Mit zunehmender Vertrautheit wächst auch die Zuversicht, dass wir die Chancen der digitalen Möglichkeiten besser nutzen und die Risiken besser begrenzen können. Ein positiver Effekt, den wir mit dem TechnikRadar als jährliches Monitoring und langfristiges Frühwarnsystem weiter im Auge haben werden“, führt Renn aus.
Angenommen, Sie wären alt oder pflegebedürftig. Wie angenehm wäre es für Sie einen Roboter zu haben, der Sie bedient und Ihnen Gesellschaft leistet? Der Hälfte der Europäerinnen und Europäer sagt dieses Szenario nicht zu: 51 Prozent finden die Vorstellung unangenehm, dies ist in Südeuropa besonders ausgeprägt (Griechenland 76, Portugal 71 und Spanien 62 Prozent). Die Zustimmung zu technischen Helfern ist dagegen überdurchschnittlich hoch in Polen (45 Prozent), Tschechien (42 Prozent) und den baltischen Staaten. In Deutschland (27 Prozent) liegen die Bewertungen in der Nähe des europäischen Durchschnitts (26 Prozent).
Online-Gesundheitsdaten: Deutsche sind zurückhaltend
In der Frage, ob medizinische Daten für Bürgerinnen und Bürgern online zur Verfügung stehen sollen, ist die europäische Öffentlichkeit gespalten. Eine knappe Mehrheit von 52 Prozent wünscht sich dies, 43 Prozent lehnen es ab. Während sich in Finnland 82 Prozent der Menschen wünschen, auf die eigenen Gesundheitsdaten online zugreifen zu können, wollen das in Deutschland nur 38 Prozent. Beeinflusst wird die persönliche Einschätzung von Alters- und Bildungseffekten: 64 Prozent der unter 40-Jährigen in Europa wünschen sich den persönlichen Online-Zugriff auf die eigenen medizinischen Daten, in der Altersgruppe der über 54-Jährigen sind es nur 38 Prozent. In der niedrigsten Bildungsgruppe sagen dies 27 Prozent, in der höchsten dagegen 66 Prozent.