Staatenloses Internet sucht Völkerrecht
„Wir werden uns auf internationaler Ebene für ein Völkerrecht des Netzes als UN-Charta einsetzen“, steht im Entwurf des Koalitionsvertrags zwischen Union und SPD. Bereits während der Sondersitzung des neuen Deutschen Bundestages zur NSA-Affäre am 18. November 2013 forderte SPD-Fraktionschef Steinmeier „ein Völkerrecht im Netz“. Ein Völkerrecht des Netzes, ein Völkerrecht im Netz – was mag das sein?
Ein gemeinsames Wertesystem?
Die bestehenden Regulierungen und zuständigen Einrichtungen sind ein internationaler Dschungel aus kaum zu überblickenden Akteuren und Handlungsmöglichkeiten. Es gilt also, einen sinnvollen und länderübergreifenden Ansatz zu finden, um sich einem Völkerrecht des Internets zu nähern. Der SPD-Abgeordnete Steinmeier erklärte in seiner Rede, es müssten verlässliche Vereinbarungen mit anderen Staaten geschaffen werden, um Spionage zu verhindern. Dies sei nicht durch technische Abschottung zu erreichen, betonte er im Hinblick auf Vorschläge der letzten Wochen, das Internet mit nationalen Grenzen zu beschränken. Die Herausforderungen dieses Jahrhunderts bestünden darin, die technischen Möglichkeiten in Recht zu übersetzen, sagte Steinmeier.
Der CDU-Netzexperte Thomas Jarzombek meinte kürzlich auf einer Veranstaltung in Berlin, die Form der Internetregulierung sei auch eine Frage der Gesellschaftsordnung. Aus diesem Grund hätte Deutschland auch den Internationalen Telekommunikationsvertrag (ITRs) nicht unterzeichnet. Innerhalb der Trägerorganisation, der Internationalen Fernmeldeunion ITU, herrschte damals bei mehreren Staaten Zweifel, ob man dadurch nicht einigen – weniger demokratisch gesinnten – Mitgliedern die staatliche Zensur des Internets ermögliche. Als Gegenargument führte der Grünen-Politiker und Abgeordnete des EU-Parlaments Jan Philipp Albrecht an, dass man erst recht nichts verändern könne, wenn man sich auf eine Koalition der Demokratien beschränkt.
Internationale Einigung zur Internetregulierung ist erfahrungsgemäß schwierig
Legt man der Regulierung des Internets also kein Wertesystem zugrunde, dann steht jedem unabhängigen Staat offen, einen völkerrechtlichen Vertrag einzugehen, um netzpolitische Fragen zu klären und sich auf gemeinsame Grundlagen zu einigen. Genau dies hatten die Staaten auf der World Conference on International Telecommunication (WCIT) im Dezember 2012 in Dubai für die Informations- und Kommunikationstechnologien versucht. Ein großer Streitpunkt blieb allerdings die Frage, ob das Internet Teil der Verhandlungen und somit Teil der Regulierung sei.
Letztendlich wurden im Laufe der ITU-Weltkonferenz zwar neue Telekommunikationsregeln verabschiedet, jedoch ohne die Stimme der Bundesregierung. Grund für die Zurückhaltung waren die höchst umstrittenen Vorschläge, die von China, Russland und den Vereinigten Arabischen Staaten in die Verhandlungen eingebracht wurden. Mit der Ausweitung der ITRs auf das Internet wären Netzinhalte für Regierungen teilweise kontrollierbar. Viele Staaten fürchteten daraufhin, mit dem Beschluss des Vertrages Maßnahmen von Zensur und Überwachung zu legitimieren. Besonders die US-Delegation hatte sich strikt dagegen gewehrt, das Thema Internet überhaupt in die Sitzungen einzubeziehen, geschweige denn in den Vertrag aufzunehmen. Am Ende unterzeichneten 89 der 193 Mitgliedsstaaten den völkerrechtlich bindenden Vertrag. Für alle anderen gilt weiterhin die alte Version aus dem Jahr 1988.
Weitere internationale Anlaufpunkte
Neben der sehr global aufgestellten ITU gibt es jedoch noch weitere Akteure, die für Regulierungsansätze in Frage kämen. Die Welthandelsorganisation (WTO) könnte eine wichtige Rolle bei der Regelung des Internets spielen. Ihr Freihandelssystem und die Bestimmungen über den Zugang zu Telekommunikationsmärkten sowie über die Rahmenbedingungen des elektronischen Handels bieten entsprechende Ansätze. Etwas spezialisierter, doch ebenfalls aktiv in diesem Bereich, ist die World Intellectual Property Organisation (WIPO), die seit den 1970er Jahren im System der Vereinten Nationen verankert ist und sich für den Schutz geistigen Eigentums einsetzt. Geistiges Eigentum wird bereits seit 1995 durch das TRIPS-Abkommen geschützt. Auch die UNESCO befasst sich im Rahmen ihrer Tätigkeiten in den Feldern Erziehung, Wissenschaft und Kultur verstärkt mit Informationstechnologien und wäre demnach ebenfalls ein Anlaufpunkt für die Entwicklung des internationalen Rechts.
Die ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) ist zwar keine staatlich getragene Organisation, sondern besteht seit 1998 als privatrechtlich organisierte gemeinnützige Gesellschaft mit Hauptsitz in Kalifornien, besitzt aber durchaus regulierende Funktion. Sie ist zuständig für die Verwaltung und Überwachung des Domain Namen-Systems, die Verteilung von IP-Adressen, die Entwicklung neuer und allgemeiner Standards und Protokolle für das Internet. Europäische Bemühungen, die Kompetenzen auf internationale Ebene zu übertragen, blieben bislang erfolglos.
Ein Völkerrecht als Einigung aller Völker
Dass es bisher noch keine World Internet Organisation gibt, liegt zum Teil auch daran, dass das Internetrecht ein Querschnittsgebiet ist. Das wurde schon hierzulande bei den jüngsten Koalitionsverhandlungen deutlich, in denen netzpolitische Themen in den Arbeitsgruppen Justiz, Inneres, Kultur und Medien sowie der Unterarbeitsgruppe Digitale Agenda diskutiert wurden. Wenn ein internationaler Ansatz gefunden werden soll, könnte dies über einen Multi-Stakeholder-Ansatz gelingen, d.h. ein Vertrag müsste unter Beteiligung von Regierungen, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft ausgehandelt werden. Ein Rechtssoziologe weist zudem darauf hin, dass jegliche Form der Regulierung des Internets verhindert werden muss, durch die „machtvolle private ökonomische Interessen“ oder „Staaten, die in der Computertechnologie führend sind“, anderen ihre jeweiligen Wertvorstellungen oktroyieren können. Ob eine UN-Instanz diesen Forderungen gerecht werden könnte, bleibt bisher ebenso offen wie die Frage nach der Durchsetzbarkeit von völkerrechtlichen Verträgen.
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Berliner Informationsdienst auf UdL Digital. Aylin Ünal ist als Redakteurin des wöchentlich erscheinenden Monitoring-Services für das Themenfeld Netzpolitik verantwortlich.