Splinternet: Wird das Internet zersplittern?

Fotos: Pixabay User kirahoffmann und geralt | Ausschnitt bearbeitet | Montage | Farben angepasst
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Veröffentlicht am 12.08.2022

Wer sich das Internet vorstellt, denkt womöglich an ein internationales Netzwerk, ein staatenübergreifendes, dezentrales System, in welchem Menschen über tausende Kilometer hinweg kommunizieren, sich kennenlernen, streiten und letztlich eine Art Weltgemeinschaft bilden. Das World-Wide-Web. Aber leben wir noch in einem Internet oder ist das sogenannte Splinternet schon längst Realität?

Bereits seit vielen Jahren sind Menschen im Iran oder Nordkorea fast abgeschirmt von der internationalen Netzgemeinschaft. Nicht zuletzt hat China mit der sogenannten Great Firewall sehr früh weitgehende Kontrolle über „sein Internet“ gewonnen. Die Aufteilung des Internets in separate Kommunikations- und Erfahrungsräume ist – teils – bereits Realität und wird in Expert:innen-Kreisen als Splinternet oder die „Balkanisierung des Internets“ bezeichnet.

Während es diese Begriffe schon seit mehr als einem Jahrzehnt gibt, gewinnen sie in Fachkreisen nun wieder an Konjunktur. Insbesondere durch eine massiv zunehmende Zensur in Russland, denn im März sperrte der Kreml fast alle internationalen Plattformen wie Twitter und Facebook. Doch das Phänomen Splinternet geht über die Aufteilung in nationale Sphären hinaus.

Was ist das Splinternet?

Die Aufsplitterung des Internets kann neben nationalstaatlichem Einfluss auch in religiösen Filterblasen, in politischer Spaltung oder in unterschiedlicher technologischer Teilhabe begründet sein. Jeder dieser Faktoren führt zu eigenen Abspaltungen, eigenen Sphären der Kommunikation und des Informationskonsums.

Aber auch kommerzielle Interessen können zum Splinternet-Phänomen führen: beispielsweise bei der Paywall einer Tageszeitung oder bezahlten Memberships auf Sozialen Netzwerken. Hier zeigt sich das Splinternet eher als ein Problem der Teilhabe.

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Foto: CC0 1.0, Pixabay / geralt / Ausschnitt bearbeitet

Mit der Abschaffung der US-Netzneutralität unter Donald Trump hat sich hier ein weiterer Aspekt des Phänomens eröffnet. Netzneutralität bedeutet die verpflichtende Gleichbehandlung aller Inhalte. Durch eine Abschaffung könnten Netzbetreiber nun bestimmen, welche Inhalte sie regional schneller oder langsamer laden lassen wollen – und die Priorisierung letztlich monetarisieren.

Doch in den prominentesten Fällen, der Trennung in geopolitische Sphären oder durch die Zensur autoritärer Staaten, äußert sich die Existenz des Splinternets insbesondere dadurch, dass Nutzer:innen durch eine einfache URL-Eingabe keinen Zugriff mehr auf digitale Inhalte und Räume finden. So sind Facebook, Yahoo und Google in China oder Snapchat, Twitter und Netflix im Iran bereits seit geraumer Zeit gesperrt.

Wie funktioniert das Splinternet?

Technisch gesehen wird die Zensur durch direkte Sperren von IP-Adressen durchgesetzt, alternativ durch eine live-geschaltete Schlagwort-Analyse von Daten oder auch die Kontrolle von digitalen Finanzflüssen.

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Gleichzeitig wird in verschiedenen Staaten Druck auf Betreiber und Nutzer:innen ausgeübt. In berechtigten Fällen geschieht das beispielsweise durch Urheberrechtsgesetze oder Regulierungen gegen Hass im Netz wie im Digital Services Act auf europäischer Ebene und dem NetzDG in der Bundesrepublik. Schlimmstenfalls geht es um die Zensur autoritärer Staaten wie die Angriffe des Kremls auf die Open-Source-Enzyklopädie Wikipedia. So sind die Repressionen gegen digitale Meinungsfreiheit in den letzten Jahren stetig gewachsen.

Eine solche Zensur wird in der Regel von alternativen Tools flankiert. Mit Yandex hat Russland sein eigenes Google gebaut, in China ist der Messenger WeChat nach der Bannung von Facebook geradezu explodiert. Yandex hat auf dem russischen Markt einen Anteil von 60 %. WeChat expandiert inzwischen sogar auf dem internationalen Markt und verzeichnet mehr als 1,2 Milliarden aktive Nutzer:innen, obwohl die Betreiber Daten systematisch an chinesische Behörden weiterleiten.

Inzwischen eskalieren diese Entwicklungen auf ein bisher unbekanntes Niveau. So wollen die russischen Gesetzgeber über die Blockade des bestehenden Internets hinausgehen und ein völlig abgekoppeltes Netzwerk bauen: eine Art Intranet namens „Runet“. Bereits 2019 unterzeichnete Wladimir Putin das sogenannte „Souveränes Internet Gesetz“. Seitdem liegt eine Art Filter vor nahezu allen Netzaktivitäten.

Setzt sich das Splinternet durch?

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Viele Beobachtende sehen das Internet seit einigen Jahren an einem Wendepunkt. Aber was kommt als nächstes? Das ist auch in Fachkreisen höchst umstritten. Denn neben der Splinternet-These werden oft nah beieinanderliegende oder komplementäre Utopien wie das Metaverse, das Web 3 oder ein Industrial Internet of Things (IIoT) diskutiert. Und selbstverständlich bleiben auch ein eher stagnierender Weg oder schlicht die Fortsetzung der Tendenzen des sogenannten Web 2.0, also eine fortwährende Kommerzialisierung und Zentralisierung des World-Wide-Web, realistische Szenarien.

Neueste Analysen weisen aber darauf, dass die Splinternet-Theorie zunehmend zur Praxis wird. Als Beispiel kann weiterhin Russland gelten. Mit dem im März erlassenen sogenannten Falschnachrichten-Gesetz können angebliche „Fake News“ mit empfindlichen Geld- und Gefängnisstrafen geahndet werden. TikTok ist inzwischen die einzige noch in dem Land operierende größere internationale Plattform. Und die Video-Plattform zahlt einen hohen Preis für die Weiterbetreibung: Eine Analyse des Think Tanks Tracking Exposed hat ergeben, dass TikTok weit über das Gesetz hinausgeht. So waren im März etwa 95 % der Inhalte auf der Plattform in Russland nicht abrufbar.

Foto: Pixabay User solenfeyissa | CC0 1.0 | Ausschnitt bearbeitet

Gleichzeitig gibt es Anzeichen, dass die weltweite Vernetzung der letzten Jahrzehnte eine Eigendynamik entwickelt hat, die womöglich nicht mehr aufzuhalten ist. So scheint der anfängliche Erfolg der russischen Google-Alternative Yandex inzwischen deutlich abzuflauen. Und die VPN-Nutzung in Russland hat seit dem Beginn des Ukrainekriegs und der damit einhergehenden Zensur die Appstore-Charts dominiert. Nicht zuletzt luden viele Russ:innen im März schlicht tausende Wikipedia-Artikel auf ihre Festplatten, als eine erste Sperre drohte.

Ob das World-Wide-Web also tatsächlich zerfällt, ist noch abzuwarten. Sicher ist, dass es autoritäre Herrscher versuchen werden. Auch gegen den Willen ihrer Bevölkerung.

Mehr Informationen:

Dezentrales Internet: Was ist das Web 3?
Metaverse: Die Zukunft des Internets?
Internet-Zensur Studie: Wie frei ist das Netz?

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