Serie zur Europawahl: Für mehr Frauen in der Politik
Was hat Berlin seit diesem Jahr mit Russland, Kuba und Angola gemein? Richtig, der internationale Frauentag ist hier gesetzlicher Feiertag. Hundert Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland begeht Berlin diesen Feiertag am 8. März zum ersten Mal. Das Motto des diesjährigen International Women’s Day (IWD19) lautet #BalanceforBetter. Ziel ist eine „gender-balanced world“ in allen Lebensbereichen.
Auch in der Politik stellt sich kurz vor der Europawahl im Mai 2019 die Frage, inwieweit Frauen gerecht in politischen Ämtern vertreten sind. Anlass für uns einen Blick auf den vor kurzem veröffentlichten Bericht „Women in politics in the EU“ des Wissenschaftlichen Dienst des Europäischen Parlaments (EPRS) zu werfen. In einem 12-seitigen Briefing erörtert die Denkfabrik des EP, wie es um die Gleichberechtigung der Geschlechter in der EU und seinen Mitgliedsstaaten steht und welche Anstrengungen auf dem Weg dorthin in der EU unternommen werden.
Frauen unterrepräsentiert in europäischer Politik
Ein Blick auf EU-weite Daten liefert ein klares Ergebnis: Frauen sind in Entscheidungspositionen auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene immer noch unverhältnismäßig schwach vertreten. Der Gender Equality Index des European Institute for Gender Equality (EIGE) zeigt, dass zwar im Bereich „power“ in den letzten zehn Jahren am meisten Fortschritt zu verzeichnen war. Allerdings besteht hier nach wie vor die größte Ungleichheit zwischen den Geschlechtern.
Im EU-Parlament wächst der Anteil von Frauen seit der ersten Wahl 1979 stetig – von 16,6 Prozent auf aktuell 36,1 Prozent. Von dem Ziel einer „gender balance“, das sich das Parlament mit 40 Prozent vorgenommen hat, oder gar einer Parität mit 50 Prozent ist man aber noch weit entfernt. Zudem gibt es erhebliche Länderunterschiede: So liegt der Frauenanteil bei den finnischen Abgeordnet*innen bei 76,9 Prozent, während er für Estland nur bei 16,7 Prozent liegt.
In jedem nationalen Parlament der EU sitzen mehr Männer als Frauen. Im deutschen Bundestag beträgt der Anteil an Frauen momentan 30,9 Prozent. Spitzenreiter in der EU ist Schweden mit 46,1 Prozent Frauen im nationalen Parlament, Schlusslichter sind Malta mit 11,9 Prozent und Ungarn mit 12,6 Prozent.
Auch außerhalb der politischen Ämter besteht immer noch eine Lücke zwischen Frauen und Männern in der politischen Partizipation. Für nationale Wahlen besteht kaum mehr ein Unterschied in der Beteiligung zwischen Männern und Frauen. Allerdings existiert der „gender gap“ nach wie vor bei sogenannten „second-order“ Wahlen, zu denen Europa- und Landtagswahlen gehören.
Als Gründe für die Unterrepräsentierung von Frauen in der Politik identifiziert der Bericht mehrere Faktoren. Dazu gehören das Fehlen von Ressourcen, wie Geld und politische Netzwerke, eine von Männern dominierte politische Kultur sowie Vorurteile und Stereotypen gegenüber Frauen in der Politik. Weiter wird auch die Rolle von Parteien unter anderem bei der Besetzung von Listenplätzen genannt. Auch einige Wahlsysteme wirken als institutionelle Barrieren.
Was tun für mehr Gleichberechtigung?
Auf internationaler Ebene setzen die Vereinten Nationen Standards und Ziele für Gleichheit von Frauen und Männern in Entscheidungspositionen und für die Partizipation am öffentlichen Leben. Auf EU-Ebene setzt die Kommission in ihrer Strategie zur Gleichberechtigung auf Erhebung von Daten und finanzielle Unterstützung. Der Rat spricht sich bei der Besetzung von Listenplätzen für das Parlament und wichtigen Ämtern in der Kommission für „zipped systems“ aus. Dabei werden Parteien dazu verpflichtet, auf den Listen abwechselnd weibliche und männliche Kandidat*innen zu stellen.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarats (PACE), das Europäische Parlament, das EIGE und die European Women’s Lobby (EWL) setzen sich alle für einen „holistischen Ansatz“ mit „harten“ und „weichen“ Maßnahmen ein, um eine „gender balance“ in der Politik zu erreichen. Zu den harten Maßnahmen zählen gesetzliche Quoten und Wahlrechtsänderungen. Weiche Maßnahmen, wären freiwillige Quoten oder die Bereitstellung von finanziellen Mitteln und Weiterbildungsmaßnahmen.
Im puncto Quoten verweist die EP-Denkfabrik auf Forschungsergebnisse, die positive Effekte auf die Beteiligung von Frauen im politischen Prozess zeigen. Essentiell für die Effektivität von Quoten sei allerdings, dass diese an die jeweiligen Wahlsysteme angepasst werden, eindeutige Regeln zur Verteilung von erfolgsversprechenden Listenplätzen enthalten und bei Nichteinhaltung geahndet werden.
Eine sehr wichtige Rolle bei der geschlechtlichen Gleichberechtigung in Politik spielen Parteien. Diese sollten laut dem Briefing ein Statement zu „gender equality“ in ihren Programmen verankern, die Thematik in alle Entscheidungen einfließen lassen, und die Kandidatur von Frauen für Ämter gezielt fördern.
Auch der Einfluss der Medienpräsenz wird im Bericht des Think Tanks angesprochen. Eine Langzeitanalyse zu europäischen Wahlen zeigt, dass Frauen in Medienbeiträgen unterpräsentiert sind. Dort, wo häufiger über weibliche Kandidaten berichtet wurde, gab es im Endeffekt auch mehr gewählte Frauen.
Soziale Medien bieten neue Möglichkeiten für Frauen in der Politik mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Vor allem in sozialen Netzwerken treffen diese jedoch auf Hass und psychologische Gewalt. Eine Umfrage unter weiblichen Parlamentarierinnen zeigte, dass besonders Politikerinnen und Kandidatinnen, die für Frauen- und auch insgesamt Menschenrechte eintreten, Ziel von sexistischen Angriffen und Gewalt waren.
Projekte zur Europawahl 2019
In der aktuellen Legislaturperiode befürwortete das Europäische Parlament die Einführung von Paritäts- und Quotensystemen in den Mitgliedsstaaten. Zudem setzte sich das Parlament für Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von sexueller Belästigung im politischen Leben ein. Im Zuge der Europawahl im Mai 2019 arbeitet das Parlament mit verschiedenen Frauenorganisationen zusammen, um deren Interessen in die Kampagnen einfließen zu lassen und mehr Frauen für die Wahl zu gewinnen. Sowohl als Kandidatinnen als auch Wählerinnen.
Die Europäische Frauenlobby, EWL, veröffentlichte ein Manifest zur Europawahl, in dem sie sich für Parität im Parlament und eine neue Kommissionsposition für Frauenrechte einsetzt. In einem weiteren Manifest, rief sie zudem die Parteien dazu auf, ihre Listen auszubalancieren, und die Mitgliedsstaaten für jede Kommissionsposition einen Mann und eine Frau zu nominieren und einen Rat für „Gender Equality“ einzusetzen.
Im Rahmen der Feierlichkeiten zum Weltfrauentag in Brüssel werden die einzelnen Parlamentsfraktionen ihre jeweiligen Ideen zur Stärkung von Frauen in politischen Ämtern präsentieren. Ob die Anstrengungen der verschiedenen Akteure Früchte tragen und der Anteil der Frauen im EU-Parlament weiter steigt, wird dann die Wahl im Mai erweisen müssen.