Regierungsbildung: Streit über Digitalministerium
Die fehlende Entscheidung bei den Koalitionsverhandlungen, ein Digitalministerium zur Koordinierung der bundesweiten Digitalpolitik einzusetzen, hat Teile von Wirtschaft und Gesellschaft schwer enttäuscht. Einer vom Bundesverband Deutsche Startups initiierten Petition mit dem Titel „Gesucht: Digitalminister (m/w)“ schlossen sich zahlreiche Verbände an.
„Wir können nicht einfach zuschauen, wie die mögliche neue Große Koalition im Bereich Digitales sehenden Auges auf Kompetenz-Wirrwarr und Stillstand zusteuert“,
sagt Florian Nöll vom Bundesverband Deutsche Starups. In dem Appell wird von CDU, CSU und SPD gefordert, eine/n Digitalminister/in zu ernennen.
Vor den Koalitionsverhandlungen habe ein Konsens zwischen den drei Parteien bestanden, zumindest einen Digitalstaatsminister im Kanzleramt zu installieren. Doch nun wird im Koalitionsvertrag lediglich die Einrichtung eines Digitalrates erwähnt, der einen engen Austausch zwischen Politik und nationalen sowie internationalen Experten ermöglichen soll. Für eine „Digitalagentur“, eine neue nachgeordnete Behörde, die die Bundesregierung unterstützten soll, gibt es lediglich einen Prüfauftrag. Grundsätzlich bleiben die Zuständigkeiten für Digitales über zahlreiche Ministerien verteilt.
„Es ist unverständlich, wie die Koalitionsparteien hinter diesen Konsens zurückfallen konnten“, heißt es in der Petition.
Initiatoren warnen vor einem Verschlafen der Digitalisierung
Die Initiatoren fürchten, dass ohne „echte Koordinierung“ die Digitalisierung verschlafen werde:
„Unsere Schulen und Universitäten stecken in der Kreidezeit fest, Staat und Verwaltung arbeiten analog. Beim Ausbau der Breitbandinfrastruktur fehlen wirksame Impulse und die Wirtschaft findet keine international wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen vor. Darunter leidet bereits heute die Innovationskraft“,
heißt es in dem Appell. Es folgt die Warnung:
„Wir drohen endgültig den Anschluss zu verlieren, mit fatalen Folgen für Arbeit, Wohlstand und sozialen Frieden.“
Unterstützt wurde die Petition von diversen Verbänden aus der Digitalbranche, darunter Bitkom, BVDW und eco, dem vom Bund finanzierten Deutschen Internet-Institut sowie dem CDU-nahen C-Netz und dem SPD-nahen Verein D64. Weitere der insgesamt 54 Verbände, die den Appell bis jetzt unterzeichneten, sind: der Verband Deutscher Metallhändler, der Handelsverband (HDE), der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne) und der Internationale Bund (IB), eine Organisation, die Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit betreibt.
In einem Interview mit Euractiv sagte Dr. Joachim Jobi vom Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), dass man aus der fehlenden institutionellen Verankerung der Digitalpolitik auf Bundesebene schließen könne, dass Digitalpolitik strukturell noch nicht den Stellenwert hat, den sie haben soll. „Die institutionelle Verankerung ist eine wichtige Frage“, betonte er. Zudem bemerkte er die Vorteile eines Digitalministers, auch bezogen auf die internationalen Ebene:
„Ein richtiger Digitalminister säße beispielsweise mit am Kabinettstisch und wäre daher viel besser in der Lage, auf Augenhöhe mit den anderen Ministern die Themen durchsetzen, die für die Digitalisierung wichtig sind. Diese Augenhöhe wäre auch bei den Ratssitzungen mit den europäischen Kollegen wichtig. Die anderen EU-Mitgliedsländer schicken dort größtenteils vollwertige Digitalminister zu den Treffen nach Brüssel.“
re:publica-Gründer warnt vor Scheitern
Doch die Forderung nach einem Digitalministerium stößt auch auf Kritik. Johnny Haeusler, u.a. Blogger und einer der Mitbegründer der Konferenz re:publica, sieht in der Einrichtung eines weiteren Ministeriums nur noch mehr Bürokratie.
„Ein eigenes Digitalministerium als Ansprechpartner für 14 bestehende Stellen nebst Lobbyisten stellt man sich in besonders optimistischen Momenten vielleicht als eine Art „Vollcheckeragentur für alles Digitale“ vor. Betrachtet man aber die ohnehin schon bestehenden Koordinationsprobleme zwischen den Ministerien, sind noch mehr Chaos, noch mehr Bürokratie und noch mehr Gerangel ebenso wahrscheinliche Szenarien“,
so Haeusler in einem Beitrag für Wired. Er wies darin außerdem auf die unterschiedlichen Vorstellungen hin, die Wirtschaftsverbände und Netzaktivisten von der Besetzung eines solchen Ministeriums hätten sowie darauf, dass die Schaffung des Digitalministeriums Verantwortung von den anderen Ressorts nehmen könnte.
Kritik aus der Wissenschaft
Dr. Christian Djeffal, Projektleiter IoT & eGovernment am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft warnte in einem Interview mit bento, ähnlich wie Johnny Haeusler, vor zu hohem Optimismus in Bezug auf die Funktionsfähigkeit eines Digitalministeriums. Zwar hätte es eine gewisse symbolische Wirkung, aber es könne auch sein, dass die Digitalisierung dadurch zurückgeworfen werde:
„Ein Digitalminister bedeutet, alle anderen sind keine. Das bündelt Verantwortung, wo sie eigentlich jeder übernehmen sollte und am Ende steht ein Sündenbock bereit.“
Reaktionen aus der Politik
Als Reaktion auf die Forderung nach einem Digitalministerium zitierte die CDU in einem Tweet den Staatsminister bei der Bundeskanzlerin, Helge Braun. Dieser sagte, dass das, was sie in der Substanz täten, wichtiger sei als Kompetenzverteilung. Die Grünen-Abgeordnete Anna Christmann betonte bei Twitter, die Initiative des Startup-Verbands müsse ein Weckruf für Union und SPD sein, die Digitalisierung im Kabinett aufzuwerten. Das ginge ihrer Ansicht nach allerdings auch ohne ein Digitalministerium. Gleichzeitig stellte sie klar:
„Aber als Anhängsel an Verkehr wird das nichts. Brauchen Kompetenzbündelung, klare Zuständigkeiten & Digitalstrategie.“
Ob die Forderungen nach einer stärkeren Bündelung der Digitalisierungs-Themen von den möglichen Koalitionären gehört und umgesetzt werden, wird sich in den Wochen nach der Regierungsbildung herausstellen – falls die SPD-Mitglieder dem Koalitionsvertrag zustimmen.