Regeln für die digitale Welt: Katrin Göring-Eckardt beim UdL Digital Talk
Bevor bei der US-Präsidentschaftswahl in der Nacht die Ereignisse ihren Lauf nahmen, wurde es abends zunächst einmal im Telefónica BASCAMP interessant. Welche Grundlagen und Werte gelten auch in Zeiten der Digitalisierung in unserer Gesellschaft? Und welche Bedingungen für Innovation müssen wir gleichzeitig für Wirtschaft und Wissenschaft schaffen? Diesen Fragen gingen am 8. November zwei hochkarätige Gäste beim UdL DIGITAL Talk „Daten. Macht. Ethik. Welche Regeln gelten?“ nach. Auf dem Podium: Katrin Göring-Eckardt, Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und Prof. Dr. Christoph Igel, wissenschaftlicher Leiter des Educational Technolgy Lab des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Berlin, moderiert von Cherno Jobatey.
Nationales Recht durchsetzen
Katrin Göring-Eckardt vertrat die Ansicht, dass es in erster Linie nicht darum geht, neue Gesetze zu schaffen, sondern darum, die bestehenden auch im Internet durchzusetzen. Die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin geht dabei selbst mit gutem Beispiel voran. Wenn sie in den Sozialen Netzwerken beleidigt wird oder Drohungen erhält, zeigt sie diese bei der Polizei an, sofern sich die Urheber ermitteln lassen. Besonders viele Vorfälle registriert die grüne Spitzenpolitikerin, wenn sie sich zum Thema Flüchtlinge geäußert hat. Danach müsse sie zumeist zwei bis zehn Delikte zur Anzeige bringen, erzählte sie beim 44. UdL Digital Talk. Angst, so Göring-Eckardt, habe sie nicht, sondern denke sich: „Jetzt erst recht!“
Die Ermittlungen gegen ranghohe Manager von Facebook wegen des Verdachts auf Beihilfe zur Volksverhetzung begrüßt Katrin Göring-Eckardt. Hakenkreuze seien in Deutschland verboten, wenn jemand so etwas poste, müsse das Konsequenzen haben. „Es muss hier jemand sitzen, der darauf achtet, dass unsere Gesetze eingehalten werden“, forderte die Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und verwies auf das sogenannte Marktortprinzip, wie es bereits in der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung vorgesehen ist. „In Deutschland müssen deutsche Regeln gelten, so viel ist mal klar“, sagte Göring-Eckardt. Wenn man hingegen auf internationale Regeln warte, könne man lange warten, prognostiziert die Politikerin mit Blick auf die erfahrungsgemäß langsamen Einigungsprozesse.
Überregulierung schadet Innovation
„Es werden die Regeln gelten, die wir haben wollen. Aber die Grenzen sind eben nicht mehr da rund um Deutschland und Europa“, verwies hingegen Christoph Igel auf die geänderten Rahmenbedingungen in Zeiten der Globalisierung. Er hält Deutschland für zu stark reguliert und hat schon selbst von den unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen auf internationaler Ebene profitiert: „Das ganze Regelwerk in Deutschland engt uns so stark ein, dass wir zum Teil in China forschen“, berichtete der Professor für Bildungstechnologien den Gästen des UdL Digital Talks im Telefónica BASECAMP. Auch in den USA gebe es deswegen so viel Innovation, weil dort weniger strenge Regeln herrschen. „Die Regeln werden genau deshalb gefühlt in den USA gemacht, weil wir hier die erste Digitalisierungswelle verschlafen haben. Wenn wir uns jetzt lange mit den Rechtsfragen dieser Entwicklung befassen, werden wir auch die zweite Digitalisierungswelle, das Internet of Things, verpassen“, warnte Igel.
Christoph Igel: „Wenn wir uns jetzt lange mit den Rechtsfragen dieser Entwicklung befassen, werden wir auch die zweite Digitalisierungswelle, das Internet of Things, verpassen.“
Der wissenschaftliche Leiter des Educational Technology Lab des DFKI fordert daher die Einrichtung von „Innovationsräumen“ in Deutschland – „um Neues auszuprobieren, wo nicht sofort die Regeln der Sozialpartnerschaft und des Datenschutzes gelten“. In solchen „Laborräumen“ sei Entwicklung und Innovation möglich, so Igel. Sein Diskussionspendant Katrin Göring-Eckardt steht Laborräumen für Wissenschaft und Wirtschaft zwar grundsätzlich offen gegenüber, betont aber auch, dass dies für sie nichts mit der „Schaffung von rechtfreien Räumen“ zu tun habe. „Bessere Bedingungen – ja, aber bei unserer Forschung wird vorher geregelt, was mit den Daten gemacht werden darf, dabei sollten wir bleiben“, plädierte die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion. Und sie erinnerte daran: „Regeln sind häufig die Rechte anderer. Verbraucherrechte hat sich das Land beispielsweise hart erkämpft. Die müssen stehen und die müssen gelten“, forderte Göring-Eckardt. Sie sei sehr dafür, die Chancen der Digitalisierung zu sehen, aber dafür brauche es Sicherheit und dafür müsse der Staat sorgen, so die Bundestagsabgeordnete aus Thüringen.
Ein Internetministerium für Deutschland?
Bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen der Digitalisierung sieht Katrin Göring-Eckardt Deutschland derzeit allerdings schlecht aufgestellt. „Politik kann was tun, aber momentan sind im Kabinett acht Leute dafür zuständig, also keiner“, monierte die Fraktionschefin der Grünen. Nach der nächsten Bundestagswahl müsse das besser geregelt werden, da müsse es einen Ansprechpartner in der Regierung geben, der für das Thema verantwortlich ist. Christoph Igel zeigte sich hingegen nicht davon überzeugt, dass eine Veränderung der Situation mit einem Ministerium gelingt und erinnerte daran, dass deutsche Ministerien im internationalen OSZE-Vergleich bezüglich der eigenen Digitalisierung noch nicht einmal mehr im Mittelfeld stehen. Es bestehe also ein großes Delta zwischen dem, was sie regeln sollen und dem, was sie selbst können und tun, so der Wissenschaftler.
Katrin Göring-Eckardt: „Politik kann was tun, aber momentan sind im Kabinett acht Leute dafür zuständig, also keiner.“
Ähnlich unterschiedliche Positionen vertraten die beiden Protagonisten auf dem Podium im Telefónica BASECAMP bei der Frage von Moderator Cherno Jobatey, ob Deutschland eine Datenethikkommission brauche, wie sie der netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Klingbeil, vor kurzem vorgeschlagen hat. „Ich würde mir das sehr wünschen, denn wir sind uns über viele Dinge noch nicht klar“, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen. Da könne besprochen werden, wie wir damit umgehen, „dass da gefühlt mehr und mehr ein rechts- und ethikfreier Raum entsteht“, argumentierte Göring-Eckardt. Christoph Igel hingegen möchte „nicht einfach nur eine Kommission daran setzen“. Der Professor ist überzeugt: „Wir brauchen Dialogformate und Interventionsmaßnahmen. Alt und Jung müssen sich mit den Fragen auseinandersetzen, wir müssen die Themen auf die Straße zu den Menschen bringen!“, denn Ethik werde „nicht in einer Kommission entstehen“.
Digitale Bildung für eine digitale Welt
Nach Ansicht von Christoph Igel ist darüber hinaus die Digitalisierung von Bildung in Deutschland notwendig. „Angesicht der Digitalisierung müssen wir uns fragen, welche Kompetenzen ergeben Sinn im schulischen Kontext und im hochschulischen Kontext, um junge Menschen auf den Weg zu bringen. Was brauchen sie, um auch mit den Inhalten von digitalen Medien kritisch umzugehen“, führte Professor Igel aus. Auf der anderen Seite brauche man seiner Ansicht nach natürlich auch die entsprechenden Formate. Für digitale Bildung keine digitalen Technologien zu nutzen, sondern Bücher, das würde er dann doch etwas befremdlich finden, gab der DFKI-Vertreter zu bedenken. Ein Problem sieht Katrin Göring-Eckardt aber darin, dass Deutschland im OSZE-Vergleich noch immer viel zu wenig Geld für Bildung ausgebe. Vielerorts reiche es nicht mal für saubere und funktionierende Schulklos, beschrieb die Fraktionschefin der Grünen die Lage. Zudem wüssten Kinder heute häufig mehr als Erwachsene. Bei ihr sei das auch so. Ihr Sohn fungiere jedenfalls dann als „digitaler Blindenhund“, wenn sie allein durch Ausprobieren nicht weiterkomme. „Wir müssen also erst einmal die Lehrer bilden“, forderte Katrin Göring-Eckardt. Da gebe es gute Ansätze, aber das sei noch kein Standard.
Das Video mit den Highlights des Udl Digital Talk wird demnächst hier veröffentlicht.