Politische Kommunikation: Wie Social Media bei Rücktritten in der Politik genutzt wird
Bereits vor dem Aus der Ampel-Koalition ist in den letzten Wochen viel Bewegung ins politische Berlin gekommen: Parteivorsitzende und Generalsekretäre traten zurück, Jugendvorstände verkündeten ihren Austritt, Bundestagsabgeordnete möchten bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten. Grund genug, einmal einen Blick auf die Kommunikation solcher Entscheidungen zu werfen und speziell die Rolle der Social-Media-Kanäle zu betrachten. Das Ende der aktuellen Regierungskoalition hat dazu auch einige kommunikative Highlights zu bieten.
Mit einem Knall und größtmöglicher medialer Aufmerksamkeit der eigenen Partei den Rücken kehren – das ist dem Bundesvorstand der Grünen Jugend Ende September auf jeden Fall gelungen. Kurz nachdem bereits die grüne Parteispitze ihren Rücktritt angekündigt hatte, wurde damals bekannt, dass der zehnköpfige Jugendvorstand die Grünen ganz verlassen möchte.
Grüne Jugend im medialen Windschatten
Die Medien berichteten dabei zunächst über einen parteiinternen Brief der Jugend, tags darauf stand aber bereits ihr Instagram-Beitrag im Fokus, der die Beweggründe für den Austritt und die Gründung einer neuen politischen Bewegung erklärte. Der vorbereitete Kanal „Zeit für was Neues“ bekam so viel Aufmerksamkeit und versucht seitdem mit Statements und Testimonials, wer noch dabei ist, weitere Interessierte zu gewinnen.
Die Kommunikation der Nachwuchspolitiker:innen im Windschatten der Berichte über die Parteispitze profitierte dabei ganz klar von der Aufmerksamkeit für die Rücktritte von Ricarda Lang und Omid Nouripour. Als Parteivorsitzende wählten diese zur Verkündung aber ganz klassisch den Auftritt vor Fernsehkameras und nutzten anschließend ihre Social-Media-Kanäle, um die dazugehörige Pressemeldung zu verbreiten. Per Instagram-Reel legten sowohl Lang als auch Nouripour zudem individuell dar, warum sie zurücktreten.
Lang garnierte ihren Rücktritt noch am gleichen Tag darüber hinaus mit einem Meme auf X – und nutzt ihre Kanäle seitdem fast täglich auch für humorvolle Kommentare zu aktuellen Debatten und zur politischen Konkurrenz.
Kühnert zurückhaltend, Scheuer mit Wut, Breton kreativ
Mit wesentlich weniger Begleitung in den sozialen Medien erfolgte dann knapp zwei Wochen später der sofortige Rücktritt von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert aus gesundheitlichen Gründen. Der Sache angemessen gab es auf seinen Kanälen dazu keine Videos oder ähnliches, sondern schlicht Postings auf Instagram und Facebook mit dem erklärenden Brief, der zuvor an die Parteimitglieder verschickt wurde. X bzw. Twitter hatte er bereits vor zwei Jahren den Rücken gekehrt.
Ganz anders gelagert war der Fall bei Andreas Scheuer, der einen Tag später mit Wut im Bauch zurücktrat, wenn auch nur von seinem Mandat im Passauer Stadtrat – und das per ausführlichem Instagram-Beitrag öffentlich machte. Der Ex-Verkehrsminister nutzte diesen Weg auch, um die vorherige Medienberichterstattung zu seinem neuen Posten als kommunaler Rechnungsprüfer zu kritisieren. Sein Rücktritt erreichte daraufhin auch bundesweites mediales Echo.
Ein ähnliches Beispiel, wenn auch kreativer und auf europäischer Ebene, lieferte bereits Mitte September der langjährige EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton, der nach einem Streit mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen seinen sofortigen Rücktritt auf X verkündete: Zunächst veröffentlichte er dazu das Bild eines weißes Portraits und der Überschrift „My official portrait for the next European Commission term“, um nur wenige Minuten später sein Rücktrittsschreiben an die Kommissionspräsidentin zu präsentieren.
Social Media folgt meist der parteiinternen Mitteilung
Deutlich weniger plakativ haben hingegen mehrere langjährige und prominente Bundestagsabgeordnete zuletzt ihre Abschiede aus dem Parlament nach der nächsten Wahl angekündigt. Das Muster ist dabei meist das gleiche: Zuerst wird der Abschied parteiintern kommuniziert und dann werden per Social-Media-Beitrag nochmal die Beweggründe nach außen erklärt. Den Anfang hatten zum Beispiel bereits im Juli Karamba Diaby (SPD) und Nadine Schön (CDU) gemacht, es folgten in den letzten Wochen etwa Petra Pau (Linke), Canan Bayram (Grüne) oder Renate Künast (Grüne), die dazu allerdings nichts postete.
Prominente Austritte musste kürzlich außerdem die Linkspartei in Berlin hinnehmen: Eine Gruppe von fünf Mitgliedern des Abgeordnetenhauses um den früheren Kultursenator Klaus Lederer veröffentlichte auf X eine gemeinsame Erklärung, warum sie ihre Positionen nicht mehr in der Partei repräsentiert sehen – inklusive des Hinweises, für weitere Presseanfragen dazu nicht zur Verfügung zu stehen. Dies zeigt eine weitere Möglichkeit auf, wie Social Media hier genutzt werden kann.
Abschied von der Ampel und Debatte um Volker Wissing
Mit der Entlassung Christian Lindners als Bundesfinanzminister war vergangene Woche das Ende der Ampel-Koalition besiegelt. Ein in Deutschland eher ungewöhnlicher Vorgang, der naturgemäß auf allen Kanälen intensiv begleitet wurde. Gerade Journalist:innen nutzten ihre Social-Media-Accounts in diesem Fall, um quasi in Echtzeit die Ergebnisse des regierungsinternen Krisentreffen zu berichten.
Besondere Aufmerksamkeit bekam auch die Entscheidung von Bundesminister Volker Wissing, im Amt zu bleiben und aus der FDP auszutreten. Schon während er bei einem Statement vor Medien seine Entscheidung mit seinem Verantwortungsgefühl begründete und die Fähigkeit Brücken zu bauen als „Dienst an der Gesellschaft“ bezeichnete, nahm die Diskussion auf social Media an Fahrt auf. Die FDP-Abgeordnete Linda Teuteberg twitterte kurz und klar: „Differenzierungsfähigkeit und Menschenkenntnis. So wichtig.“ und zielte damit erkennbar in Richtung Christian Lindner, der sie 2020 nach kurzer Amtszeit als FDP-Generalsekretärin durch Volker Wissing ersetzt hatte. Kurz darauf erklärten die drei parlamentarischen Staatssekretäre von Volker Wissing via X, dass sie das Vertrauen in ihren Chef verloren haben. Eine vorbereitete Erklärung von Daniela Kluckert, Oliver Luksic und Gero Hocker fand auf der Plattform große Resonanz.
Eine weitere Folge des Umbruchs in der Bundesregierung: Mit Blick auf den kommenden Wahlkampf meldet sich nun Wirtschaftsminister Robert Habeck auf X zurück, dem er 2019 den Rücken gekehrt hatte – gewissermaßen ein Rücktritt vom Rücktritt.
Wie die hier präsentierten Beispiele zeigen, bespielen Politiker:innen bei Rücktritten ihre Social Media-Kanäle oft fast zeitgleich zu den klassischen Medien, um ihre Gründe und Botschaften zu vermitteln. Und wenn etwas exklusiv auf Social Media verkündet wird, wie im Fall Scheuers, Bretons oder der Linken-Abgeordneten, wird dies medial ebenfalls meist dankbar aufgegriffen und berichtet. Damit geht zwar keine Deutungshoheit für die Politiker:innen über ihre Ankündigungen einher, aber zumindest können sie die öffentliche Aufmerksamkeitsökonomie so durchaus für sich nutzen.
Ausgewählte Rücktritte & Abschiede der jüngsten Zeit
16. September: Thierry Breton tritt als EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen zurück.
25. September: Ricarda Lang und Omid Nouripour kündigen Rücktritt des gesamten Parteivorstands der Grünen an. Noch am Abend wird bekannt, dass der komplette Bundesvorstand der Grünen Jugend die Partei verlassen möchte.
7. Oktober: Kevin Kühnert tritt wegen gesundheitlicher Gründe als SPD-Generalsekretär und Bundestagsabgeordneter mit sofortiger Wirkung zurück.
8. Oktober: Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer gibt sein Mandat im Passauer Stadtrat zurück. Canan Bayram verzichtet wegen Entfremdung von den Grünen auf eine neue Kandidatur für den Bundestag.
11. Oktober: Petra Pau verkündet auf dem Berliner Landesparteitag der Linken, nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren.
23. Oktober: Die Berliner Landtagsabgeordneten Klaus Lederer, Carsten Schatz, Sebastian Schlüsselburg, Sebastian Scheel und Elke Breitenbach erklären ihren Austritt aus der Linkspartei.
6. November: Bundeskanzler Olaf Scholz verkündet die Entlassung von Finanzminister Christian Lindner und damit das Ende der Ampel-Koalition.