Politische Kommunikation auf Twitter: Interview mit Peter Altmaier
Der langjährige Bundesminister und Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) gilt als Twitter-Pionier der deutschen Spitzenpolitik. Nachdem er sich im Oktober 2021 aus der aktiven Politik zurückgezogen hat, konnten wir nun mit ihm darüber sprechen, warum und wie er Twitter bisher genutzt hat, wie sich die politische Kommunikation verändert hat und wie man mit Fehlern auf den eigenen Social-Media-Kanälen umgehen sollte.
Herr Altmaier, Sie sind seit September 2011 auf Twitter unterwegs und haben seitdem fast 13.000 Tweets abgesetzt. Was hat Sie damals dazu bewogen, auf dieser Plattform aktiv zu werden? Und wie haben Sie in Ihrem politischen Leben davon profitiert?
Jörg van Essen, ein geschätzter Bundestagskollege hatte mich darauf hingewiesen, dass auf Twitter über mich diskutiert wurde. Daraufhin habe ich mich näher mit Twitter beschäftigt und festgestellt, dass es eine veritable Diskussionsplattform mit schon damals beträchtlicher Reichweite war. Ich war dann der erste sogenannte „Reihe Eins-Politiker“, der selbst auf Twitter aktiv wurde.
Wie haben Sie Ihren Account als aktiver Spitzenpolitiker genutzt? Gab es zum Beispiel Veränderungen oder andere Herangehensweisen aufgrund Ihrer unterschiedlichen Funktionen in der Bundesregierung, etwa als Chef des Kanzleramts (2013-18) oder als Wirtschaftsminister (2018-21)?
Meine ersten 200 Tweets waren sicherlich die originellsten, auch wenn meine Reichweite damals noch nicht so groß war wie heute. Als Umweltminister habe ich vorrangig zur Energiewende getwittert und als Kanzleramtsminister eigentlich so gut wie gar nicht, weil mir die Gefahr von Missverständnissen zu groß schien. Als Wirtschaftsminister und seither habe ich Twitter wieder häufiger genutzt, wenn auch nicht exzessiv.
Der Diskussionscharakter hat sich bei manchen Teilnehmern in einen Kampagnencharakter gewandelt: Deshalb ist es kaum noch möglich, Missverständnisse oder falsche Behauptungen aufzuklären. Aber auch wenn ich nicht selbst getwittert habe, wurde mir das Medium als Mittel der Informationsbeschaffung unentbehrlich. Ich folge fast allen wichtigen deutschen, französischen, englisch/amerikanischen und niederländischen Medien, Journalisten, Influencern und spannenden Teilnehmern. Dadurch ist man oft bei den ersten, die über Vorkommnisse und Entwicklungen informiert sind. Selbst Agenturmeldungen oder „Breaking-News“ sind heutzutage auf Twitter verlinkt. Dadurch wird die tägliche Arbeit enorm erleichtert und beschleunigt. Und der Gesichtskreis enorm erweitert.
Sie sind schon lange in der Politik unterwegs. Inwiefern hat sich die politische Kommunikation in den vergangenen 20 Jahren aus Ihrer Sicht verändert und welche Rolle spielen die sozialen Medien dabei?
Als ich in der Politik anfing, wurden wichtige Agenturmeldungen noch auf Papier ausgedruckt und vorgelegt. Oder in den Wahlkreis gefaxt. Um ein Dementi oder eine Stellungnahme öffentlich zu machen, musste eine ganze Armada von Mitarbeitern in Marsch gesetzt werden, und selbst dann dauerte es oft Stunden oder einen ganzen Tag. Heute geht es – wenn erforderlich – in Minuten, und man kann es selbst erledigen. Das ist nicht nur für Politiker wichtig: Wenn bei einer Ölgesellschaft eine Bohrinsel brennt, kann man auf Twitter am schnellsten Entwarnung geben, wenn der Brand gelöscht ist.
Wichtig ist vor allem die Interaktion zwischen den klassischen Medien, Presse, Funk und Fernsehen und den neuen Social Media: Früher waren wichtige Informationen über Vorgänge oder Politiker oft nur den Lesern einer Zeitschrift bekannt, heute werden sie verlinkt und sind im Netz weltweit einsehbar. Wenn ich mich zum Beispiel über die neuesten Entwicklungen im Krieg gegen die Ukraine informieren möchte, geht das so am schnellsten. Und aufgrund der bei Twitter eingebauten Übersetzungsfunktion kann ich sogar auf ukrainische, türkische oder russischsprachige Tweets zugreifen, auch wenn die Übersetzungen häufig noch etwas holprig sind.
Ich warne übrigens davor, Social Media generell mit der öffentlichen Meinung zu verwechseln: Die Twitter-Bubble ist zwar inzwischen recht groß, aber dennoch ist es nur eine kleine Minderheit, die dort unterwegs ist. Aber indirekt ist der Einfluss groß, denn viele Redakteure der klassischen Medien bedienen sich ihrerseits auf Twitter, und so kommen die unterschiedlichen Welten immer wieder zusammen.
Umfragen zeigen, dass der Hauptgrund für politisch Interessierte, keine politischen Ämter anzustreben, die Angst vor Belästigungen und Hass ist. Vor allem auf kommunaler Ebene führt das zu einem personellen Engpass. Tragen soziale Medien durch das Zulassen von Hass zur Aushöhlung der Demokratie bei? Was können wir dagegen unternehmen?
Diejenigen, die auf Twitter Hass und Häme verbreiten, haben früher anonyme Briefe geschrieben und Telefonterror gegen einzelne Politiker organisiert. Aber auf Social Media ist die Hemmschwelle niedriger. Deshalb muss man dagegen vorgehen: Am besten, indem man derartige Teilnehmer von sich aus „blockt“. Außerdem halte ich es für richtig, strafrechtlich relevante Inhalte von vornherein und generell zu sperren.
Außerdem würde ich mir wünschen, dass in der Schule und an der Uni pro-aktiv über die Rolle und Bedeutung von Social Media informiert wird, und dass man dort lernen kann, wie man zum Beispiel Fake-News von seriösen Inhalten unterscheiden kann. Das ist übrigens gar nicht so schwer, aber man muss eben auch wissen wie. Vielleicht wäre es eine gute Idee, wenn „seriöse“ Medien eine Plattform bilden und dort auch vor „unseriösen“ Accounts warnen würden. Wenn Politiker dies tun, geraten sie schnell in den Verdacht, die Pressefreiheit beeinflussen zu wollen, und das wäre fatal.
Wird der sogenannte Digital Services Act, der europäische Versuch der Netzwerkregulierung, aus Ihrer Sicht hier schlagkräftiger sein als das deutsche NetzDG?
Das kann ich noch nicht beurteilen, aber ich hoffe auf Verbesserungen.
Zurück zu Twitter: Welchen Tweet würden Sie als Ihren bisher erfolgreichsten ansehen? Und können Sie sich an einen Tweet erinnern, den Sie im Nachhinein lieber nicht gesendet hätten?
Wenn es um Tweets zur persönlichen Situation geht, wie z.B. bei Entwarnung nach einer plötzlichen Aufnahme ins Krankenhaus, sind Anteilnahme und damit auch „Likes“ gigantisch hoch. Aber selbst bei einem sehr harmlosen Tweet, als ich neulich ein Foto meiner Bücherwand teilte, kamen rund 500.000 Interaktionen (Impressions) zustande.
Es gibt natürlich auch Tweets, die ich im Nachhinein lieber nicht gesendet hätte, zum Beispiel, wenn ich versehentlich Twitter benutzt habe, wo ich einfach eine SMS schreiben wollte. Aber zum Glück, legt sich die Aufregung dann meisten so schnell wie sie hochgekocht ist.
Würden Sie sagen, dass sich die Fehlerkultur in der Politik durch die digitale Kommunikation verändert hat? Wenn ja, wie würden Sie diese Veränderung bewerten?
In der deutschen Politik spielt Twitter immer noch eine eher untergeordnete Rolle, im Vergleich zu den USA oder zu Großbritannien. Deshalb kann ich auch keine direkten Auswirkungen auf die Fehlerkultur erkennen: Entschuldigungen sind auf Twitter eher die Ausnahme, das Eingestehen von offensichtlichen Fehlern leider auch.
Twitter verleitet dazu, dass man sich schnell öffentlich zu einem Thema positioniert. Dabei kann kommunikativ auch mal was schiefgehen. Wie sollte man damit umgehen: den eigenen Fehler einräumen, den Tweet löschen, den Edit-Button herbeisehnen – oder gleich den Account schließen?
Das muss jeder für sich entscheiden. Wenn man als Politiker einen Tweet löscht, muss man damit rechnen dass andere User den gelöschten Tweet wieder ins Netz stellen und so erst recht die Aufmerksamkeit darauf richten. Ich plädiere dafür, Irrtümer offen einzugestehen und auch mal zu sagen, dass man zu schnell war oder von anderen eines Besseren belehrt wurde.
Wie bewerten Sie die Entwicklung von Twitter in den vergangenen zehn Jahren? Und können Sie sich vorstellen, in Zukunft dort weiter präsent zu sein, auch wenn jemand wie Elon Musk irgendwann tatsächlich die Plattform übernimmt?
Ich gehöre sicherlich zu denen, die keine negative Meinung über Elon Musk haben. Ohne ihn hätten viele Innovationen, die zum Beispiel für den Klimaschutz wichtig sind, wie zum Beispiel die Elektromobilität, nicht so schnell den Durchbruch geschafft. Deshalb hatte ich, ehrlich gesagt, keine besonderen Befürchtungen, als es hieß, er wolle Twitter kaufen. Viel problematischer wäre es, wenn sich Vertreter autoritärer oder totalitärer Regime an die Übernahme von Social Media machen würden.
Ich fühle mich auch nach 10 Jahren auf Twitter noch überwiegend wohl. Als „Rentner“ der ich jetzt ja bin, werde ich Twitter selbstverständlich weiter nutzen, aber auch dabei die Kirche im Dorf lassen.
Zum Abschluss: Ein neues Mitglied des Bundestages fragt Sie nach Rat über digitale Kommunikation allgemein und Twitter im Speziellen. Was geben Sie ihm oder ihr mit?
Dass er mit Sinn und Verstand an die Sache herangehen soll. Er soll sich genau überlegen, wem er folgt und wem nicht, soll versuchen auf Twitter genauso höflich und rücksichtsvoll zu sein, wie im realen Leben, und er sollte Twitter nicht als Wahlkampf mit anderen Mitteln verstehen. Tweets, die nur Parteisprech ablassen, haben in aller Regel keine große Reichweite.