Politische Kommunikation auf Social Media: Worüber twittern die Bundestagsabgeordneten?
Die Zeit der Koalitionsverhandlungen ist für die Bundestagsabgeordneten und ihre Kommunikation eine besondere Phase: Aus den einzelnen Arbeitsgruppen soll möglichst wenig nach außen dringen, während die Parlamentarier:innen ihre Arbeit erst richtig mit der Regierungsbildung und den neuen Ausschüssen aufnehmen können. Womit befüllen die Mitglieder des Bundestags (MdB) also derzeit ihre Social-Media-Kanäle?
Aus den 22 Arbeitsgruppen zur Vorbereitung der Ampel-Koalition war lange Zeit wenig bis gar nichts zum aktuellen Stand der Verhandlungen zu hören. Diese – im Vergleich zu den Regierungsverhandlungen von 2017 – neue Schweigsamkeit hat gute Gründe: Zum einen scheint niemand der Beteiligten das angestrebte Ampelbündnis durch öffentliche Äußerungen oder durchgestochene Informationen gefährden zu wollen. Zum anderen trägt sicherlich auch die klare Ansage der Partieführungen „Wer redet, der fliegt“ zu höherer Selbstdisziplin bei. Schließlich möchten alle, die mitverhandeln, dabei bleiben und nicht aufgrund eigener Indiskretionen von möglichen Posten innerhalb der neuen Regierung ausgeschlossen werden.
Wer deshalb jenseits knapper journalistischer Berichte oder Tickermeldungen auf interessante Einblicke in die Verhandlungen auf den Social-Media-Kanälen der Politiker:innen hofft, wird bislang enttäuscht. Worüber sprechen sie aber dann in dieser eher langsamen Phase des politischen Betriebs? Es ist Zeit, sich die Social Media-Aktivitäten einiger Bundestagsabgeordneten einmal näher anzusehen.
Zahl der twitternden Abgeordneten nimmt weiter zu
Wir legen den Fokus dabei auf Twitter als die Social Media-Plattform, die im politischen Berlin noch immer am beliebtesten ist. Immerhin haben mittlerweile 82 Prozent der aktuellen Bundestagsabgeordneten (605 von 736 MdB) einen eigenen Twitter-Account, wie eine aktualisierte Liste des Politikberaters Martin Fuchs zeigt. Damit ist ihre Zahl seit Anfang 2019 noch einmal gestiegen.
Betrachtet man allein die Themen und Begriffe, die im Oktober am häufigsten von den MdB auf Twitter angesprochen wurden, zeigt sich deutlich, dass der Monat nach der Wahl von Glückwünschen zu gewonnen Mandaten dominiert wurde. Aber auch die Spitzenkandidat:innen, die Sondierungen und die Neuformierungen innerhalb der Fraktionen und Parteien spielten natürlich eine wichtige Rolle. Und es kamen tagesaktuelle Ereignisse und Aufregerthemen wie der Große Zapfenstreich vor dem Reichstagsgebäude oder die politische Situation in Österreich ebenso zur Sprache wie die Entwicklungen in der Corona-Pandemie.
Am aktivsten waren im Oktober übrigens zwei Abgeordnete der abgelösten Großen Koalition: Ralf Stegner (SPD) mit 388 und Matthias Hauer (CDU) mit 315 Posts. Bei so vielen Beiträgen ist die Bandbreite der angesprochenen Themen recht groß. Neben parteipolitischen und inhaltlichen Positionierungen bietet Stegner, der als Freund klarer Worte gilt, seinen 63.000 Followern unter anderem Einblicke in seinen Arbeitsalltag, tägliche Musiktipps und Kommentare zum Hamburger SV, aber auch historische Erinnerungen, z.B. an das Wirken Willy Brandts oder an Ermordete im KZ Auschwitz. Der weniger bekannte CDU-Abgeordnete Hauer, der aus dem einflussreichen Landesverband Nordrhein-Westfalen kommt und seit 2013 sowohl im Bundestag als auch bei Twitter zu finden ist, kommentierte vor allem das Geschehen innerhalb der Unionsparteien, das sich formierende Ampel-Bündnis sowie die Konstituierung des Parlaments.
Die meisten Interaktionen verzeichneten im Monat nach der Wahl naturgemäß die bekannten Spitzenpolitiker:innen wie Christian Lindner (FDP), Sahra Wagenknecht (Linke), Heiko Maas (SPD), Annalena Baerbock (Grüne) oder Jens Spahn (CDU). An der Spitze der einflussreichsten MdB auf Twitter stand im Oktober allerdings Karl Lauterbach (SPD), der sich als Mediziner und Gesundheitsökonom in der Corona-Pandemie medial stark profilieren konnte. Diese Bundestagsabgeordneten profitieren dabei nicht nur von ihrer Prominenz, die zu großen Followerzahlen führt, sondern auch von ihrer guten Vernetzung unter den twitternden MdB, wie eine dynamische Übersicht der Beratungsagentur pollytix strategic research verdeutlicht. Das sind die MdBs mit den meisten Interaktionen:
Zu den vielen Interaktionen bei Lauterbach trägt bei, dass die Corona-Pandemie als sein zentrales Thema angesichts der seit Wochen steigenden Infektionszahlen wieder relevanter wird. Für seine vielen Tweets über aktuelle Studien und Einschätzungen zur Pandemie, aber auch zum Klimawandel bekommt er dabei überdurchschnittlich viel Gegenwind bei Twitter – vor allem von Menschen, die ihn scheinbar zum Feindbild auserwählt haben und zum Teil auch bedrohen.
Christian Lindner hingegen kann als Zweitplatzierter bei den Interaktionen im Oktober wesentlich mehr positive Reaktionen verzeichnen. Das liegt zum einen an den etwas weniger polarisierenden Themen, zu denen er twittert, und zum anderen an dem breiten Zuspruch zu den bisher gelungenen Annäherungen von SPD, Grünen und FDP. So thematisierte Lindner auf seinem Kanal vor allem die Sondierungs- und Koalitionsgespräche und versucht, die Regierungsbildung durch sachlich-optimistische Tweets zu unterstützen. Forderungen an die möglichen Koalitionspartner werden hingegen vermieden und auch bei anderen Themen schlägt er einen eher staatsmännischen Ton an.
Twitters Nutzungszahlen in Deutschland gehen zwar weiterhin zurück und inzwischen wurde die Plattform auch von TikTok und Twitch in der monatlichen Nutzung überholt. Aber für das politische Berlin und nicht zuletzt die politische Meinungsbildung in der Bundesrepublik bleibt die Plattform ein zentrales, fast unumgängliches Instrument. Die nunmehr 605 twitternden MdB werden das wissen und uns sicherlich weiterhin informieren und nicht zuletzt: unterhalten.
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