Plattform-Alternative: Pläne für einen europäischen Datenraum
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Europa soll mit einem eigenen Datenraum unabhängig von großen US-Tech-Konzernen werden. Wie eine solche Plattform-Alternative zu Google oder Amazon aussehen könnte, zeigt die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) unter Federführung von acatech-Chef Henning Kagermann und BR-Intendant Ulrich Wilhelm. Bundeskanzlerin Angela Merkel befürwortet die Pläne einer europäischen Lösung.
Deutschland ist im digitalen Raum in vielen Fällen abhängig von großen US-Tech-Konzernen – bei Bürosoftware-Programmen von Microsoft, beim Online-Einkauf von Amazon bis hin zur privaten Kommunikation mit Freunden und Bekannten über Facebook, Whatsapp oder Twitter auf Smartphones von Apple. „Europa und seine Bürgerinnen und Bürger haben kaum gestaltenden Einfluss auf den digitalen öffentlichen Raum und damit über eine Infrastruktur, die zentral ist für das gesellschaftliche Leben, die politische Willensbildung, die individuelle Freiheit und Privatsphäre sowie die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit“, kritisiert die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech).
Eine Projektgruppe um acatech-Chef Henning Kagermann und den Intendanten des Bayerischen Rundfunks (BR), Ulrich Wilhelm, hat sich Gedanken über eine europäische Antwort gemacht. Konkret sieht ihr Vorschlag einen digitalen Datenraum für Europa vor – die „European Public Sphere“ (EPS). Ihr Konzept haben die Autoren in einem Impulspapier für die Politik zusammengefasst und am 14. Juli veröffentlicht. Wilhelm wirbt schon seit Jahren um politische Unterstützung für eine europäische Medienplattform. Nun findet er auch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Gehör. „Ich glaube, dass diese Pläne sehr gut sind“, sagte sie während ihres Besuchs bei Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) auf Schloss Herrenchiemsee. Die Politik könne dies aber nicht alleine umsetzen. „Zum Schluss zählt, was von den Menschen auch angenommen wird“, schränkte Merkel ein.
Kernideen des Impulspapiers
Ziel der Initiatoren ist, ein „alternatives europäisches Ökosystem“ zu gestalten. Die Bausteine dafür sind eine technologische Infrastruktur „für einen öffentlichen digitalen Raum“, offene und interoperable Technologien, eine Steuerungseinheit in Form einer Europäischen Digitalagentur und EPS-Alliance, ein aktiver Staat und die Verpflichtung zum Gemeinwohl sowie zu europäischen Werten. Darunter werden die „Würde des Menschen, Selbstbestimmung, Privatheit, Sicherheit, Demokratie, Gerechtigkeit, Solidarität und Nachhaltigkeit“ verstanden.
Mit der Veröffentlichung verbinden die Autoren die Hoffnung, dass die Idee während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und darüber hinaus weiterverfolgt wird. „Die Trio-Ratspräsidentschaft aus Deutschland, Portugal und Slowenien kann mit Frankreich als wichtigem Partner gemeinsam mit Europäischer Kommission und Parlament eine solche European Public Sphere als gesamteuropäisches ambitioniertes Entwicklungsprojekt anstoßen“, schreiben sie. Stakeholder aus Wirtschaft, Kultur, Zivilgesellschaft und Wissenschaft stünden zudem bereit, dies bei „entsprechender staatlicher Rückendeckung“ zu unterstützen.
Zum siebenköpfigen Autorenteam gehören neben den Herausgebern Kagermann und Wilhelm außerdem Markus Haas, CEO von Telefónica Deutschland, Thomas F. Hofmann, Präsident der TU München, Paul-Bernhard Kallen, CEO von Hubert Burda Media, Johannes Meier, Beiratsvorsitzender von Cliqz, und Jan-Hendrik Passoth, Leiter des Digital/Media/Lab des Munich Center for Technology in Society der TU München.
Wie die europäische Alternative konkret aussehen soll
Die Frage nach der konkreten Ausgestaltung beantworten die Autoren zunächst damit, was die European Public Sphere (EPS) nicht sein soll: Es gehe nicht um ein besseres Angebot in Form einer Webseite, App oder eines Produkts, zum Beispiel eine „Supermediathek“. Vielmehr haben sie ein digitales Ökosystem im Auge, das „Synergien mit dem europäischen Projekt Gaia-X„ sucht. Die von Deutschland und Frankreich gemeinsam propagierte Cloud-Infrastruktur könne beispielsweise als Basis der EPS dienen.
Die EPS soll modular in drei Ebenen aufgebaut sein: Eine erste Ebene umfasst die Basistechnologie und das Hosting, etwa eine Cloud-Infrastruktur und Rechenzentren beziehungsweise verschiedene dezentrale Infrastrukturdienste, die zusammengeschlossen werden können. Ein Beispiel dafür ist Gaia-X. Auf einer zweiten Ebene kommen Dienstleistungen wie Übersetzung, Suchmaschine oder Videoplayer ins Spiel und auf der dritten Ebene sind Produkte und Plattformen angesiedelt. Diese beinhaltet Nachrichten, Online-Shops, digitale Verwaltungsleistungen oder digitalen Unterricht. Der Begriff EPS „wird hier als Ort sozialen Lebens (im Digitalen) verstanden, in dem eine individuelle und eine öffentliche Meinungsbildung“ stattfinden kann, erklären die Autoren.
Beispiel: Video-Ökosystem
Die EPS soll Nutzern einen Mehrwert bieten. Als Beispiel für einen Anwendungsbereich werden digitale Medien genannt. Die EPS soll bestehende Angebote nicht ersetzen, sondern „eine gut funktionierende Alternative zu den bestehenden Plattformen sein“. Ein Vorteil sei „eine Ländergrenzen überschreitende Vielfalt an europäischen Inhalten„.
Genauer erklären die Autoren ihre Idee anhand eines Video-Ökosystems. Dieses soll eine „ergebnisoffene Suchfunktion“ haben, die verschiedenste TV/Video-Quellen leicht auffindbar macht. Hinzu kommt eine automatische Übersetzung der Inhalte, damit diese in der jeweiligen Muttersprache wiedergegeben werden. Außerdem könnten Social-Media-Funktionen zum Austausch über Inhalte sowie Tools für die Editierung und Publikation von Videos oder Texten zur Verfügung stehen.
Wer organisiert die EPS?
In die Steuerung und Verwaltung der EPS wollen die Autoren einen breiten Kreis an Akteuren miteinbeziehen. Grundlage wären gemeinsame „Technologiekomponenten und Module, an die zunächst Gemeinwohlanforderungen gestellt werden“. Darauf aufbauend sollen nicht-kommerzielle sowie privatwirtschaftliche Produkte und Angebote möglich sein. Ausgehend davon schlagen die Autoren ein zweigeteiltes Modell aus einer Digitalagentur und einer EPS-Alliance vor.
Die Digitalagentur wäre für die Steuerung zuständig und könnte öffentlich-rechtlich sein. Daneben soll es eine „staatlich initiierte, aber letztlich unabhängige“ EPS-Alliance geben, die Wirtschaft und Zivilgesellschaft einbindet. „Sie kann in der Startphase zunächst als Arbeitsgemeinschaft beginnen, die schrittweise in ein Modell überführt wird, das an genossenschaftlichen und meritokratischen Prinzipien orientiert ist“, heißt es im Impulspapier. Die Digitalagentur soll beim Aufbau der EPS-Alliance helfen. Staatliche Stellen und die EPS-Alliance sollen dann gemeinsam „das Board der Digitalagentur besetzen und den CEO der Digitalagentur benennen“. Insgesamt soll die Struktur von Beginn an europäisch sein und von den Mitgliedstaaten, dem Europäischen Parlament sowie der EU-Kommission unterstützt werden.
Zustimmung und Skepsis seitens der Politik
Neben Bundeskanzlerin Merkel gab es auch andere positive Stimmen aus der Politik. „Kluge Vorschläge, wie dieser“, seien wichtig, sagte Jens Zimmermann, digitalpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. Der Dominanz amerikanischer und auch chinesischer Plattformen gelte es, europäische Ideen entgegen zu setzen. Ähnlich äußerte sich auch der digitalpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tankred Schipanski. Er sieht den Vorschlag als wichtigen Impuls. Allerdings müsse eine solche Plattform auch „im globalen Wettbewerb bestehen können“, mahnte Schipanski an.
Grünen-Politikerin Tabea Rößner hält es für eine „Überlebensfrage“ insbesondere für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Menschen im Netz zu erreichen. „Deshalb muss der Plattform-Gedanke weiterverfolgt werden, auch um ein Gegengewicht zu den großen marktbeherrschenden Plattformen aufzubauen“, sagte die netzpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Viele Fragen, etwa zu Kosten, Finanzierung und Infrastruktur seien aber noch nicht geklärt. Rößner hält es für vorteilhaft, auf bestehende Strukturen wie die ARTE-Mediathek aufzubauen. „Von der Realisierung einer nationalen, geschweige denn einer europäischen Plattform, sind wir ehrlicherweise noch weit entfernt“, sagte sie.
Wie schwierig es ist, etablierten großen Playern wie Google etwas entgegenzustellen, hat jüngst die Browser- und Suchmaschine Cliqz erfahren. Das mehrheitlich Burda gehörende Münchner Unternehmen musste im Mai seine Entwicklung einstellen. Zum einen sei es nicht gelungen, genug Menschen von der Google-Alternative zu überzeugen, gesteht das Cliqz-Team in einem Abschiedsgruß am 30. April ein. Dazu kam unerwartet die COVID-19-Krise. „In den letzten Wochen ist uns klar geworden, dass nun alle politischen Initiativen zum Aufbau einer unabhängigen europäischen digitalen Infrastruktur für Jahre blockiert oder verschoben sind“, schreibt das Team. Vor allem hätte es nicht geklappt, „die politischen Akteure davon zu überzeugen, dass Europa dringend eine eigene unabhängige digitale Infrastruktur braucht. Hier können wir nur hoffen, dass jemand anderes weiterkämpft.“
Tagesspiegel Politikmonitoring
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf der Website des BASECAMP.