Ostdeutschlands digitale Chancen: Interview mit Marco Wanderwitz
Pressefoto Marco Wanderwitz
Marco Wanderwitz ist seit Februar der neue „Ostbeauftragte“ der Bundesregierung. Wir wollten von ihm wissen, welche Rolle er der Digitalisierung bei der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse beimisst und wo er spezifische Herausforderungen und Chancen für Ostdeutschland sieht. Ein Interview.
30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung gibt es noch immer strukturelle Unterschiede zwischen Ost und West. Und auch das Tempo der digitalen Transformation ist nicht überall gleich. Doch gerade für strukturschwache Regionen bietet die Digitalisierung neue Chancen. Dazu haben wir Marco Wanderwitz (CDU) einige Fragen gestellt. Er ist seit dem 11. Februar Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer – kurz auch „Ostbeauftragter“ genannt.
Wanderwitz selbst ist Rechtsanwalt und geborener Chemnitzer. Er ist seit 2002 Mitglied des Bundestages. Zuletzt wurde er 2017 im Wahlkreis „Chemnitzer Umland – Erzgebirgskreis II“ direkt wiedergewählt. Bevor er im Februar als Parlamentarischer Staatssekretär in das Bundeswirtschaftsministerium wechselte, kümmerte sich Wanderwitz in gleicher Position im Bundesinnenministerium um eine „Heimatpolitik für gleichwertige Lebensverhältnisse“ und die Wohnraumoffensive der Bundesregierung.
Als Ostbeauftragter im Wirtschaftsressort versteht sich Wanderwitz als „Anwalt für die Menschen in den neuen Ländern“. Er ist überzeugt: „Mit der Digitalisierung sind für Deutschland viele Chancen verbunden“. Voraussetzung dafür sei der flächendeckende Mobilfunk- und Breitbandausbau. Auf EU-Ebene gelte es vor allem gemeinsam an Künstlicher Intelligenz, einer prosperierenden Plattform- und Datenökonomie sowie der Stärkung der europäischen digitalen Souveränität zu arbeiten.
Die digitale Transformation fordert Deutschland als Ganzes – machen Sie trotzdem spezifische Herausforderungen im Osten unserer Republik aus?
Die neuen Länder sind in weiten Teilen ländlicher geprägt als die alten. In den ländlichen Regionen kumulieren häufig Problemlagen aus Strukturschwäche, sinkenden Einwohnerzahlen und Überalterung. Sie bedürfen deshalb besonderer Unterstützung, auch mit Blick auf die Digitalisierung. Entscheidend für die Attraktivität gerade ländlicher Räume ist ihre mobile und digitale Anbindung. Der flächendeckende Mobilfunk- und Breitbandausbau ist deshalb ein elementarer Baustein regionaler Wirtschaftspolitik. Mit der Novelle des Telekommunikationsgesetzes werden wir regulatorische Anreize für faire und diskriminierungsfreie Ausbaukooperationen setzen und den Gigabitnetzausbau befördern. Darüber hinaus wird der Bund weiterhin den Aufbau von Gigabitnetzen in Gebieten fördern, in denen dies für Unternehmen nicht wirtschaftlich möglich ist. Hiervon wird gerade der ländliche Raum profitieren.
Und umgekehrt: Liegen in der Digitalisierung vielleicht auch besondere Chancen für Ostdeutschland? Könnte sie gerade auch die Entwicklung in ländlichen, sehr bevölkerungsschwachen Regionen beflügeln?
Mit der Digitalisierung sind für Deutschland viele Chancen verbunden. Das gilt auch für die neuen Länder und zwar nicht nur für Berlin, Leipzig oder Dresden. Die Digitalisierung bietet auch ländlichen Regionen neue Chancen, wie etwa die bessere Erreichbarkeit des Arztes über eine Videosprechstunde. Mit unserer Initiative „Stadt.Land.Digital“ wollen wir den Städten und Kommunen bei ihrer digitalen Transformation helfen. Wir werden hierzu ein Kompetenzzentrum zur Unterstützung der Akteure vor Ort einrichten. Es soll als Ansprechpartner und Multiplikator für alle relevanten Themen auf dem Weg zur „smarten“ Stadt und Region dienen. Ziel ist es, die Lebensqualität in Stadt und Land durch digitale Lösungen zu verbessern.
Deutsche Unternehmen beschäftigen mittlerweile viele Software-Entwickler in Polen und anderen osteuropäischen Staaten. Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit unseren östlichen Nachbarstaaten bei der Digitalisierung der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft?
Viele digitale Unternehmen, vor allem auch Start-ups, sind sehr international aufgestellt. IT-Fachkräfte sind weltweit begehrt und der Wettbewerb um die besten Köpfe ist groß. Ein erfolgreiches Beispiel der Zusammenarbeit mit den Ländern Südosteuropas ist der Digitalgipfel Westbalkan: Er fand 2018 zum ersten Mal in Skopje statt, auf Initiative der deutschen Wirtschaft und der Bundesregierung und in Zusammenarbeit mit den sechs Balkanstaaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien. Er dient den Ländern als Plattform auf dem Weg zur digitalen Transformation. Ziel ist es, die IT-Infrastruktur sowie die Ausgangs- und Rahmenbedingungen zu synchronisieren und zu standardisieren. Mit der Unterzeichnung eines Roaming-Abkommens auf dem zweiten Digitalgipfel in Belgrad 2019 wurde ein konkretes Ergebnis für die Verbraucher erzielt: Nach EU-Muster sollen ab 2021 die Roaming-Gebühren innerhalb der Region vollständig abgeschafft werden. Als nächster Schritt wird die Erweiterung des regionalen Roaming-Abkommens auf die Europäische Union angestrebt.
Welche der jüngst vorgestellten EU-Digitalvorhaben können Deutschland und Europa aus Ihrer Sicht den meisten Schwung geben, um im internationalen Technologiewettbewerb aufzuholen?
Die Europäische Kommission hat im Februar ihre digitalpolitischen Schwerpunkte und Ziele für die kommenden fünf Jahre vorgelegt. Sie kündigt zahlreiche legislative und nicht-legislative Schlüsselmaßnahmen im Bereich der Digitalisierung an. Prioritäre Themen sind aus meiner Sicht Künstliche Intelligenz, eine prosperierende Plattform- und Datenökonomie sowie die Stärkung der europäischen digitalen Souveränität. Dabei müssen wir gewährleisten, dass sich europäische und nationale Maßnahmen im Bereich der Digitalisierung gegenseitig ergänzen und verstärken. Deshalb haben wir zum Beispiel unser Projekt GAIA-X zum Aufbau einer souveränen digitalen Infrastruktur von Anfang an als Angebot an Europa konzipiert. Aktuell treiben wir das Projekt auf Regierungsebene im Rahmen einer deutsch-französischen Kooperation voran.
Sie haben angekündigt, in ihrem neuen Amt als „Brückenbauer“ wirken zu wollen. Aber was gilt es konkret anzupacken, um die innere Einheit zu vollenden – vielleicht auch jenseits von Strukturhilfen und Wirtschaftspolitik?
Ich kann in meinem Amt nicht einfach etwas politisch anordnen und die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen den alten und neuen Bundesländern bleibt eine Generationenaufgabe. Mein Beitrag besteht deshalb darin, auf diesem Weg als Anwalt für die Menschen in den neuen Ländern einzutreten. Ich kann Sachen ansprechen, die nicht gut laufen und, wo erforderlich, auch eingreifen. Dafür muss ich mit vielen Menschen über ihre Sicht der Dinge reden. Darüber, wie die neuen Länder wirtschaftlich aufholen können, und auch darüber, wie wir unsere Demokratie schützen können. Mein Ziel ist, dass es nicht beim Reden bleibt. Brücken kann ich mit Bürgerinnen und Bürgern bauen, wenn bei den Gesprächen etwas Handfestes herauskommt. Und die Brücken zwischen den Menschen in alten und neuen Ländern will ich stärken.