Online-Partizipation: Demokratie erneuern – gibt’s dafür auch eine App?
Manche politischen Theoretiker sind der Meinung, dass nach der athenisch-partizipativen Demokratie und der danach folgenden repräsentativen Demokratie eine dritte Art der Demokratie verwirklicht werden kann: die der virtuellen Volksversammlung. In dieser könnte das athenische Ideal der Selbstregierung durch die Bürger wiederaufleben – so die Vision. In der Praxis sind wir von dieser Vorstellung noch weit entfernt; doch es gibt einzelne Initiativen, bei denen mit der Idee des elektronischen Marktplatzes schon experimentiert wird. Nachdem UdL Digital im Januar bereits über Civocracy – eine Online-Plattform für mehr Bürgerpartizipation bei der Gestaltung von öffentlichen Räumen – berichtet hat, richten wir nun den Blick auf Möglichkeiten der Online-Partizipation rund um Organisationen und Parteien. Nicht zuletzt in der SPD spielt die Idee digitaler Mitbestimmung im Rahmen ihres Erneuerungsprozesses bereits eine wichtige Rolle.
„Update“ der Demokratie
Zwei der ersten erfolgreichen Entwickler, die die Vision eines elektronischen Marktplatzes möglich machen wollten, sind Pia Mancini und Santiago Siri aus Argentinien. Angetrieben von den ernüchternden Erfahrungen, die sie mit dem teilweise korrupten und klientelistischen Parteinsystem im eigenen Land machten, arbeiten sie seit 2012 an einer Software namens DEMOCRACY OS, mit der sie die Politik verändern wollen. Ihrer Meinung nach hat das Modell der repräsentativen Demokratie im 21. Jahrhundert sowieso ausgedient. Sie wollen ein „Update“: für eine dezentralisierte Online-Demokratie, die aus einem fließenden Übergang zwischen indirekten und direkten Elementen besteht. Wenn man ihr dazugehöriges Manifest liest scheint es, als empfinden Siri und Mancini die technischen Möglichkeiten des Internets geradezu als Aufforderung, den Fortschritt nicht nur für Gesundheitsapps, Online-Handel oder Games zu nutzen, sondern eben auch für die Entwicklung digitaler Mitbestimmung. „Liquid Democracy“, „Own your Data“ und „Borderless Governance“ sind die drei Kernpunkte, um die es ihnen bei ihrer Initiative geht.
Jede Regierung, Partei, Organisation oder Gruppe weltweit kann die Open Source Software mit offenem Quellcode installieren – und viele haben das auch schon getan, wie die Zeitung „Republik“ herausfand. In Mexiko etwa nutzte die Regierung DEMOCRACY OS, um gemeinsam mit interessierten Bürgern eine Datenschutzrichtlinie zu entwerfen. In Kalifornien beschaffte sich der Vizegouverneur Gavin Newsom damit ein Stimmungsbild davon, was die Bürger über die Legalisierung von Cannabis denken. Und in Tunesien programmierte ein Aktivist mit Hilfe der Software die Website vot-it.org, auf der tausende Tunesier im Jahr 2014 über eine neue Verfassung diskutierten.
Deutsche Initiativen
Ähnliche Initiativen wie die der argentinischen Visionäre gibt es in Deutschland mit DEMOCRACY und Licracy. Die DEMOCRACY-App ist dafür gedacht, dass Bürger parallel zu den Abstimmungen im Bundestag, selbst abzustimmen und zu diskutieren. Die eigene Meinung kann man anschließend direkt mit dem Abstimmungsverhalten aller oder einzelner Bundestagsabgeordneter abgleichen. Auch Licracy ist eine Art virtuelles Parlament, das auf lokaler Ebene und in einigen Vereinen eingesetzt wird, die interne Abstimmungen durchführen.
#SPDerneuern, auch digital
Zu vielen internen Abstimmungen dürfte es in den kommenden Tagen und Monaten auch in der SPD kommen. Aufgrund des historisch schlechten Wahlergebnisses bei der Bundestagswahl 2017 (20,5 Prozent) will sich die Partei programmatisch und organisatorisch erneuern. Dass dabei auch die Online-Beteilgung eine starke Rolle spielen wird, hat Generalsekretär Lars Klingbeil bereits bei der Vorstellung des Leitantragsentwurfs „Zum Prozess SPD erneuern“ am 9. April im Telefónica Basecamp deutlich gemacht. Eine erste Online-Mitgliederbefragung, bei der sich 48.771 Mitglieder beteiligten, wurde schon auf den Weg gebracht.
„Wir werden jetzt immer wieder in die Partei hineinhorchen“, sagte Klingbeil.
Zudem soll es eine App für Mitglieder geben, die insbesondere neuen Mitgliedern Orientierung und Vernetzungsmöglichkeiten bieten soll.
Angestoßen wurde die Debatte zur Online-Beteiligung vor allem von einem Teil der Partei, der sich den Namen „SPD++“ gegeben hat und besonders progressiv für mehr weibliche Beteiligung, Durchlässigkeit, Vielfalt und Online-Partizipation innerhalb der Partei wirbt.
„Wir wollen, dass sich SPD-Mitglieder in der Partei engagieren können, ohne zehn Jahre im Ortsverein die Kasse geprüft zu haben“,
schreiben die SPD++-Mitglieder, unter denen sich auch viele Bundestagsabgeordnete befinden. Sie wollen noch mehr Möglichkeiten der Online-Partizipation schaffen. Die Idee: Jedes SPD-Parteimitglied soll sich unbürokratisch in einer festgelegten Anzahl an Online-Themenforen zu Politikbereichen (z.B. Arbeit, Umwelt oderDigitales) beteiligen können. Mindestens bis zum Bundesparteitag Ende 2019 hat die Gruppe Zeit, für die Online-Themenforen zu werben – darüber abstimmen werden die Mitglieder im Zweifel online.