Online-Meinungsforschung: Fairer Deal für persönliche Daten
Was halten die Deutschen davon, dass die Essener Tafel einen Aufnahmestopp für Migranten beschließt? Und was sagen sie zur City-Maut gegen Luftverschmutzung? Zu Themen, die gerade erst in den Nachrichten waren, hat das Berliner Meinungsforschungs-Startup Civey noch am selben Tag ein Stimmungsbild parat. Direkt einsehbar sind die Umfrageergebnisse für alle, die selbst bei der jeweiligen Umfrage abgestimmt haben. Im Gegensatz zu den klassischen Instituten wie etwa die Forschungsgruppe Wahlen (FGW), FORSA oder infratest dimap, die telefonisch, mündlich, schriftlich und online Zufallsstichproben erheben, setzt Civey nur noch auf Online-Erhebung und hält dies für ein besonderes Qualitätsmerkmal.
Meinungsforschung im Smartphone-Zeitalter
Die klassische Meinungsforschung hat ein Problem, meint Gerrit Richter, der Civey im Jahr 2015 mit vier weiteren Mitstreitern gründete. Nicht nur haben immer weniger Menschen ein gutes, altes Festnetztelefon, das Prinzip der Zufallsauswahl hat ebenfalls ausgedient.
Immer weniger Menschen wollen sich an Telefonumfragen beteiligen, ohne dafür eine Gegenleistung zu bekommen. Denn dass ihre Meinung Geld wert ist, hätten die Menschen erkannt, erklärt Richter. Als Konsequenz setze die Meinungsforschungsindustrie häufig auf bezahlte Online-Umfragen, um auf die für eine repräsentative Studie notwenige Anzahl von mindestens 1.000 Befragten zu kommen. Das verzerrt das Ergebnis, argumentiert Richter. Er glaubt, dass die klassische Meinungsforschung den Anschluss an die Internet-Welt verpasst habe:
„Die Menschen erwarten im Digital-Zeitalter einen fairen Deal, wenn sie ihre persönlichen Daten preisgeben.“
Alles außer SPD-Mitglieder
Auch zu Digitalthemen hat Civey schon einige Umfragen vorgenommen. Künstliche Intelligenz: Fluch oder Segen? Welche Partei bringt Deutschland am ehesten bei der Digitalisierung voran? Stecken die Schulen noch in der Kreidezeit? Eine Qualitätsampel verrät nach der Abstimmung, wie repräsentativ die Umfrage bereits ist. Generell gilt: Umso mehr Teilnehmer, desto besser. Lediglich über den derzeit mit Spannung erwarteten Ausgang des SPD-Mitgliederentscheids erfährt man bei Civey nichts. Laut Gerrit Richter liege dies daran, dass sich noch zu wenige Menschen an den Online-Umfragen beteiligen.
„Als Pi mal Daumen Regel kann man sagen, dass wir aktuell alle Zielgruppen befragen können, die etwa ein Prozent an der Gesamtbevölkerung ausmachen. Um kleinere Gruppen – wie etwa SPD Mitglieder, die rund 0,5% an der Gesamtbevölkerung ausmachen – befragen zu können, muss unser Panel noch weiter wachsen. Zur Zeit haben wir etwas mehr als eine Millionen aktive Mitglieder“, erläutert Richter.
Civey kritisiert alte Methoden
„Während früher das Institut, das den Teilnehmer befragt hat, auch mit seiner Stimme gearbeitet und sie interpretiert hat, ist dieser Prozess nun in kleine Arbeitsschritte unter verschiedensten Subunternehmern aufgeteilt. Institute kaufen heute regelmäßig Daten über sogenannte Panels ein“,
heißt es in einer Pressemitteilung von Civey zum Zustand der klassischen Meinungsforschung. Woher diese Stimmen jeweils kommen und ob in einem Panel für Zahnärzte am Ende nicht nur Studenten sitzen, sei von außen nur noch schwer nachzuvollziehen. Deshalb wolle Civey nicht mit Subunternehmern zusammenarbeiten und führe die Teilnehmerregistrierung, Teilnehmerbefragung und Ergebnisberechnung komplett selbst durch.
Die Civey-Methode
Gemeinsam mit Professoren und Professorinnen der Hochschule Rhein-Waal hat Civey deshalb eine Methodik für reine Online-Erhebungen entwickelt. Anreiz für die Menschen, sich freiwillig an einer Umfrage zu beteiligen, soll sein, das Ergebnis der Umfrage in Echtzeit nachverfolgen zu können. Die Methodik von Civey besteht darin, in den Umfragen eine Zufallsauswahl aller Beteiligten mit einer nachträglichen Gewichtung zu kombinieren. Anhand der demographischen Daten, die die Nutzer angeben müssen, wenn sie sich bei Civey registrieren – Geburtsdatum, Geschlecht, Nationalität, Emailadresse und Postleitzahl – wird sichtbar, ob eine Bevölkerungsgruppe besonders stark im Panel vertreten ist. „Wenn beispielsweise in einer Stichprobe zu viele Frauen sind, kann man über statistischen Gewichtungsverfahren diesen Fehler korrigieren“, erläutert Richter. Schwieriger wird es bei der Gewichtung von Variablen, die nicht so leicht beobachtbar sind, wie etwa Wertehaltungen, persönliche Interessen oder Vorwissen. Diese Herausforderung sieht Civey unter anderem dadurch gelöst, dass sie gewisse Verhaltensvariablen ihrer Teilnehmer kennen, beispielsweise über welchen Medienpartner der Teilnehmer kam, zu welchen Zeit er abstimmt oder welche Themen er bevorzugt, und diese in ihrem statistischen Modell berücksichtigen.
Doch für seinen neuartigen Ansatz erntet Civey auch Kritik. Mit der geht das Startup in seinem Whitepaper offen um. Knackpunkt ist das statistische Modell:
„Es basiert auf der – subjektiven – Entscheidung, welche Variablen zur Gewichtung verwendet werden“, erklärt Richter.
Ähnliche Methoden würden laut Richter allerdings in den meisten Umfragen angewandt, weshalb das Institut es für konsequent halte, „offen mit diesem Umstand umzugehen“ und hofft, damit einen Beitrag zur Debatte über die Zukunft der Meinungsforschung zu leisten.
Treffgenaue Prognose zur Bundestagswahl
Dr. Nico A. Siegel, Geschäftsführer von infratest dimap, hält genau aus diesem Grund das Prinzip der Zufallsauswahl nach wie vor für die sauberste Methode.
„Was wir versuchen, ist das Abbild der wahlberechtigten Bürger möglichst gut zu treffen und da sind unsere Gewichtungsfaktoren relativ gering“,
stellte er in einer Live-Diskussion zur „Macht der Meinungsforschung“, an der auch Civey-Co-Founderin Janina Mütze teilnahm, klar. „Beim Verfahren von Civey habe ich große Skepsis, sonst hätte ich mich schon bei Ihnen beworben“ monierte er gegenüber der Unternehmerin. Kurz nach Civey’s Launch zur Abgeordnetenwahl 2016 bewies Civey allerdings, dass ihr Meinungsumfragen seriös sind. Unter allen etablierten Instituten lieferte Civey schon die zweitbeste Wahlprognose.