Olympische Spiele 2024: Wie Online-Desinformation verbreitet wird

Credit: iStock/SerrNovik
Credit: iStock/SerrNovik
Veröffentlicht am 24.07.2024

Von Maike Dörnfeld

Kaum ist die Fußball-Europameisterschaft vorbei, steht das nächste sportliche Großevent an: Am 26. Juli werden die diesjährigen Olympischen Spiele in Frankreich eröffnet. Neben positiver Berichterstattung bieten die Spiele jedoch – wie schon bei jeder Austragung zuvor – ein Einfallstor für Desinformation, Spaltung und Unruhe. Wie die Situation in diesem Jahr aussieht, in dem die Informationslage durch KI, Fakes und Bots ohnehin unsicherer ist als je zuvor, schildert Maike Dörnfeld von polisphere.

Grundsätzlich stellt die intensive mediale Berichterstattung über Großevents wie Olympia stets ein gefundenes Fressen für böswillige Akteure dar: Die damit einhergehende öffentliche Aufmerksamkeit lässt sich nutzen, um eigene Inhalte und Behauptungen zu verbreiten und das allgemeine Interesse für eigene Zwecke zu nutzen. Zwei zentrale Ziele von Desinformationsakteuren, die aktuell auf Olympia abzielen, sind dabei einerseits die Diskreditierung Frankreichs und des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) als Veranstalter sowie andererseits das Schüren von Angst vor angeblichen Sicherheitsrisiken.

Drei zentrale Strategien

Die genaue Entwicklung und Verbreitung von Olympia-Desinformation beobachtet etwa der französische Cybersecurity-“Watchdog” VIGINUM, der sich mit der Entwicklung von Desinformationsinhalten und -strategien in Frankreich und international auseinandersetzt. Mit Fokus auf die Olympischen Spiele identifiziert die Organisation in einem aktuellen Report drei zentrale Strategien, die von vielen Akteuren verwendet werden.

Dazu gehört zunächst der Versuch, digitale Überlastung, Verwirrung und Spaltung zu erzeugen: Akteure, die diese Taktik verfolgen, setzen auf die koordinierte Verbreitung bestimmter Hashtags und Schlüsselwörter auf verschiedensten Online-Plattformen, um die eigenen Narrative zu verbreiten und in den öffentlichen Diskurs zu bringen. Dabei werden zur Erhöhung der Reichweite häufig Bot-Netzwerke eingesetzt und auch die berüchtigten Trolle fallen oft unter diese Strategie.

Foto: iStock / gorodenkoff

Mit Olympia-Bezug findet sich dabei etwa ein Beispiel von Anfang des Jahres: Mehr als 1.000 Bots verbreiteten hier Bilder von Davidstern-Graffitis in Paris und seinen Vorstädten, um die französische Gesellschaft als Zielgruppe zu provozieren sowie noch im Vorfeld der Spiele Spaltung und Unsicherheit zu erzeugen – denn über Ursprung, Ziel und Bedeutung der Graffitis gab es keine Informationen. Bei vielen der Fake-Accounts konnte dabei eine Verbindung zum russischen News-Outlet “Recent Reliable News” hergestellt werden, das als eine zentrale Verbreitungsstelle von Desinformation fungiert.

Als zweite Strategie nennt der VIGINUM-Report die Herstellung von Verbindungen zwischen Online- und Offline-Phänomenen. Dabei werden gezielt bestimmte Unternehmen und Institutionen in den Blick genommen, auf die Online- und Offline-Akteure sich konzentrieren – meist in Form von Boykottaufrufen. Zentral ist dabei die Online-Verbreitung, die aber zu offline-Handlungen führt und bei betroffenen Unternehmen zu tatsächlichen Konsum- und Einnahmeeinbrüchen führen kann. Dies lässt sich wiederum für die Weiterentwicklung von Online-Propaganda instrumentalisieren.

Nun sind die Olympischen Spiele zwar kein Unternehmen per se, eine vergleichbare Strategie konnte aber bereits letztes Jahr beobachtet werden: Rund 90 Accounts, die miteinander vernetzt waren und Verbindungen nach Aserbaidschan aufwiesen, riefen online zum Olympia-Boykott am 26. und 27. Juli auf. Frankreich war u.a. aufgrund der Unterstützung Armeniens im Konflikt mit dem Nachbarland ins Blickfeld aserbaidschanischer Akteure geraten.

Deepfakes, Doppelgänger und Tom Cruise

Die dritte Strategie, die die VIGINUM-Forscher:innen identifizierten und für die sich am meisten Beispiele mit Olympia-Bezug zeigen lassen, ist die des Identitätsdiebstahls: Hierzu gehören Deepfakes, gefälschte Nachrichtenseiten und ähnliche Phänomene. Durch das Verschleiern der eigenen Identität können Falschinformationen mit mehr Glaubwürdigkeit verbreitet werden, da deren genaue Herkunft oft nicht auf den ersten Blick ersichtlich wird.

Credit: iStock/Bongkod Worakandecha

Die diversen Beispiele für diese Strategie fasst auch ein Microsoft-Bericht von Anfang Juni zusammen, der sich auf russische und russlandnahe Akteure konzentriert und deren Manipulationsversuche im Vorfeld der Olympischen Spiele in den Blick nimmt. Besonders eindrücklich ist dabei der gefälschte Film “Olympics has fallen”, der sich als Netflix-Produktion verkauft und dementsprechend in Spielfilmlänge samt Special Effects und eigenem Marketing verbreitet wurde.

Die zentralen Aussagen dabei richten sich insbesondere gegen die Führungsebene des IOC, die russische Athlet:innen unter eigener Flagge gesperrt hatte und sich deshalb russischen Vorwürfe des “Rassismus” und “Neonazismus” ausgesetzt sah. Besondere Glaubwürdigkeit soll der Film durch ein KI-generiertes Audio von Tom Cruise erhalten, was dessen Involvement in den Film impliziert.

Auch weitere gefälschte Videos mit Olympia-Bezug sind in den letzten Wochen und Monaten in Umlauf geraten, in denen häufig Angst vor Terrorismus bei den Spielen geschürt wird. Als angebliche Urheber werden dabei nicht nur französische Nachrichtenseiten imitiert, sondern es wurden auch Videos verbreitet, die sich als offizielle Pressemitteilung der CIA ausgaben.

Auf Fälschungen basiert zudem die bekannte Doppelgänger-Kampagne, die 2022 erstmals aufgedeckt wurde und ihren Namen wegen der systematischen Fälschungen eigentlich zuverlässiger Nachrichtenseiten erhielt. Auf diese Weise wird versucht, Desinformation durch ihre Einbettung in einen verlässlichen Rahmen Vorschub zu leisten. Im Fall der Olympischen Spiele sind 15 französischsprachige russische Outlets sowie gefälschte Versionen der französischen Medien Le Parisien und Le Point bekannt.

Die Kernaussagen der so verbreiteten Artikel beschäftigen sich mit vermeintlicher Korruption des IOC und erneut der Warnung vor Gewalt und Terror bei den Spielen. Teils richten sich die Aussagen auch gegen die französische Regierung und werfen Präsident Macron Gleichgültigkeit und fehlende Bürgernähe vor. So werden gleichzeitig sowohl die Spiele und die dahinterstehende Organisation als auch Frankreich und dessen prowestliche Regierung diskreditiert.

Frankreich als Ziel von Desinformation 

Als westlicher und pro-ukrainischer Staat ist Frankreich prinzipiell Ziel und Gegenstand von Desinformation aus diversen Quellen. Bereits seit 2023 beobachtet das französische Außenministerium einen Anstieg an Desinformation und Angriffen und rechnet mit einer weiteren rasanten Zunahme in Verbindung mit den Olympischen Spielen. 

Dies bedeutet jedoch auch, dass Frankreich nicht hilflos gegenüber der nun verbreiteten Desinformation ist und entsprechende Gegenmaßnahmen in die Wege leiten kann: Zur Abwehr von Cyber- und Desinformationsangriffen bereitet sich einerseits die französische Cybersicherheit-Agentur ANSSI bereits seit zwei Jahren auf die Austragung der Spiele vor. 

Zudem hat auch das Olympische Komitee in Paris derartige Risiken auf dem Schirm und bereitet sich vor allem auf die Eröffnungszeremonie intensiv vor. Unterstützung kommt dabei auch aus den USA sowie aus Estland, die bereits Erfahrung in der Abwehr von Bedrohungen im Cyberraum vorweisen können. Gleichzeitig zeigte sich ein Sprecher des IOC jedoch resigniert: Desinformation sei letztlich “eines dieser Dinge, mit denen wir leben müssen”. Die kommenden zwei Wochen vom 26. Juli bis 11. August werden zeigen, in welchem Ausmaß das tatsächlich zutrifft.

Dieser Artikel ist im Rahmen einer Kooperation mit polisphere auf der Webseite BASECAMP.digital erschienen.

Mehr Informationen:

Digitale Desinformation: Welche Methoden man kennen sollte
Digitale Desinformation: Eine Herausforderung für Wahlen und Demokratie
Richtlinien gegen Desinformation: So ist der Stand bei den großen Plattformen

Schlagworte

Empfehlung der Redaktion