Neue Bundesregierung: Kommt jetzt das Digitalministerium?

Veröffentlicht am 21.10.2021

Mit dem Start der Koalitionsverhandlungen rücken zunehmend auch die mögliche Besetzung und Zuschnitte der Ministerien in den Fokus. Mit unserem interaktiven Tool #MeinDigi4 kann man bereits selbst entscheiden, welche vier Ministerien und Politiker:innen die digitale Zukunft Deutschlands voranbringen sollen. Ob es mit der neuen Bundesregierung das seit längerem diskutierte Digitalministerium tatsächlich geben wird und über welche Kompetenzen es verfügen könnte, bleibt dabei eine besonders spannende Frage.

Das Sondierungspapier der Ampelkoalitionäre verspricht einen digitalen Aufbruch und gewissermaßen ein umfassendes Update für den Staat. Ob diese Aufgabe mithilfe eines eigenen Ministeriums für Digitalisierung angegangen werden soll, bleibt allerdings noch unklar. Bisher hatten die drei Parteien der anvisierten Ampel-Regierung unterschiedliche Positionen zu der Frage: Während sich die FDP bereits seit 2017 für ein Digitalministerium ausspricht, traten Grüne und SPD eher für mehr Koordination und eine Stärkung von Digitalfragen im Bundeskanzleramt bzw. im Digitalkabinett ein. Im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen zeigen sich die Beteiligten aber offen für Kompromisse.

Warum das Digitalministerium gefordert wird

Die großen Branchenverbände der Digitalwirtschaft fordern wie die FDP bereits seit langem ein eigenes, starkes Ressort und bekräftigten diesen Wunsch erneut nach der Bundestagswahl. Besonders wichtig seien dabei aber klare Zuständigkeiten und im Idealfall die Aufsicht des neuen Ministeriums über die inhaltliche Ausrichtung aller Digitalisierungsvorhaben. Die bisher praktizierte Verteilung der digitalpolitischen Verantwortung auf verschiedene Ministerien habe nicht den gewünschten Effekt gebracht – nämlich ein schnelles und stringentes Voranbringen der Digitalisierung in allen Bereichen, etwa in der Verwaltung, beim Ausbau der Kommunikationsnetze, in der digitalen Bildung oder der IT-Sicherheit. Dafür bedarf es zudem einer langfristigen und kohärenten Strategie, die auch über die neue Legislaturperiode hinausgeht.

Die Befürworter eines eigenen, vollwertigen Digitalministeriums versprechen sich neben einem Zugewinn an Koordination und Konzeption, dass die Digitalpolitik damit tatsächlich einen Platz am Kabinettstisch bekommt und gleichwertig in die Abstimmung der verschiedenen Ressorts eingebunden würde. Außerdem würde es so eine politisch klar verantwortliche Person in Form einer Ministerin oder eines Ministers geben, die ein eigenes Interesse daran hätte, dass Digitalisierungsvorhaben gelingen.

Woran ein eigenes Ressort scheitern könnte

Die Etablierung eines neuen Ministeriums auf Bundesebene, das die Zuständigkeitsbereiche der Digitalisierung bündelt, stünde allerdings vor einigen Herausforderungen. Bei der Konzeption des Hauses müsste zum Beispiel bedacht werden, wie die zahlreichen bereits vorhandenen Steuerungs- und Beratungselemente – das Digitalkabinett, die Staatsministerin für Digitalisierung, der IT-Rat, der IT-Planungsrat, der Digitalrat und die Datenethikkommission – sinnvoll eingebunden werden können.

Zudem dauert es lange, ein solches Ministerium neu aufzubauen und effizient zum Laufen zu bringen – vermutlich dürften bis dahin zwei bis drei Jahre vergehen. Aufgrund der vielen drängenden Aspekte der Digitalisierung erscheint dieser Zeitraum vielen Skeptikern eines Digitalministeriums als zu lang. Hier könnte sich rächen, dass die bisherige Bundesregierung aus Union und SPD nicht bereits vor vier Jahren tätig geworden ist.

Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) zum Beispiel spricht sich in seinem aktuellen Monitor zum Stand der Verwaltungsdigitalisierung gegen ein Digitalministerium aus. Die Diskussion über eine Einführung sei eine Scheindebatte, da der Symbolwert den praktischen Gebrauchswert des Ministeriums übersteige. Stattdessen plädiert das Gremium für eine Digitalisierungsagentur nach internationalem Vorbild mit einem überjährigen Budget und mehreren Hundert Mitarbeiter:innen.

Die Koordinierung im Bundeskanzleramt als Alternative?

Auch das Bayerische Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt) sieht ein neues Digitalministerium eher kritisch, diskutiert in einem Impulspapier aber das Für und Wider. Ein neues Ministerium bringe als große, zentrale Lösung zwar Vorteile, aber auch eine Reihe von Problemen mit sich.

„Es ist vor überzogenen Erwartungen zu warnen, dass mit der Einrichtung eines neuen Digitalressorts goldene Zeiten für die Digitalpolitik anbrechen“, so Dr. Christoph Egle, der wissenschaftliche Geschäftsführer des bidt.

Als Alternative und „kleine Lösung“ schlägt er die Stärkung der digitalpolitischen Koordinierung im Bundeskanzleramt vor. Eigentlich sollte das 2017 dort geschaffene Staatsministerium für Digitalisierung genau dies leisten und die digitalen Agenden der Ministerien koordinieren. Doch dies funktionierte bisher nicht wie gewünscht, da dem Posten die notwendigen Ressourcen und das Stimmrecht im Regierungskabinett fehlen.

Dies führt zu einer weiteren Herausforderung, die ein federführendes Digitalministerium meistern müsste: die Frage des Zuschnitts und der Verantwortlichkeiten in Konkurrenz zu den anderen Fachministerien.

Marco Junk Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft BVDW | Pressefoto: BVDW

„In der letzten Legislatur ist ein solches Haus auch daran gescheitert, dass andere Ressorts nicht bereit waren, Kompetenzen abzugeben. Daher braucht es von Anfang an einen klaren und der Aufgabe angemessenen Zuständigkeits- und Kompetenzrahmen und die Federführung bei allen Digitalisierungsprojekten.“  – Marco Junk, Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft BVDW

Da es sich bei der Digitalisierung um ein klassisches Querschnittsthema handelt, das alle Aspekte der Regierungsarbeit abdeckt, wären aufgrund des Ressortprinzips nämlich viele andere Ministerien von einem Neuzuschnitt betroffen. Dies zeigt sich zum Beispiel beim Thema Datenpolitik: Während die Punkte Datenschutz, OpenData, Register, Onlinezugangsgesetz oder Statistik bisher im Innenministerium angesiedelt sind, kümmert sich das Wirtschaftsministerium um Plattformen sowie das digitale Kartell- und Wettbewerbsrecht, das Justizministerium wiederum um Dateneigentum und Verbraucherschutz im Netz, zudem sind das Bildungs- und Forschungsministerium für digitale Forschungsdaten und das Gesundheitsministerium für digitale Gesundheitsdaten zuständig.

Die Konkurrenz unter den Ministerien

Hier und bei vielen weiteren Aspekten der Digitalisierung den Überblick zu behalten und zu überlegen, wo welches Thema in Zukunft sinnvoll angesiedelt sein sollte und wie die einzelnen Ministerien anschließend mit einem koordinierenden Digitalministerium effektiv zusammenarbeiten können, ist eine zentrale Herausforderung für die neue Bundesregierung.

Ob die bisherigen Ministerien aber tatsächlich ausreichend eigene Kompetenzen und Ressourcen an ein neues Digitalministerium abtreten würden, ist ein entscheidender Knackpunkt. So ist etwa fraglich, ob das Innenministerium die Federführung bei digitalen Sicherheitsfragen abgeben würde, auch wenn das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) künftig dem Digitalministerium zugeordnet wird. Allerdings würden institutionelle Interessenkonflikte dann für alle deutlicher sichtbar werden. Und um die Digitalpolitik insgesamt und die Entscheidungsmacht einer koordinierenden Stelle zu stärken, könnte die neue Bundesregierung zudem einen Digitalvorbehalt bei neuen Gesetzen einführen.

Der Netzausbau braucht gebündelte Verantwortlichkeiten

Aus Sicht der privaten Kommunikationsdienstleister ist zumindest klar, dass es kein reines Ministerium der digitalen Verwaltung geben sollte, sondern ein Ressort, das günstige Rahmenbedingungen für den zügigen Ausbau der digitalen Infrastruktur schafft. Dabei geht es vor allem darum, Investitionen in die Netze zu erleichtern und vorhandene künstliche Trennungen bei den politischen Verantwortlichkeiten aufzuheben. Zum Beispiel sollten Aspekte wie das Telekommunikationsrecht und die Vergabe von Frequenzen, die bisher zwischen Wirtschaftsministerium und Verkehrsministerium aufgeteilt sind, in einem (neuen) Ressort gebündelt werden – für insgesamt mehr Koordinierung und Priorisierung bei der Digitalisierung.

Für eine Bündelung der Zuständigkeiten beim Thema Infrastruktur spricht sich beispielsweise auch die hessische Digitalministerin Kristina Sinemus aus: Die Bereiche Mobilfunk, Breitband und Telekommunikationsgesetz müssten in einem Ministerium verantwortet werden, damit in diesen Punkten schnellere Fortschritte erzielt werden können.

Es bleibt abzuwarten, welche Lösung die Ampel-Koalitionäre in ihren Verhandlungen finden werden: Mehr digitalpolitische Koordination im Bundeskanzleramt oder ein eigenes Digitalministerium? Welches Maß an Ressourcen und Zuständigkeiten ist damit verbunden? Und kommt echte Entscheidungsmacht in Form des Digitalvorbehalts? Bis Weihnachten haben wir hoffentlich mehr Gewissheit.

Unser interaktives Tool zur Bundestagswahl 2021

#MeinDigi4 – Das Quartett für die digitale Zukunft Deutschlands


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