Neue Bundesregierung: Die Digitalisierung im Koalitionsvertrag
Am 24. November war es endlich soweit: Fast neun Wochen nach der Bundestagswahl wurde der Koalitionsvertrag, den SPD, Grüne und FDP ausgehandelt haben, in Berlin vorgestellt. Die drei Parteien des Ampel-Bündnisses stellen die angestrebte Regierung dabei unter das Motto „Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“. Welche Rolle dabei die Digitalpolitik spielen soll, möchten wir hier beleuchten und einige wichtige Vorhaben hervorheben.
In der Präambel des Koalitionsvertrags wird die Digitalisierung als eine zentrale Herausforderung für Deutschland beschrieben, die „die Art und Weise wie wir wirtschaften, arbeiten und miteinander kommunizieren“ verändere. Um dieser und weiteren Herausforderungen wie dem Klimawandel und der Corona-Pandemie zu begegnen, soll der Staat modernisiert werden. Damit staatliches Handeln schneller und effektiver wird und es auch besser auf künftige Krisen vorbereitet ist, möchte die Ampel-Koalition vor allem die „umfassende Digitalisierung der Verwaltung“ vorantreiben:
„Es geht darum, das Leben für die Bürgerinnen und Bürger leichter zu machen. Wir werden die öffentliche Infrastruktur, öffentliche Räume und Netze modernisieren und dafür Planung, Genehmigung und Umsetzung deutlich beschleunigen.“
Der besondere Stellenwert, den die neue Bundesregierung der Digitalisierung zumisst, zeigt sich unter anderem an der Position im Koalitionsvertrag. Direkt nach der Präambel folgt das Kapitel „Moderner Staat, digitaler Aufbruch und Innovationen“, in dem die meisten Vorhaben für den Digitalbereich beschrieben werden, mit denen „das Potenzial der Digitalisierung in Staat und Gesellschaft“ besser genutzt werden soll.
Infrastrukturausbau und eine moderne Verwaltung
Dazu zählt insbesondere mehr Tempo beim Infrastrukturausbau: „Unser Ziel ist die flächendeckende Versorgung mit Glasfaser und dem neuesten Mobilfunkstandard.“ Dafür sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren entbürokratisiert und digitalisiert sowie die bestehenden Förderprogramme überarbeitet werden. Ein „Gigabit-Grundbuch“ soll mehr Transparenz über bestehende Infrastruktur schaffen, durch „alternative Verlegetechniken“ soll das Glasfaser schneller in die Häuser kommen. Dass private Investitionen in digitale Infrastruktur das primäre Ziel der neuen Koalition sind, kommt durch den Satz „Der eigenwirtschaftliche Ausbau hat Vorrang“ zum Ausdruck. Ebenfalls wird die Sicherung der Netzneutralität im Vertrag betont. Zudem möchte die Ampel-Koalition die Bedingungen für Start-ups verbessern.
Damit die Verwaltung „agiler und digitaler“ wird, soll sie konsequent die Nutzungsperspektive mitdenken und im öffentlichen Dienst soll die Digitalisierung zu einem „allgemeinen und behördenübergreifenden Kernbestandteil der Ausbildung“ werden. Für die Digitalisierung auf allen Ebenen wird zudem ein verlässlicher Pakt mit den Ländern zur Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung angestrebt. Die IT-Schnittstellen zwischen Bund und Ländern sollen zudem standardisiert und eine Cloud der öffentlichen Verwaltung aufgebaut werden; bei öffentlichen IT-Projekten sind künftig offene Standards die Maßgabe.
Vom Digitalcheck über digitale Bürgerrechte bis zur Datenpolitik
Für die Gesetzgebung ist ein Digitalcheck geplant, bei dem die Möglichkeit der digitalen Ausführung der jeweiligen Gesetzgebungsverfahren geprüft wird. Hinzu kommen ein digitalisiertes Petitionsverfahren sowie ein neues digitales Gesetzgebungsportal, „über das einsehbar ist, in welcher Phase sich Vorhaben befinden“ plus eventuelle öffentliche Kommentierungsmöglichkeit. Und es wird die Einrichtung einer Bundeszentrale für digitale Bildung geprüft.
Hinsichtlich der digitalen Bürgerrechte und IT-Sicherheit ist unter anderem ein Recht auf Verschlüsselung geplant und auch der Staat soll „verpflichtend die Möglichkeit echter verschlüsselter Kommunikation anbieten“. Bei neuen Technologien wie 5G oder Künstlicher Intelligenz soll es im Sinne der digitalen Souveränität ein Recht auf Interoperabilität und Portabilität geben sowie das Setzen auf offene Standards und Open Source. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) soll unabhängiger und zu einer zentralen Instanz werden, dem künftig alle staatlichen Stellen ihnen bekannte Sicherheitslücken melden müssen. Der digitalen Souveränität könnte es auch zuträglich sein, dass digitale Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz, Quantentechnologien, Cybersicherheit, Blockchain und Robotik künftig noch stärker mit staatlichen Mitteln gefördert werden sollen.
Beim Thema Daten strebt die Ampel-Koalition einen besseren Zugang besonders für Start-ups und KMU an, um diesen „innovative Geschäftsmodelle und soziale Innovationen in der Digitalisierung zu ermöglichen“. Dazu soll ein Dateninstitut die Verfügbarkeit und -standardisierung von Daten vorantreiben. Im Vertrag werden zudem ein eigenes Datengesetz, ein Rechtsanspruch auf Open Data sowie die „schnelle Verabschiedung einer ambitionierten E-Privacy-Verordnung“ angekündigt.
Der Klimaschutz soll durch mehr Nachhaltigkeit in der Digitalisierung unterstützt werden, etwa durch die Nutzung der Abwärme von Rechenzentren oder ein Umweltmanagementsystem für öffentliche Rechenzentren. Darüber hinaus finden sich überall im Dokument Aspekte, die mit der Digitalisierung verknüpft werden: sei es ein digitales Waldmonitoring, ein digitales Mapping für Gewässer, digitale Produktpässe, ein digitales Herkunfts- und Identifikationssystem für den Nährstoff- und Pflanzenschutz, digitale Mobilitätsdienste, ein digitaler Gebäuderessourcenpass und Gebäudeenergieausweis, die Digitalisierung der Bundeswehr und des Zolls, ein digitales Kinderchancenportal oder ein Digitalpakt 2.0 in der Bildungspolitik – um nur einige Punkte zu nennen.
Die EU als wichtiger digitalpolitischer Rahmen
Im Koalitionsvertrag wird betont, dass ein digitaler Aufbruch und digitale Souveränität nur im europäischen Rahmen gelingen können. Dementsprechend unterstützt die Ampel-Koalition den europäischen AI Act und möchte sich beim Digital Services Act (DSA) für „die Wahrung der Kommunikationsfreiheiten, starke Nutzerrechte, klare Meldeverfahren, den Zugang zu Daten sehr großer Plattformen für Forschungszwecke, die Überprüfbarkeit ihrer algorithmischen Systeme sowie klare Regelungen gegen Desinformationen“ einsetzen. Auch beim Digital Markets Act (DMA) plädieren die Koalitionäre für ambitionierte Regelungen, „die nicht hinter bestehende nationale Regeln zurückfallen dürfen“. Und im Bereich der Kryptowährungen wird eine gemeinsame europäische Finanzmarktaufsicht angestrebt.
Im Sinne der europäischen Vorgaben sollen zudem das Telemediengesetz (TMG) und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) grundlegend überarbeitet werden. Mit einem Gesetz gegen digitale Gewalt sollen rechtliche Hürden für Betroffene (z.B. Lücken bei Auskunftsrechten) abgebaut und umfassende Beratungsangebote etabliert werden.
Wer hat sich durchgesetzt und welches Ministerium gibt künftig den Ton an?
Vergleicht man den Koalitionsvertrag mit den Wahlprogrammen der drei Parteien, wird deutlich, dass sich vor allem viele digitalpolitische Forderungen der FDP darin wiederfinden – etwa beim Vorrang des eigenwirtschaftlichen Infrastrukturausbaus oder beim Datenschutz. Aber auch SPD und Grüne konnten viele ihrer Punkte im Vertrag unterbringen. Insgesamt dürfte es dem Ampel-Bündnis beim Thema Digitalisierung – anders als in anderen Politikfeldern – nicht schwergefallen sein, eine Einigung zu erzielen, da sie bei den meisten Aspekten nicht weit auseinandergelegen haben.
Nicht durchsetzen konnte sich die FDP allerdings mit ihrer Forderung nach einem eigenen Digitalministerium, gegen dessen Einrichtung sich die Koalitionäre nun doch entschieden haben. Stattdessen sollen die Kompetenzen in der Bundesregierung „neu geordnet und gebündelt“ sowie ein „zentrales zusätzliches Digitalbudget“ eingeführt werden, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Welche Rolle dabei das Ministerium für Verkehr und Digitales unter Führung von Volker Wissing (FDP) spielen wird, ist noch nicht absehbar. Das Verkehrsministerium hatten viele Beobachter:innen eigentlich bei den Grünen gesehen, aber da die FDP den Ausbau der digitalen Infrastruktur besonders betont hat, ergibt die Vergabe durchaus Sinn. Im Vergleich zur bisherigen Bundesregierung wird zudem das erst 2018 geschaffene Amt der Staatsministerin für Digitalisierung, das im Kanzleramt angesiedelt war, offensichtlich wieder abgeschafft.
Wie die Umsetzung all der oben genannten Vorhaben beim Querschnittsthema Digitalisierung organisiert und zwischen den 15 Bundesministerien und dem Kanzleramt künftig koordiniert wird, bleibt somit eine spannende Frage, der wir uns sicherlich bald mit weiteren Beiträgen widmen werden.
Mehr Informationen:
Standpunkt: Warum die neue Koalition den Ausbau digitaler Netze fördern muss
Digitalministerium: Über das Für und Wider eines federführenden Ministeriums
Der „Digitale Aufbruch“: Was die Sondierungsergebnisse digitalpolitisch bedeuten