NetzDG: Erste Transparenzberichte legen Grundstein für Evaluierung
Seit dem 1. Januar 2018 muss das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) umgesetzt
werden, das das Löschen von Hasskommentaren und anderen strafrechtlich relevanten
Beiträgen in Sozialen Netzwerken innerhalb von 24 Stunden gewährleisten soll. Jetzt
liegen die ersten Transparenzberichte der Netzwerke mit über zwei Millionen Mitgliedern
vor, die laut dem Gesetz einer halbjährlichen Berichtspflicht unterliegen (§ 2 Abs. 1
NetzDG). Sie zeigen, dass es je nach Netzwerk erhebliche Unterschiede in der Menge der
Beschwerden gibt. So hatte die Google Tochter YouTube knapp 215.000 eingehende
Beschwerden in den ersten sechs Monaten. Twitter listet sogar rund 265.000 auf.
Facebook hingegen gibt für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2018 nur 1.704
Beschwerden an. Auch gibt es bei den großen Netzwerken Unterschiede, wie sie sich
personell bei der Bearbeitung der Löschanträge aufstellen – und bei den Ergebnissen der
Prüfungen. Der Gesetzgeber muss die Berichte nun auswerten und die Ergebnisse bei der
geplanten Weiterentwicklung des Gesetzes berücksichtigen.
Hausordnung schärfer als NetzDG
Generell ist festzustellen, dass die Netzwerke die meisten Beschwerden auf der Basis ihrer
eigenen Community-Richtlinien behandeln. Bei YouTube sind nur im Bereich der
terroristischen und verfassungswidrigen Inhalte mehr Löschungen auf das NetzDG
zurückzuführen, als auf die Community-Richtlinien. Bei allen anderen sind die Löschungen
aufgrund der hauseigenen Richtlinie deutlich höher. Erwähnenswert ist hier, dass Inhalte
die gegen Community-Richtlinien und gegen das NetzDG verstoßen nur als Verstoß gegen
die Gemeinschaftsstandards geahndet werden. Dadurch wird der Beitrag nicht wie im
NetzDG nur in Deutschland, sondern weltweit gelöscht. Gleiches gilt auch für Facebook.
Die Besonderheit ist aber, dass Facebook-Nutzer erst ein separates Formular im
Impressum ausfüllen müssen, um Verstöße gegen das NetzDG zu melden. Beschwerden
die über das einfacher zugängliche Facebook-interne System gemeldet werden, tauchen
im Bericht des Netzwerkes nicht auf. Seit Neustem versucht Facebook, seine hauseigenen
Regeln für Postings in Deutschland offensiver zu kommunizieren. Bei einer öffentlichen
Veranstaltung im Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) im Mai dieses
Jahres stellte das Unternehmen das Regelwerk vor.
Personeller Aufwand
Aus den Berichten wird auch ersichtlich, wie viel Personal die Unternehmen für die
Bearbeitung der Beschwerden im Rahmen des NetzDG abstellen. Google hat für seine
Netzwerke Google+ und YouTube, für die das Unternehmen zwei separate Berichte
erstellt hat, insgesamt 100 Mitarbeiter im Einsatz. „Einige“ davon seien auch
deutschsprachige Juristen. Facebook gibt an, 65 Personen für die Bearbeitung zu
beschäftigen. Der Personalstand könne bei erhöhtem Beschwerdeaufkommen allerdings
angepasst werden. Dass in diesem Team – wie bei Google – Juristen arbeiten, geht aus
dem Bericht nicht hervor. Gleiches gilt für Twitter, das 50 Personen für die Beschwerden
abstellt. Aus dem knapp ausfallenden Twitter-Bericht steht nichts über deren juristische
Vorerfahrung. Alle Netzwerke arbeiten in der Rechtsberatung von einzelnen Postings zusätzlich mit externen Dienstleistern zusammen. Die Anzahl der übergebenen Inhalte liegt aber mit 56 (Facebook), 107 (Twitter) und 40 (YouTube) relativ niedrig.
Wenige Löschungen
Die Anzahl der gelöschten Beiträge im Verhältnis zu den von Usern oder
Beschwerdestellen gemeldeten Inhalten sind netzwerkübergreifend relativ gering.
YouTube löscht nur 27,1 Prozent aller gemeldeten Inhalte. Bei Facebook (21,2 Prozent)
und Twitter (10,8 Prozent) sind es noch weniger. Die Mitglieder der „Allianz für Meinungsfreiheit“, innerhalb der sich die diversen Gruppen von Gegnern des NetzDG organisiert hatten, glauben aber trotzdem, dass es zum sogenannten „Overblocking“ kommt. Dementsprechend fällt auch die Kritik an den Transparenzberichten aus. So moniert Elke Steven, Geschäftsführerin von „Digitale Gesellschaft“:
„Die vorgelegten Statistiken schweigen an den entscheidenden Stellen. Jede unberechtigt gelöschte Meinungsäußerung ist ein Angriff auf das Grundrecht. Keine Instanz prüft, wie oft dies erfolgt. Wie mit Widersprüchen gegen Löschungen – soweit dies überhaupt möglich ist – umgegangen wird, bleibt unklar.“
Ein Vorschlag zu einer solchen unabhängigen „Instanz“ kommt von Reporter ohne Grenzen, die eine „unabhängige Aufsicht“ fordern. Auch die betroffenen Unternehmen bemühen das „Overblocking“ weiter als Argument gegen die an sie gerichtete Regulierung. So schreibt Google Deutschland: „Die von Kritikern des NetzDG immer wieder vorgetragene Gefahr des ‚Overblocking‘ […] ist allerdings mehr als Theorie, sie ist real. Sie lässt sich aufgrund der aktuellen Systematik des Gesetzes – kürzeste Prüfpflichten einerseits und Sanktionsandrohungen für unterbliebenes Entfernen andererseits – nicht ausräumen.“
Facebooks Vice President for Global Policy Solutions, Richard Allan, schlägt in eine andere
Kerbe. Er argumentiert mit der weiter verzerrten Aufgabenverteilung zwischen den
Strafverfolgungsbehörden und Unternehmen:
„Die Frage, ob ein Inhalt rechtswidrig ist, sollte bei Gerichten und nicht bei Unternehmen liegen. Einige öffentlich diskutierten Fälle haben die Komplexität des Gesetzes deutlich gemacht und die Herausforderungen aufgezeigt, vor denen Unternehmen stehen, wenn sie die Rechtswidrigkeit von Inhalten in Grenzfällen beurteilen müssen. In diesen Diskussionen wurde deutlich, dass deutsche Juristen bei der Bewertung der gleichen Sachverhalte anhand identischer Rechtsgrundsätze zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen können.“
Das Bundesamt für Justiz (BfJ) hatte im März die Bußgeldleitlinien erlassen, nach denen die groben Verfehlungen der Netzwerke bei der Umsetzung des NetzDG geahndet werden sollen und damit den Unternehmen eine gewisse Orientierung gegeben. Bisher wurden keine Bußgelder verhängt, sagte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) dem Tagesspiegel Politikmonitoring.
Koalition für Weiterentwicklung
Die Koalitionsfraktionen sehen die Berichte der Sozialen Netzwerke – bei Unterschieden
im Detail – grundsätzlich als Nachweiß für die effektive Wirkung des Gesetzes. Dr. Jens Zimmermann, digitalpolitischer Sprecher, und Dr. Johannes Fechner, rechtspolitischer
Sprecher der SPD-Fraktion, sehen das Gesetz als „Schritt in die richtige Richtung“. Sie
begrüßen, dass die meisten aller Beschwerden (93 Prozent bei YouTube) innerhalb der
Frist von 24 Stunden behandelt wurden. Jetzt müsse geprüft werden, wie „die regulierte
Selbstregulierung weiterentwickelt werden kann“.
Der Koalitionspartner ist sich – ähnlich wie beim Urheberrecht – weniger einig zwischen
den Rechtspolitikern und den Digitalpolitikern. So erklärt die rechtspolitische Sprecherin
der Unionsfraktion Elisabeth Winkelmeier-Becker für ein „Overblocking“ gebe es „keine Anhaltspunkte“. Ihr Fraktionskollege, der digitalpolitische Sprecher Tankred Schipanski spricht hingegen davon, dass eine sorgfältige Auswertung und Weiterentwicklung benötigt wird, um „Overblocking zu vermeiden“. Letztendlich wollen aber beide die Berichte dazu nutzen, das Gesetz im Ansatz der freiwilligen Selbstregulierung weiterzuentwickeln. Eine der möglichen Stellen dafür, die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM), steht bereits im Austausch mit ihren Mitgliedern und will bis Ende des Jahres einen Vorschlag machen, wie sie gegenüber dem Tagesspiegel Politikmonitoring erklärt.
Opposition
Die Opposition schwankt zwischen Ablehnung und konstruktiver Kritik. Der
digitalpolitische Sprecher der FDP, Manuel Höferlin, der auch gerichtlich gegen das Gesetz
vorgeht, bezeichnet das NetzDG als „wirkungslos“ und „gemessen am Ausmaß des
Eingriffs in die Meinungsfreiheit“ als „rechtsstaatlich […] schlicht untragbar“. Die
Trennlinie zwischen gerade noch erlaubten und unerlaubten Äußerungen zu
unterscheiden sei Aufgabe des Rechtstaates und nicht von Unternehmen.
Die Grünen begrüßen hingegen die grundsätzliche Richtung des Gesetzes, wollen aber
nach der Auswertung der Berichte konkrete Verbesserungsvorschläge vorlegen und damit
nicht bis zum Ende der Evaluationsfrist 2020 warten. Als einzige Oppositionsfraktion
hatten die Grünen zu Beginn der Legislaturperiode keinen Gesetzentwurf vorgelegt, der
die teilweise oder gänzliche Aufhebung des Gesetzes vorsieht. Zu dem Gesetzentwurf der
Fraktion Die Linke und zu dem der AfD-Fraktion soll nach der Sommerpause eine
Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages stattfinden, für den es aber nach wie vor
noch keinen Termin gibt.
Weiteres Verfahren
Offiziell werden die Transparenzberichte, die im Bundesanzeiger am 1. August
veröffentlicht werden, jetzt vom Bundesamt für Justiz (BfJ) ausgewertet. Einen genaueren
Zeitplan wie lange die Auswertung benötigt und wie der weitere Zeitablauf ist, konnte das
BMJV dem Tagesspiegel Politikmonitoring nicht nennen. Erste Rückschlüsse sollen
allerdings aus den ersten Berichten des BfJ gezogen werden. Die Evaluation des NetzDG
muss dann bis spätestens 2020 erfolgen.
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Martin Müller und Lina Rusch sind Analysten für Digitalpolitik.