Nachgefragt! mit Valentina Kerst und Fedor Ruhose: „Die Infrastruktur muss wieder auf die politische Agenda“
Wenn es um die digitale Verwaltung geht, liege Deutschland im EU-Vergleich höchstens im Mittelfeld, konstatiert die frühere Staatssekretärin in Thüringen, Valentina Kerst, die seit Jahren nicht nur die Politik zur Digitalisierung berät, sondern auch Unternehmen. Zusammen mit Staatssekretär Fedor Ruhose, der sich in Rheinland-Pfalz mit dem Digitalisierungskonzept befasst, hat sie jetzt ein Buch veröffentlicht, das den warnenden Titel „Schleichender Blackout – Wie wir das digitale Desaster verhindern“ trägt.
In der Veranstaltungsreihe „Nachgefragt“ im BASECAMP von Telefónica in Berlin-Mitte erläuterten die beiden, dass es ihnen nicht darum gegangen sei, „ein Weltuntergangsbuch zu schreiben“, sondern auf die vielen kleinen Probleme aufmerksam zu machen, die sich immer mehr anhäuften, bis sie zu einer Handlungsunfähigkeit führen könnten. „Wenn Kommunen nicht mehr in der Lage sind, ihre Dienstleistungen anzubieten, dann haben wir einen Blackout“, sagte Kerst. Wenn Abiturprüfungen nicht geschrieben werden können, weil die Schulen die Aufgaben nicht herunterladen können, dann erleben die Schüler:innen einen Blackout, erinnerte Kerst an das digitale Desaster kürzlich in Nordrhein-Westfalen.
Ruhose betonte, in vielen Gesetzen gebe es noch Regelungen, die digitales Verwalten behindern. Gesetze müssten so geschrieben werden, dass ihre digitale Umsetzung gleich mitgedacht wird. Es sei auch beispielsweise nicht notwendig, dass jede Kommune selbst die Führerscheine ausstelle. Das könnte mit einem einheitlichen System bundesweit digitalisiert geschehen. Die politische Diskussion um die föderalen, mitunter konkurrierenden Kompetenzen zwischen Bund und Ländern wollten sie aber in ihrem Buch nicht fortsetzen. Kerst betonte, man müsse erst mal entscheiden, „was wollen wir eigentlich, und zwar aus der Sicht der Bürger, nicht der Verwaltung“. Da ließen sich dann auch Prozesse entschlacken und besser koordinieren, so dass Daten nicht immer wieder neu eingegeben werden müssten.
Für Ruhose ist es besonders wichtig, dass Verwaltungsdigitalisierung ressortübergreifend angelegt sein muss und nicht nur in der Verantwortung eines damit befassten Ministeriums liege. Die Fachleute aus allen Abteilungen sollten ihre Kenntnisse einbringen. In Rheinland-Pfalz mache er damit sehr gute Erfahrungen, wenn Prozesse aus verschiedenen Blickwinkeln bearbeitet werden. Gute Ergebnisse könnten dann überall „ausgerollt werden“. Die Digitalisierungsprojekte müssten transparenter und die Ergebnisse messbar sein.
Die Flut im Ahrtal habe gezeigt, wie wichtig die Mobilfunknetze und redundante Strukturen seien, nachdem alle Leitungen zerstört waren. Der Glasfaserausbau müsse jetzt beschleunigt werden, sagte Ruhose: „Wir haben ja schon Jahre verloren“. Kerst betonte, dass es nicht nur eine Frage des Geldes sei, um die Infrastruktur zu verbessern, sondern vor allem auch eine Frage der Realisierung: „Das Geld muss auch verbaut werden.“ „Die Infrastruktur muss wieder auf die politische Agenda“, forderte Kerst. Die Dynamik aus der Corona-Zeit müsse unbedingt beibehalten werden. Aber sie habe den Eindruck, dass der Schub schon wieder nachlasse.
Einen Mentalistätswechsel verlangte Ruhose, nicht nur in Politik und Verwaltung, sondern bei jedem Einzelnen. Einen bewussteren Umgang mit Daten und eine gesellschaftliche Diskussion, was Künstliche Intelligenz leisten könne und was sie dürfe. Viele Prozesse könnten standardisiert werden. Dabei müsse man nicht fürchten, dass Menschen arbeitslos würden, da durch den demographischen Wandel künftig weniger Fachkräfte zur Verfügung stehen, die dann von Routinearbeiten entlastet werden könnten.