Mobilität für morgen: UdL Digital Talk mit Volker Wissing und Constantin Schwaab
Deutschland ist das klassische Autoland mit Verbrennungsmotoren – fällt es uns deswegen so schwer, Mobilität neu zu denken? Und wenn Digitalisierung eigentlich „einfacher, schneller und billiger“ bedeutet, warum ist die Mobilitätswende dann noch nicht fertig? Über diese und weitere Fragen diskutierten Dr. Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, und Constantin Schwaab, Gründer und CEO von Wirelane GmbH, im UdL Digital Talk unter dem Titel „Mobilität für morgen – digital ist besser“.
Die erste Ausgabe des UdL Digital Talk im Jahr 2023 stieß auf großes Interesse, wie am zahlreich erschienenen Publikum im BASECAMP deutlich wurde. Neue Mobilität ist offenbar ein Thema, das viele Menschen nicht nur sprichwörtlich bewegt, sondern bei ihnen auch Diskussionsbedarf auslöst. Mit Bundesminister Volker Wissing konnte Moderator Cherno Jobatey zudem einen zentralen politischen Akteur zum Thema auf dem Podium begrüßen.
Zur Zukunft des Verbrennungsmotors
Der Minister hatte am Tag vor der Veranstaltung noch für große öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt, als er der EU-Kommission drohte, dem ab 2035 in der Europäischen Union geplanten Verbot von Autos mit Verbrennungsmotor nicht zuzustimmen. Dementsprechend ging es zum Auftakt der Diskussion gleich um die Frage der Prioritäten bei der Mobilitätswende und die Zukunft des Verbrennungsmotors. Volker Wissing verwies darauf, dass die Veränderungen in der Mobilität aufgrund der großen Bestandsflotte an Verbrennern hierzulande ein besonderer Kraftakt werden würden und plädierte für individuelle Entscheidungsmöglichkeiten der Bürger:innen statt staatliche Vorschriften.
„Wir wollen, dass ab 2035 Verbrennungsmotoren weiter zugelassen werden können, wenn sie mit synthetischen Kraftstoffen betankt werden. Deswegen haben wir die EU-Kommission gebeten, (…) dass ein Vorschlag gemacht wird, wie das regulatorisch umgesetzt werden kann.“
Mitdiskutant Constantin Schwaab, der Gründer des Unternehmens Wirelane, das Ladestationen für Elektroautos installiert, konnte Wissings Argumentation mit Blick auf die industriepolitische Bedeutung der Autohersteller für die deutsche Wirtschaft zwar nachvollziehen, wies aber auch auf die Rolle des Verbrauchsverhaltens und den damit verbundenen Abschied von klassischen Antrieben hin.
Potenziale der Digitalisierung
Aufgrund seiner Erfahrung in der Branche benannte Schwaab zudem eine Hürde für die Mobilitätswende in Form von zu komplexen Verfahren bei der Fördermittelvergabe, z.B. an Hersteller von Ladesäulen. Auf Cherno Jobateys Nachfrage, was die Politik da tun könnte, schlug Wissing vor, die Fördermittelverfahren zu digitalisieren.
Auch im weiteren Verlauf der Diskussion wurden die Potenziale der Digitalisierung für die Zukunft der individuellen Mobilität hervorgehoben: So habe etwa das digital verfügbare 9-Euro-Ticket viele eingefahrene Gleise im öffentlichen Nahverkehr infrage gestellt und Probleme bei der Auslastungsmessung im ÖPNV aufgezeigt.
In diesem Zusammenhang wollte Moderator Jobatey vom Minister auch wissen, inwieweit der Föderalismus in Deutschland ein Problem für die Mobilitätswende sei. Wissing gestand zwar gewisse Schwierigkeiten mit den föderalen Strukturen ein, bezeichnete diese aber lieber als eine allgemeine Herausforderung für die Politik. Zugleich sprach er sich für mehr einheitliche Standards, auch auf europäischer Ebene, aus.
Weg vom Auto?
Hinsichtlich der gesellschaftlichen Veränderungen durch die Digitalisierung merkte Constantin Schwaab darüber hinaus an, dass durch die heutigen technologischen Möglichkeiten Mobilität gar nicht immer nur mit Bewegung gleichgesetzt werden muss:
„Ich glaube, dass wir durch die Corona-Phase, die uns allen natürlich viel abverlangt hat, einfach wahnsinnig viel darüber gelernt haben, dass wir uns eben nicht immer physisch bewegen müssen, um an Plätze und Orte zu kommen.“
Die motorisierte Fortbewegung steht für den Verkehrsminister trotzdem im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Mobilitätsbedürfnisse. So betonte Wissing während der gesamten Diskussion immer wieder, dass das eigene Auto für viele Menschen hochattraktiv sei und verwies auf steigende Zulassungszahlen für Pkw in Deutschland. Gerade für ältere Menschen oder im ländlichen Raum würde das Auto nämlich mobile Teilhabe bedeuten. Er gab aber auch einen Ausblick auf die zu erwartenden Entwicklungen im Güterverkehr, auf der Schiene und bei Radwegen.
Regulierung nur so viel wie nötig
Für weitere Optionen der Fortbewegung wie Car-Sharing oder autonomes Fahren seien zudem die Konnektivität durch die digitale Infrastruktur und ihr Ausbau, z.B. von 5G-Netzen, von entscheidender Bedeutung, wie Wissing erklärte.
„Wir haben neue Mobilitätsformen. Wir werden Carsharing auch stärker in die Fläche bringen, wenn wir ferngesteuerte, telegesteuerte Systeme nutzen.“
Damit wir mit solchen Mobilitätsformen sowie den Zielen der Klimaneutralität, gerade bei den elektrisch betriebenen Fahrzeugen, vorankommen, plädierte Schwaab zum Ende der Podiumsdiskussion für sinnvolle Deregulierung. Dem konnte sich der liberale Bundesminister für Digitales und Verkehr nur anschließen – und sprach sich zugleich gegen eine „Verknappung von Mobilität“ aus.
Die abschließenden Publikumsfragen, etwa zu Ladesäulen, E-Fuels oder dem transeuropäischen Zugnetz, zeigten, dass sich viele der anwesenden Gäste im BASECAMP detailliert mit dem Thema Fortbewegung auseinandersetzen – und dass die digitale Mobilitätswende noch lange nicht am Ziel ist.