Mobilfunkausbau: Was bedeutet „überragendes öffentliches Interesse“?
In der politischen Debatte über einen schnelleren Ausbau der digitalen Infrastruktur wird in letzter Zeit intensiv um den Begriff des „überragenden öffentlichen Interesses“ gerungen. Doch was ist damit gemeint und warum ist der Begriff speziell für den Mobilfunkausbau so wichtig?
Anlass für die aktuelle Diskussion über den Begriff ist das geplante „Gesetz zur Beschleunigung des Ausbaus von Telekommunikationsnetzen“, das die Bundesregierung demnächst verabschieden möchte, um die Gigabitstrategie umzusetzen und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken. Ein erster Entwurf für das sogenannte TK-NaBeG wurde bereits im August 2023 vorgelegt, die Verabschiedung im Kabinett seitdem aber immer wieder verschoben. Nun könnte es im Frühjahr 2024 soweit sein.
Die Abwägung öffentlicher Interessen
Eine wichtige Frage ist dabei, ob dem Ausbau der Telekommunikationsnetze im Gesetz ein „überragendes öffentliches Interesse“ zugeschrieben wird, wie dies ursprünglich im ersten Entwurf des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) vorgesehen war. Denn zwischenzeitlich wurde der Passus wohl wieder aus dem Kabinettsentwurf gestrichen.
Die Einstufung eines Themas als „überragendes öffentliches Interesse“ legt fest, ob es höher gewichtet wird als andere öffentliche Angelegenheiten und vor allem auch schneller entschieden wird. So gilt z.B. für erneuerbare Energien seit 2022 per Gesetz ein überragendes öffentliches Interesse, wodurch ihr Ausbau höhere Priorität genießt als andere Belange. Es handelt sich laut der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages allerdings um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der nur bei Abwägungsentscheidungen zwischen widerstreitenden öffentlichen Interessen relevant ist. Etwa wenn es um Ausnahmen oder Befreiungen von naturschutzrechtlichen Verboten oder Einschränkungen durch das Wasserrecht, den Denkmalschutz oder das Baurecht geht. Auf andere gesetzliche Ge- und Verbote eines Themenfelds, wie etwa die Einhaltung von Abstandsflächen bei Funkmasten oder Windrädern, hat die Kategorisierung hingegen keine Auswirkungen.
Naturschutz vs. Mobilfunkausbau
Für den Bereich des Mobilfunks ist dessen Einstufung als überragendes öffentliches Interesse besonders relevant, weil ein flächendeckender Ausbau der Mobilfunknetze nicht selten durch Regelungen des Naturschutzes eingeschränkt wird. Schon oft haben Funkplaner die Realisierung von Projekten komplett verworfen, wenn sich abzeichnete, dass geplante Standorte in Naturschutzgebieten nicht genehmigt werden oder Bauanträge abgelehnt worden sind – selbst wenn die Behörden frühzeitig kontaktiert wurden.
Dies betrifft beispielsweise den Bau von Funkmasten entlang von Verkehrswegen, die durch Naturschutzgebiete gehen. Hier kollidieren dann die Vorgaben zum Landschaftsschutz mit den Versorgungsauflagen für die Mobilfunkbetreiber, mittelfristig überall eine 5G-Netzabdeckung zu gewährleisten. Denn viele der heute bestehenden weißen Flecken in ländlichen Räumen können nur geschlossen werden, wenn ein Bau von Standorten in Natur- und Landschaftsschutzgebieten ermöglicht wird. Und diese Gebiete gibt es überall in Deutschland, vor allem in den großen Flächenländern Bayern und Baden-Württemberg. Dabei gibt es beim Mobilfunkausbau auch einen Zusammenhang zur politisch gewünschten Energiewende. Denn eine dezentrale Energieerzeugung erfordert auch ein leistungsfähiges Kommunikationsnetz, um die Steuerung zu gewährleisten.
Letztlich handelt es sich bei der Frage, ob der Mobilfunkausbau als “überragendes öffentliches Interesse” eingestuft wird, somit um eine politische Entscheidung, ob der flächendeckende Mobilfunkausbau in Deutschland tatsächlich gewollt ist oder nicht.
Politisches Pro und Kontra
Dementsprechend treten die großen Verbände der Branche, VATM und Bitkom, seit Monaten dafür ein, dass eine solche Einstufung im TK-NaBeG erfolgt. Grundsätzlich unterstützt wird dieses Vorhaben durch das FDP-geführte BMDV und die SPD im Bundestag.
Bedenken innerhalb der Ampel-Koalition gibt es jedoch offenbar von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sowie mittlerweile auch aus dem Wirtschafts- und Klimaschutzministerium von Robert Habeck, das eine Konkurrenz zum Ausbau der erneuerbaren Energien befürchtet – wodurch sich der Prozess bis zur Verabschiedung des Gesetzes weiter hinzieht. Die Bundestagsfraktion der Grünen ist in der Frage allerdings noch uneins, wie Digitalausschuss-Vorsitzende Tabea Rößner gegenüber dem Tagesspiegel deutlich machte:
„Wir stehen im Zwiespalt, den Ausbau beschleunigen zu wollen, aber nicht zulasten der Belange des Naturschutzes.“
Unterstützung für die Priorisierung kommt hingegen immer wieder aus den Ländern, die sich auch im Bundesrat dafür ausgesprochen haben. Zum Beispiel positionierte sich Niedersachsens Wirtschafts- und Digitalisierungsministerium unter Olaf Lies (SPD) im Herbst ebenfalls für das überragende öffentliche Interesse beim Netzausbau. Aber auch die grüne NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur äußerte sich jüngst in diesem Sinne:
„Der Vorschlag, im Rahmen des TK-Netzausbaubeschleunigungsgesetzes die Verlegung von TK-Linien als im „überragenden öffentlichen Interesse“ zu definieren, ist aus meiner Sicht konsequent und richtig.“
Vor diesem Hintergrund wird am Ende vielleicht doch noch eine politische Lösung gefunden, damit das TK-Netzausbau-Beschleunigungs-Gesetz seinem Ziel auch wirklich gerecht werden und der flächendeckende Ausbau der Mobilfunknetze voranschreiten kann.
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