Lunch-Talk von AI-Hub Europe: KI-Strategien besser aufeinander abstimmen
Foto: Henrik Andree
Vor etwas über einem Jahr hat die Bundesregierung ihre KI-Strategie beschlossen. Was hat sich seitdem getan? Wo besteht der dringlichste Handlungsbedarf? Über diese Fragen diskutierten KI-Experten aus Politik und Wirtschaft am 11. Dezember beim siebten Lunch-Talk von AI-Hub Europe im BASECAMP.
Einig waren sich die geladenen Gäste, dass Science-Fiction-Vorstellungen von Künstlicher Intelligenz im vergangenen Jahr einem realistischeren Bild gewichen und stärker ins Bewusstsein von Öffentlichkeit und Politik gerückt sind. „Dennoch müssen wir aufpassen, dass wir weiterhin Chancen in den Vordergrund stellen und nicht nur noch, wie in Deutschland üblich, über Risiken und ethische Fragen diskutieren“, gab Jörg Bienert, Präsident des vor eineinhalb Jahren gegründeten KI-Bundesverbands, zu bedenken.
Andreas Hartl, der im Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) das Referat Strategie Künstliche Intelligenz, Datenökonomie, Blockchain leitet, erläuterte auf Nachfrage von Moderator Daniel Abbou noch einmal die Kernpunkte der KI-Strategie: „Wir haben einen umfassenden Ansatz gewählt, bei dem es uns besonders um Transfers von der Forschung in die Wirtschaft und um Datenpolitik ging.“ Daneben will die Bundesregierung die Ausbildung im KI-Bereich sowie den gesellschaftlichen Diskurs über KI stärken.
Bund und Länder müssten sich besser abstimmen
Jörg Bienert äußerte sich grundsätzlich positiv über die KI-Strategie. „Ich vermisse jedoch eine klare Zielsetzung mit messbaren Kriterien, eine abgestimmte Vorgehensweise zwischen den Bundesministerien und den Ländern“, sagte er. „Bildlich gesprochen säen wir gerade, zum Beispiel in Bayern mit seiner Digital-Strategie, überall kleine, unzusammenhängende Pflänzchen, aber am Ende kommen Amerika und China und setzen uns eine fertige Hecke hin.“ Nur vereint kämen Deutschland und Europa gegen eine solche Übermacht an.
Und die Wirtschaft? Zumindest die großen Unternehmen haben die Bedeutung von KI erkannt und verfügen auch über die finanziellen und personellen Mittel, um diese gewinnbringend einzusetzen. So erklärte Markus Heimann, der als Director Digital & Data Competence Center bei Telefónica Deutschland auch für alle KI-Anwendungen des Telekommunikationskonzerns verantwortlich ist, sein Unternehmen habe den KI-Bereich massiv ausgebaut. Rund 50 Mitarbeiter entwickelten inzwischen KI-Produkte. Um zusätzlich auch Kollegen aus anderen Bereichen an das Thema heranzuführen, gebe es für jeden die Möglichkeit, sich weiterzubilden. Darüber hinaus organisiere sein Team unternehmensinterne Veranstaltungen, um darüber zu informieren wie KI-Anwendungen unterstützen können und welche Projekte bereits umgesetzt werden. Das derzeit wichtigste Projekt, erläuterte Heimann, sei die ständige Analyse der rund 45.000 Sendestationen: „Unser KI-System analysiert etwa 60 Milliarden Datensätze, die täglich von den Sendestationen generiert werden, auf auffällige Muster. So vermeiden wir Systemausfälle, was unseren Kunden zu Gute kommt und dem Unternehmen viel Geld spart.“
KI-Softwares als neue Herausforderung
Nachholbedarf in Sachen KI sieht Jörg Bienert aktuell insbesondere bei kleinen und mittelständischen Unternehmen: „In den letzten Jahren haben sie wenig Handlungsbedarf gesehen. Die Wirtschaft florierte, aktuelle Aufträge standen vorne an.“ Bienert ist auch Gründer und Geschäftsführer der Agentur Aiso-lab, die Unternehmen dabei berät, wie sie KI-Lösungen einsetzen können.
KI- und Machine-Learning-Programme, erklärte Bienert, brächten besondere Anforderungen mit sich. „Man kann sie nicht wie herkömmliche Software den Kunden hinstellen, die probieren sie aus und kaufen sie im Ernstfall“, erläuterte Bienert. „Das Ganze ist sehr viel aufwendiger.“ Zunächst brauche es passende Daten der Kunden, mit denen das jeweilige Programm trainiert werden kann und auch dann sei nicht gesagt, dass die Software sich erfolgreich integrieren lasse. Dieser Prozess schrecke viele ab, man müsse die Unternehmen daher, so Bienert, „motivieren, über ihren eigenen Schatten zu springen.“
Andreas Hartl vom Bundeswirtschaftsministerium hält es für wichtig, dass Unternehmen ein Bewusstsein dafür entwickelten, welchen Wert bereits von ihnen gesammelte Daten haben und welche Daten sie noch erfassen können. Auch vermeintlicher „Datenschrott“ sei in einem anderen Kontext möglicherweise von Interesse – zum Beispiel, wenn eine KI-Software bislang unentdeckte Muster erkenne. „Die Wertermittlung von Daten gestaltet sich bislang allerdings als schwierig“, sagte Hartl. „Hier kann man nur Anreize schaffen, damit Unternehmen Daten selbst verwerten oder Zweiten anbieten.“
Jörg Bienert denkt hierbei an einen Marktplatz für Daten. Ihn ohne Katalysator zu etablieren, hält er aber für schwierig. „Bislang gibt es da zudem noch technische Probleme und durch die DSGVO ist ein Datenaustausch auch nicht einfacher geworden“, fügte er an. Es müsse daher Möglichkeiten geben, Daten anonymisiert zu teilen, zum Beispiel über DSVGO-konforme Plattformen, forderte Bienert. Heimann berichtete, dass Telefónica in diesem Bereich bereits aktiv Projekte verfolge. Dabei bilden Algorithmen reale Kundendaten künstlich nach, so dass deren statistischen Eigenschaften zur Verfügung stehen und für unterschiedliche Analysen verwendet werden können. Das Unternehmen kooperiere hierbei auch mit Universitäten: Studierende können dann mit einem künstlichen Datensatz arbeiten, der den Daten von rund 50 Millionen Telefónica-Kunden annähernd gleicht.
Data Scientists sind Mangelware
Moderator Daniel Abbou wollte von den geladenen KI-Experten auch wissen, wie es um Talente im Bereich Machine Learning bestellt ist. Heimann zufolge sei der Markt quasi „leergeräumt“. Sein Unternehmen suche weltweit, insbesondere auch in Spanien und Südamerika. Data Scientists seien in Deutschland rar, fügte auch Andreas Hartl an. Kleine und mittelständische Unternehmen hätten hier ein großes Nachwuchsproblem. „Ein Nischen-Weltmarktführer hat möglicherweise Probleme, geeignete Personen von einem Umzug in sein pfälzisches Dorf zu überzeugen“, sagte Hartl.
Vor kurzem habe er bei einer Veranstaltung in Karlsruhe darüber mit Unternehmern gesprochen. Für erfolgversprechend erachte er das Konzept, Talente im eigenen Unternehmen zu suchen und diese intensiv in Data Science auszubilden. „Sie sehen nicht nur keinen Standortnachteil, sondern wissen zudem, wie ihr Unternehmen tickt und welche Daten vorhanden sein könnten“, so Hartl.
Handlungsbedarf sehen alle Diskutanten im Bildungsbereich. „Nur so können wir den Bedarf an Data Scientists langfristig decken“, betonte Bienert. Sein Verband fordert, Informatik als Pflichtfach in allen Schulen einzuführen. In NRW wurde das vor kurzem beschlossen. Mit Sorge sehe der Präsident des KI-Bundesverbands, dass die Zahl der Studienanfänger in den MINT-Fächern zurückgehe. „Informatik muss bereits in den Klassen 5 bis 7 unterrichtet werden, da hier die Weichen für spätere Interessen gestellt werden“, sagte Bienert. Schülern müsse zudem digitale Medienkompetenz vermittelt werden.
Europäische Datensouveränität durch Gaia-X?
Am Ende kam Moderator Abbou noch auf das Thema Datensouveränität zu sprechen. Er wollte von den KI-Experten wissen, wie sie es beurteilen, dass US-amerikanische Unternehmen wie Amazon Web Services (AWS) den Cloud-Markt dominieren. „Die Datenabhängigkeit wird immer größer“, konstatierte Bienert. Immer mehr Unternehmen speicherten ihre Daten in der AWS-Cloud. Würden sich die Kosten schlagartig erhöhen, beispielsweise infolge politischer Spannungen zwischen Europa und den USA, hätten deutsche Unternehmen möglicherweise „kein gutes Blatt zum Pokern“. Bienert begrüße daher das Projekt Gaia-X der Bundesregierung.
Dessen Ziel sei es, so Hartl, ein europäisches Ökosystem zu schaffen, damit Unternehmen in Europa zur Speicherung und Analyse von Daten künftig eine europäische Alternative haben. „Dabei wird es neben einer Datencloud auch um Edge-Rechenzentren (kleine dezentrale Rechenzentren) gehen, die an Bedeutung gewinnen, wenn wir in absehbarer Zeit autonom fahren und Befehle möglichst nah am Fahrzeug verarbeiten werden müssen“, führte Hartl aus. Gaia-X solle von Marktakteuren getragen werden, das BMWi wolle nur Impulse geben. Die Keimzelle des Projekts werde Deutschland sein, eine enge Kooperation mit französischen Partnern und weiteren Drittstaaten sei vorgesehen, so Hartl.