Kommune 5.0: Was würde Hannah Arendt dazu sagen?
Wie demokratisch wird das digitale Jahrhundert? Im Rahmen der diesjährigen Hannah-Arendt-Tage, die unter dem Titel „Wissen-Macht-Meinung: Demokratie 5.0“ in Hannover stattfanden, diskutierten über diese und andere Fragen Menschen aus Politik, Wissenschaft und der digitalen Welt. Zeit ihres Lebens hat sich Hannah Arendt in die öffentliche Debatte eingemischt und zu gesellschaftlichen, politischen und moralischen Themen geäußert. Mit den seit 1998 stattfindenden Hannah-Arendt-Tagen möchte die Stadt Hannover an die im Jahre 1906 geborene politische Theoretikern erinnern und es ihr gleichtun: Mit einem Begegnungsraum, in dem sich Menschen aus Politik, Wissenschaft und Stadtgesellschaft intensiv miteinander austauschen. Dieses Jahr lag dabei der Fokus auf der Verbindung zwischen Demokratie und digitalem Wandel.
Einige Veranstaltungen, darunter die Vorträge der Informatikerin und Sprecherin des Chaos Computer Clubs, Dr. Constanze Kurz, und des Soziologen und Mitarbeiters des Fraunhofer Instituts für offene Kommunikationssysteme (FOKUS), Dr. Mike Weber, wurden im Livestream bei YouTube übertragen. Aus jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln diskutierten die Experten darüber, inwiefern Algorithmen auf kommunaler Ebene eingesetzt werden könnten und welche Wagnisse damit einhergingen.
Stadt ohne Bürgermeister
Es ist ein faszinierendes Szenario, das Mike Weber zu Beginn seines Vortrags für das Jahr 2025 zeichnete, um zu verdeutlichen, was eine teilweise automatisierte Kommune ist: „Sollen wir die Straßenbahn jetzt über die nördliche oder südliche Trasse führen?“ wird das „Stadtrat Informations Management Interface“ Simi von einem Sachbearbeiter der Verwaltung gefragt. Binnen Sekunden und aufgrund von umfassenden Datensätzen und ausgefeilten Algorithmen wiegt Simi Baukosten, Naturbelastung, Entlastung der Verkehrssysteme und Organisationsfähigkeit des Bürgerprotests gegeneinander ab und entscheidet: „Oben“. Während in diesem Szenario noch Menschen involviert sind, bildete Weber in einem nächsten Schritt die vollautomatisierte Kommune ab: Durch selbstlernende Systeme und die datenbasierte Errechnung des gesellschaftlichen Bedarfs unter Berücksichtigung politischer Zielsetzungen könnten selbst Bauprojekte, Kampagnen und Gesetze von Maschinen entwickelt und organisiert werden.
„Wenn es so weit ist, dann stellt sich die Frage, warum Hannover noch einen Bürgermeister braucht“,
warf Weber lachend in den Raum, bevor er auf die Möglichkeiten und Wagnisse algorithmischen Regierens blickte.
Denn was die einen für einen immensen Kosten und Effizienzvorteil halten, sehen die anderen kritisch mit Blick auf Nachvollziehbarkeit und Transparenz.
„Gerade bei selbstlernenden Systemen kann ich den Systemzustand nicht mehr ohne weiteres nachvollziehen“, so Weber.
Auch in Bezug auf demokratische Aspekte führte Weber verschiedene Argumente ins Feld. So könnten zwar die Präferenzen der Bürger durch datenbasierte Entscheidungen – vorausgesetzt man gewährleistete Datengüte – besser berücksichtigt werden, andererseits ließe aber die Bürgernähe nach und es käme zu einem „Ende der Politik“. Im Sinne Hannah Arendts, die den Menschen in ihrem Buch „Vita Activa“ als wesenhaft politisch beschreibt, wäre die voll automatisierte Kommune vermutlich nicht.
IT-Sicherheit
Während Weber seinen Blick vornehmlich auf das Potential algorithmischen Regierens richtete, ging die Informatikerin Dr. Constanze Kurz mehr auf ökonomische Aspekte und die IT-Sicherheit des algorithmischen Regierens ein. Jährlich gebe es z.B. millionenfach gezielte und ungezielte Schadsoftware- und Spionage-Angriffe in Deutschland. Damit stünde man vor einem strukturellen Problem der IT-Sicherheit.
„Die Frage, was öffnet man als Verwaltung für eine Pandora-Box, wenn man in der Regel schon die Grundlagen der IT-Sicherheit nicht ordentlich beherrscht, die muss man sich heute stellen“, sagte Constanze Kurz.
Zur Sicherstellung der IT-Sicherheit müsse man ihrer Ansicht nach „gleichzeitig mit sehr hohen Kosten kalkulieren“.
Digitale Spaltung
Den Bogen zu Hannah Arendt spannte am Ende der Vorträge die Mitveranstalterin der Hannah-Arendt-Tage, Dr. Franziska Martinsen von der Leibniz Universität Hannover. Unter Bezugnahme auf die Theorie des kommunikativen Handelns Arendts stellte sie die Frage, wie man es schaffen könnte, dass alle gleichermaßen am digitalen Leben teilhaben, ohne gleichzeitig „der Lobby auf den Leim zu gehen“. Denn insbesondere an den Universitäten, aber auch in anderen öffentlich finanzierten Einrichtungen, sieht Martinsen das Problem der digitalen Spaltung, weil die Verwaltung die Nutzung kommerzieller Angebote, wie z. B. Dropbox oder Skype, untersagt. Darauf antwortete der Soziologe Weber, dass es
„ein ganz, ganz wichtiger Punkt ist, erstmal die Alternativen zu haben sowie die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass alternative Systeme eine Chance haben zu bestehen und weiterzubestehen“.
„Es wäre absolut wünschenswert, wenn solche Projekte so offen sind, dass sie andere Unis auch mitbenutzen können und wenn das noch politisch gefördert würde“ pflichtete ihm die Informatikerin Kurz anschließend bei.