„Klatschen am Fenster reicht nicht“ – BASECAMP ON AIR: Der young+restless breakfastclub über Corona, Klima und Ungleichheit
Credits: Mitschnitt des Events auf YouTube || Ausschnitt bearbeitet
Von Maximilian Riegel
Die Klimabewegung steht derzeit vor einer paradoxen Situation. Einerseits geraten durch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise die Pariser Klimaziele wieder in greifbare Nähe. Andererseits wird gerade alles getan, um das alte, klimaschädliche System zu stabilisieren. Dieser komplexen Situation widmete die Veranstaltungsreihe young+restless am 20. Mai ihren breakfastclub. Statt wie gewohnt im BASECAMP in der Mittelstrasse im Herzen von Berlin fand er dieses Mal im BASECAMP ON AIR dem virtuellen Debattenraum des BASECAMPs als Online Event statt.
Die Diskussionsrunde zum Thema „Kann Corona eine Chance für den Klimaschutz sein?“ moderierte Diana Scholl, ihres Zeichens Leiterin politische Netzwerke und Strategie und stellvertretende Leiterin Volkswirtschaft beim Bundesverband der Mittelstand. Dass es zu einer durchaus kontroversen und angeregten Diskussion kam, lag aber weniger an ihr als an Prof. Tilman Brück, CEO bei dem Beratungsinstitut ISDC, und vor allem der konstruktiv, streitbaren Annika Liebert von Fridays for Future aus Erfurt. Beide vertraten in der ansonsten unternehmerorientierten Runde bestehend aus Melissa Kühn, Sustainability Manager beim Branchenverband Bitkom, dem Nachhaltigkeitsreferenten beim Bundesverband mittelständische Wirtschaft, Kilian Harbauer, sowie Joachim Sandt, Umweltmanagementbeauftragter bei Telefónica Deutschland, gesamtgesellschaftliche Positionen. Insgesamt drehte sich in der Runde viel um die Frage, was die einzelnen Unternehmen für Klimaschutz täten.
Sandt verwies darauf, dass sein Unternehmen im Rahmen der Möglichkeiten schon viel für Nachhaltigkeit täte. So kaufe man ausschließlich grünen Strom ein und nutze beispielsweise den Ansatz der Science Based Targets um weitere Maßnahmen zu entwickeln. Ziel der Telefónica Gruppe ist es einen aktiven Beitrag zu leisten um die Erderwärumung auf 1,5° zu begrenzen.
Chance für den Klimaschutz
Für die Digitalbranche konnte Kühn berichten, dass trotz des krisenbedingten Digitalisierungsschubs dennoch 80 Prozent der vom Bitkom befragten Unternehmen ökonomisch eher skeptisch in die Zukunft blicken. Sie selbst sieht in dem Schub jedoch eine Chance für den Klimaschutz. Auf Nachfrage einer Zuschauerin räumte sie zwar ein, dass das Internet absolut nicht CO2-neutral ist. Die Zahlen gäben dennoch Anlass zur Hoffnung. „Die globalen Studien sind sich einig, dass die Einsparungen durch Digitalisierung deutlich höher sind, als der Verbrauch.“ Für ihre lobende Einschätzung des Klimaschutzgesetzes der Bundesregierung musste sie sich Widerspruch der Aktivisten Liebert anhören. Die bezeichnete die bisherigen Schritte als „Pillepalle“. Ebenso wie Kühn konnte auch Harbauer für die Mittelständler keine rosigen Zustände schildern. Aus seiner Funktion konnte er aber berichten, dass er immer noch Anfragen von Unternehmen bekäme, wie sich Unternehmen klimafördernd einbringen könnten. „Die Unternehmen, die sich das leisten können, nutzen die Zeit, um sich neu zu ordnen.“ Auch zwischen ihm und Liebert entspann sich eine Kontroverse. Er monierte, dass Unternehmen durch Klimagesetze Steine in den Weg gelegt würden. Als Beispiel nannte er einen Hefe-Produzenten, der sich ein eigenes Kraftwerk gebaut und dadurch 30 Prozent Energieeinsparung erwirkt habe. Durch die kommende CO2-Besteuerung würde ihm das Kraftwerk nun aber zum Verhängnis. Die dahingehende Nachfrage von Scholl, ob die Klimapolitik angesichts dieses Beispiels nicht flexibler gestaltet werden müsste, wies Liebert zurück. Es helfe nichts, Einzelbespiele dazu zu verwenden, „die politischen Errungenschaften, die wir bisher erreicht haben und die wir in Zukunft erreichen müssen, aufzuweichen.“ Sie verteidigte ihre Position, wonach die Politik die Rahmenbedingungen immer noch nicht streng genug setze. „Die aktuelle Politik ist nicht darauf ausgerichtet, die Pariser Klimaziele zu erreichen“, kritisierte Liebert. Und auch Brück sieht das Handeln bei vielen Menschen und Unternehmen immer noch zu sehr auf Profit ausgerichtet. Er warnte vor sich verstärkenden Ungleichheiten und zog den Vergleich zwischen der Klima- und der Corona-Krise. „Ungleichheiten verstärken sich in Zeiten von Krisen.“ Optimistisch, dass sich das ändern könnte, ist er nicht. „Stimmen werden lauter, auch in diesem Land, die weniger solidarisch sind. Das gesellschaftliche Klima wird insgesamt rauer und nur am Fenster stehen und Klatschen hilft nicht und ist auch kein Ausdruck von Solidarität.“
Der Bitkom hat gemeinsam mit dem Borderstep Institut und der Universität Zürich die direkten und indirekten Auswirkungen der Digitalisierung auf den Klimaschutz untersucht. Ziel war es, die konkreten Handlungsfelder zu identifizieren, in denen Digitalisierung einen Beitrag leisten kann: https://www.bitkom.org/Bitkom/Publikationen/Bitkom-Studie-Klimaschutz-durch-digitale-Technologien
Das ISDC von Tilman Brück hat zusammen mit anderen die Seite lifewithcorona.org ins Leben gerufen. Darin veröffentlichen sie Umfragen und Statistiken, wie sich das Corona-Virus auf das Alltagsleben auswirkt: https://lifewithcorona.org/about-us/