KI: Software frisst die Welt auf. Ab jetzt auch die Hardware?
Foto: Shutterstock / violetkaipa
Vor einigen Tagen pilgerte die Tech-Presse nach San Francisco, wo Google seine neuen Pixel-Smartphones vorstellte, und ab jetzt erscheinen die ersten Hardware-Tests. Das große G auf der Rückseite stellt klar: Im Gegensatz zur bisherigen Nexus-Serie kommen diese Geräte direkt von Google und HTC ist nur ein Auftragsproduzent. Das war eigentlich eine Nachricht wie ein Paukenschlag bei der Produktvorstellung. Doch sie war dennoch nicht am wichtigsten, denn die Show diente vor allem zur Vorstellung des Google Assistant. Die neuen Smartphones sind nur kleine Figuren in einem größeren Spiel: dem Kampf um die Vorherrschaft auf dem Feld der künstlichen Intelligenz (KI).
Für die Anbieter steht dabei immer der Mensch im Mittelpunkt mit seinen Bedürfnissen, die es zu erfüllen gilt. Bei Google dient deshalb die neue Pixel-Hardware nur als Baustein in dem Mosaik, das ab jetzt um seinen virtuellen Assistenten entsteht. Seine bisherige Smartphone-Anwendung Google Now heißt nun Google Assistant und funktioniert auch auf Routern, HDMI-Dongles, VR-Brillen und Lautsprechern. Die verwendete Hardware spielt keine große Rolle, denn Google erzielt seine größten Erfolge schon immer mit Software.
Natürlich gab es immer auch interessante Geräte wie den Google Chromecast, das Samsung Galaxy Nexus oder den Nexus Q. Doch ihr Erfolg war nie vergleichbar mit der Google-Suchmaschine, Google Mail oder mit Google Ads, die heute den Löwenanteil der Werbeausgaben im Internet auf sich vereinen. Und natürlich nicht zu vergessen: Youtube, die zweitgrößte Suchmaschine der Welt und die erfolgreichste Video-Website aller Zeiten. Deshalb dürfte der Einstieg ins Hardware-Business nur einem Ziel dienen: ein Ökosystem von Produkten aufzubauen, mit denen sich der Google Assistant in allen Lebenslagen nutzen lässt.
In San Francisco wurden die Pixel-Smartphones und andere Geräte nur kurz abgehandelt, während aber alle Präsentationen eins gemeinsam hatten: Jeder Produktverantwortliche spielte dabei mit den Möglichkeiten, die ihm der Satz „OK, Google“ anbot. Der Assistent war immer präsent – und die alte Vorhersage des Netscape-Gründers Marc Andreessen, dass Software die Welt auffrisst, bekam wieder einen neuen Beleg. Denn ab jetzt gilt dieser Spruch auch für Hardware, die nun immer mehr im Hintergrund verschwindet.
Geschichte: Vom PC über Smartphones zur KI
Das war nicht immer so: Vor einiger Zeit drehte sich die Technikwelt noch um Personalcomputer. Von dicken Desktop-PC mit Röhrenbildschirmen ging die Entwicklung über die Tower, die unter den Tischen standen, zu mobilen Laptops und Notebooks. Momentan sind 2-in-1-Geräte mit abnehmbarer Tastatur angesagt, die abwechselnd als Tablet oder als Notebook funktionieren.
Doch seit dem Aufkommen der Smartphones nimmt die Entwicklung eine neue Richtung. Es gibt fast keinen Grund mehr, den PC überhaupt einzuschalten, denn beinahe alles erledigen heute diese praktischen Mobilgeräte. Und jetzt steht bereits der nächste Sprung an, der auch Smartphones und Tablets ins Museum verbannen kann: Die größten Unternehmen der Welt wollen ihre Kunden durch Assistenten mit künstlicher Intelligenz an sich binden.
Wettbewerb: KI-Konkurrenzkampf hat begonnen
Die ersten Punkte in diesem Wettbewerb gingen an Siri, die dem iPhone 4S ein Alleinstellungsmerkmal gab. Doch Apple scheint momentan auszuruhen und andere Anbieter holten auf oder stellten sogar weitreichendere Lösungen vor. Microsoft präsentierte beispielsweise Cortana, die als Erste nicht nur auf Smartphones läuft, sondern auch auf jedem PC mit Windows 10. Und Google perfektioniert seine Technik, die mit der App Google Now aufkam: dem Nutzer sogar Fragen zu beantworten, die er noch gar nicht gestellt hat. Ab jetzt natürlich mit dem Google Assistant und auf jeder Art von Hardware.
Einen sehr großen Schritt tat auch Microsoft, als im März neue Bots für Skype, Telegram, Slack und den Facebook Messenger präsentiert wurden. Bei der Entwicklerkonferenz Build 2016 gaben die Redmonder nicht nur Schnittstellen (API) dafür frei, damit Software-Anbieter nun eigene Lösungen damit programmieren können. Sie setzten auch einfach Cortana oben drauf, die nun solche Bots kontrollieren und ihre künstliche Intelligenz für eigene Antworten verwenden kann. Und seit dieser Woche soll die Technik zur Spracherkennung von Microsoft sogar genauso fehlerfrei arbeiten wie ein Mensch.
Solche Aufschläge wird es noch öfter geben. Selbst Unternehmen, die man bisher kaum als Anbieter kennt, wie Facebook oder WeChat, drängen in diesen Bereich. Auch Amazon gab gerade Source Code für Alexa frei, damit seine KI-Lösung nicht mehr nur auf hauseigenen Echo-Lautsprechern läuft, sondern auch auf jedem Mac und PC mit Windows oder Linux.
Trend: Beim C-Commerce vom Bot kaufen
Alle Anbieter möchten ein möglichst großes Stück von dem neuen Markt für sich erobern. Denn bei künstlicher Intelligenz geht es nicht mehr um Science Fiction, sondern um kleine praktische Assistenten, die das Leben immer mehr erleichtern, weil sie uns ständig besser kennenlernen. Daraus entsteht auch gerade wieder ein neuer Trend: Nach E-Commerce und M-Commerce startet nun der Conversational Commerce, bei dem man direkt vom Bot kauft. Das nennt sich dann C-Commerce.
Doch je mehr diese Entwicklung voranschreitet, umso mehr sinkt das Interesse an der genutzten Hardware. Smartphones haben bereits jetzt Fähigkeiten erreicht, wo sie für fast alle Belange ausreichen und eine Neuanschaffung immer seltener lohnt. Die Hersteller können sich kaum noch durch ihre verwendete Technik unterscheiden, auch wenn Apple und neuerdings sogar Samsung und Huawei eigene Prozessoren für ihre Smartphones produzieren.
Der Rest des Marktes arbeitet bereits jetzt mit denselben Komponenten und im Wettbewerb geht es bald nicht mehr darum, wer den größten RAM-Speicher einbaut oder die schnellsten Ladezyklen ermöglicht. Alles wird sich um die zugehörigen Services drehen und genau dort sieht auch Google seine Zukunft. Deswegen gibt es den neuen Google Assistant vorerst nur für die Pixel-Smartphones, während andere Hersteller von Android-Smartphones eigene Lösungen suchen müssen.
In dem neuen Ökosystem, das als Made by Google am 4. Oktober der Presse präsentiert wurde, ist jedes Gerät nur ein Satellit für den neuen Planeten im Google-Kosmos. Das konnten die Journalisten nach der Pressekonferenz gleich ausprobieren: Ein Pixel-Smartphone ist eigentlich gar nicht nötig, um den Google Assistant zu verwenden. Er lässt sich auch mit dem stimmaktivierten Heimlautsprecher Google Home oder anderer Hardware nutzen und in Zukunft wohl auch mit Geräten, die gar nicht unbedingt von Google kommen müssen.
Auch Samsung verkündete vor einigen Tagen den Kauf der US-amerikanischen Firma Viv Labs, um ihre Lösung für künstliche Intelligenz wohl bald mit seiner beliebten Galaxy-Hardware einzusetzen. Sie könnte vorerst unter Android laufen, aber bald auch schon mit Samsungs eigenem Tizen OS oder jedem anderen Betriebssystem. Darauf kommt es heute nicht mehr an, denn Hardware-Anbieter konzentrieren sich jetzt auf etwas anderes: intelligente Systeme, die unsere Wünsche verstehen oder erraten und daraus Software-Befehle ableiten, durch die wir mit unserer Umgebung interagieren. Google hat sein Steuer bereits in diese Richtung herumgerissen.
Zukunft: Digitaler Zwilling begleitet Dich
Deswegen könnte jetzt auch alles schnell gehen. Die Zukunftsvision aus Kinofilmen wie Her ist vielleicht gar nicht mehr weit entfernt: eine gemeinsame künstliche Intelligenz, die auf jedem unserer Geräte läuft und dabei ständig lernt, damit sie uns immer besser und persönlicher unterstützen kann.
Dafür könnten wir dann auch täglich ein anderes Smartphone verwenden oder unterschiedliche Computer und sogar Fernseher oder Autos. Unsere persönliche Assistenten-Intelligenz ist immer schon da und bereits eingeschaltet, damit sie überall mit demselben Wissen helfen kann, ohne dass wir den Übergang von einem Gerät zum nächsten überhaupt bemerken. Das war schon immer die Aufgabe von jeder Technik: dem Menschen zu dienen und sein Leben zu erleichtern.
Die jeweilige Hardware ist in dieser Zukunft nur noch ein austauschbares Zubehör für unsere persönliche künstliche Intelligenz, die uns den ganzen Tag als digitaler Zwilling begleitet. Das kann sogar so weit gehen, dass man selbst die intelligente Tapete befragen darf, die in allen Gebäuden klebt. Sie ist vernetzt und erkennt jeden Frager an seiner Stimme, damit sie persönliche Antworten aus der Cloud liefern kann. Dann kann das Smartphone endlich zu Hause bleiben und die Hardware ist im Hintergrund verschwunden. Willkommen im Evernet, das uns immer und überall umgibt!
Fotos Google Pixel: (c) Google