Joseph Weizenbaum: Deutsches Internet-Institut ehrt den Informatik-Dissidenten
Grafikquelle: vernetzung-und-gesellschaft.de
So kann man die Entwicklung auch sehen und zum Vordenker der Debatte werden: „Eine Gesellschaft, die sich auf eine Technik einlässt, braucht eine starke innere Kraft, um von den Zielen nicht verführt, nicht gierig zu werden“, warnte der Computer-Pionier Joseph Weizenbaum schon seit den Sechzigerjahren. Und heute ist er Namenspate von Deutschlands wichtigstem Forschungszentrum für die gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung: dem Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft, das im September in Berlin eröffnet wurde.
Auf knapp 1.700 Quadratmetern arbeiten bald 100 Wissenschaftler in der Charlottenburger Hardenbergstraße in direkter Nähe zu anderen Wissenschaftseinrichtungen. Sie untersuchen die gesellschaftlichen Veränderungen, welche die fortschreitende Technisierung unseres Lebens mit sich bringt. Dabei kooperieren Experten für Informatik und Design mit Forschern für Wirtschaft, Recht und Soziales.
Deutsches Internet-Institut: Chancen und Risiken erforschen
An dem Deutschen Internet-Institut, wie die neue Forschungseinrichtung auch genannt wird, beteiligen sich unter der Federführung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung auch die Freie Universität, die Humboldt-Universität, die Universität der Künste und die Technische Universität sowie die Universität Potsdam und das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS. Der Bund und das Land Berlin stellen mehr als 55 Millionen Euro für die kommenden fünf Jahre bereit.
„Beim digitalen Wandel geht es um den verantwortungsbewussten Umgang mit Chancen und Risiken“, erklärt Informatik-Professorin Ina Schieferdecker, die eine von drei Gründungsdirektoren des Deutschen Internet-Instituts ist – und die wir auch aus dem Telefónica BASECAMP kennen. Bei der sechsten Ausgabe der Tagesspiegel Data Debates nahm sie mit CEO Markus Haas und anderen Experten an unserer Panel-Diskussion über die Smart City der Zukunft teil. Wir können den digitalen Wandel „zum Beispiel für eine bessere Lebensqualität, für mehr Nachhaltigkeit und Sicherheit und für Unterhaltung auf neuem Niveau nutzen“, sagt die Institutsleiterin des Fraunhofer FOKUS. Doch gleichzeitig gehe es darum, das Negative zu vermeiden und Leitplanken zu setzen. „Welche Grenzen sollten nicht überschritten werden?“, fragt die Expertin.
Vernetzte Gesellschaft: Demokratie und Teilhabe im Wandel
Deshalb wird es die Aufgabe des Weizenbaum-Instituts sein, die gesellschaftlichen Veränderungen durch die Digitalisierung zu untersuchen und künftige politische und wirtschaftliche Handlungsoptionen zu skizzieren. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie die vernetzte Gesellschaft ihre demokratische Selbstbestimmung und Teilhabe aller Bürger sicherstellen kann. Dafür forscht das Institut zu sechs großen Themen: Arbeit und Innovation, Verträge und Verantwortung auf digitalen Märkten, Governance und Normsetzung, Technikwandel, digitale Bildung sowie Partizipation und Öffentlichkeit.
Die Entscheidung für seine Einrichtung geht auf den Koalitionsvertrag und die Digitale Agenda 2014 – 2017 der Bundesregierung zurück. Dort heißt es: „Ein öffentlich finanziertes Forschungsinstitut wird in einem interdisziplinären Ansatz die ethischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und partizipativen Aspekte von Internet und Digitalisierung erforschen. Dabei gilt es, die bestehenden Potenziale der deutschen Forschungslandschaft einzubinden und zu fokussieren.“ Denn die technische Entwicklung wirft immer wieder Fragen auf, die eine gesellschaftliche Debatte erforden. Das zeigte schon die Arbeit von Joseph Weizenbaum.
Joseph Weizenbaum: Vordenker und Kritiker der Digitalisierung
Der Experte für künstliche Intelligenz programmierte bereits 1966 den ersten Bot, mit dem man sich per Chat unterhalten konnte, wobei die Nutzer oft nicht merkten, dass ELIZA nur eine simple Software war. Viele Versuchspersonen seiner Experimente waren sogar überzeugt, dass ihr Gesprächspartner wirklich Verständnis für ihre Probleme hatte. Selbst wenn sie damit konfrontiert wurden, dass nur ein Computerprogramm die Antworten nach einfachen Regeln ausgewählt hatte, wollten sie das nicht akzeptieren. Weizenbaum war erschüttert über diese Reaktionen, vor allem weil Psychiater daraus gleich eine automatisierte Form der Psychotherapie entwickeln wollten.
Er blieb entsetzt von dem naiven Glauben, den Menschen solchen Maschinen entgegenbringen. Der Vorreiter der Digitalisierung wurde zum Mahner und Kritiker einer Gesellschaft, die Computer produziert und Berechnungen von Maschinen kritiklos akzeptiert. Die Informatiker hätten eine enorme Verantwortung, warnte Weizenbaum schon vor 45 Jahren in einem Artikel für DIE ZEIT, weil das Publikum die Chancen der Technik ständig überschätze. Mit seinen Thesen wäre der 1923 in Berlin geborene „Dissident und Ketzer der Informatik“ ein exzellenter Diskussionspartner für unsere Debatten im Telefónica BASECAMP gewesen. Doch leider musste er sich 2008 bei seinem „letzten Service„ (so nennt man selbstständige Helferprogramme in der Informatik) von dieser Welt verabschieden. Sein Name und viele Ideen leben weiter beim Deutschen Internet-Institut in Berlin.