Interviewserie #BTW17: „Online für Offline und Offline für Online“
Die heiße Phase des Wahlkampfs um den Bundestag hat begonnen. Die Wahlprogramme sind geschrieben, immer mehr Wahlplakate bekleiden Straßenlampen und Bäume. Offline oder Online nutzen Politiker und Kandidaten die Möglichkeit, ihre Botschaften zu verbreiten. Wie funktioniert der Online-Wahlkampf 2017? Wie stehen die Parteien zu Regulierung von Algorithmen oder Datensparsamkeit? UdL Digital hat die Wahlkampfchefs – die Generalsekretäre und Bundesgeschäftsführer– der aussichtsreichsten Parteien zu den Themen Internet-Wahlkampf, Demokratie im Netz und die netzpolitischen Forderungen der Parteien befragt.
Kommissarischer Generalsekretär der SPD ist seit Juni 2017 Hubertus Heil. Er hat Erfahrung – schon zwischen 2005 und 2009 war er für den Wahlkampf der Sozialdemokraten verantwortlich. Seit 1988 ist er Mitglied der SPD und seit 1998 für den Wahlkreis Gifhorn-Peine immer wieder direkt in den Bundestag gewählt worden. Zudem war Heil seit 2009 stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und dort zuständig für Wirtschaft, Energie, Bildung und Forschung. Im Themenfeld Digitalisierung setzt sich Heil vor allem mit den wirtschaftlichen Aspekten auseinander. So betont er im Interview mit UdL Digital, dass für eine erfolgreiche Digitalisierung der Arbeitswelt Investitionen in digitale Bildung, Innovationen und digitale Infrastruktur nötig sind. Hinsichtlich des digitalen Wahlkampfes betont Heil, dass die SPD ihre Offline- und Online-Kampagne immer zusammendenkt und digitale Technik dieses Jahr vor allem bei den Tür-zu-Tür Gesprächen eine große Hilfe ist.
Die Digitalisierung verschiedener Bereiche wie Wirtschaft, Mobilität und Verwaltung schreitet in Deutschlands Regionen sehr unterschiedlich voran. Welche Maßnahmen will ihre Partei auf Bundesebene ergreifen, um allen Menschen Teilhabe an der digitalen Gesellschaft zu ermöglichen?
Das wichtigste ist der flächendeckende Zugang zu leistungsfähigen schnellen Internetverbindungen – in den Städten und in den ländlichen Regionen. Das ist die entscheidende Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. In den kommenden Jahren wird zudem die Digitalisierung der Arbeitswelt im Fokus stehen, Stichwort „Arbeit 4.0“. Wir müssen die Menschen fit machen für die digitale Gesellschaft, etwa durch Weiterbildung und Qualifizierung. Fit machen müssen wir auch unsere Schulen und Berufsschulen. Die zuständige CDU-Ministerin Frau Wanka hat zwar 5 Milliarden Euro für digitale Bildung versprochen, hat aber versäumt, das Geld auch beim Bundesfinanzminister anzumelden. Unsere Kinder dürfen das bildungspolitische Versagen der Union nicht länger ausbaden. Daher ist die digitale Bildung auch ein zentraler Bestandteil der Nationalen Bildungsallianz von Martin Schulz. Nicht zuletzt wollen wir die Chancen der Digitalisierung für eine bessere Verwaltung nutzen: Wir werden ein Deutschlandportal für Bürger und Unternehmen schaffen, in dem in den nächsten fünf Jahren so gut wie alle Formalitäten leicht und unbürokratisch abgewickelt werden können.
Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um die Investitionen in Gigabitnetze in Deutschland voranzubringen? Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht Unternehmen und welche der Staat?
Klar ist: Die vereinbarte flächendeckende Versorgung mit einer Datengeschwindigkeit von mindestens 50 Megabit pro Sekunde bis 2018 kann nur ein erster Zwischenschritt sein. Unser Ziel sind Gigabitnetze. Bis 2025 sollen mehr als 90 Prozent aller Gebäude daran angeschlossen sein. Leider hat der zuständige Minister Alexander Dobrindt sich lieber um die Pkw-Maut gekümmert, anstatt den Breitbandausbau entschieden voran zu bringen. Wir müssen hier genauso Tempo machen wie bei Mobilfunknetzen. Wir müssen die Entwicklung des nächsten Standards des Mobilfunks „5G“ beschleunigen. Dafür müssen die Antennenstandorte mit Glasfaserkabeln erschlossen werden. Wir brauchen mehr staatliche Investitionen ebenso wie eine andere Regulierung, damit private Investoren auch dort Geld in die Hand nehmen, wo es sich sonst nicht lohnt.
Manche Menschen haben Angst, durch digitale Innovationen ihre Arbeit zu verlieren. Welche Perspektiven bietet Ihre Partei diesen Menschen?
In der Tat ist die Digitalisierung der Arbeitswelt für die einen Verheißung und Lebensgefühl und für die anderen bringt sie eher ein Gefühl der Unsicherheit. Ich bin mir sicher, dass auch in der digitalisierten Arbeitswelt, der „Industrie 4.0“, nicht alle Tätigkeiten von Maschinen übernommen werden können. Zudem muss Software entwickelt und müssen Roboter gewartet werden. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass in der Digitalisierung große Chancen für Wirtschaft, Beschäftigung und gute Arbeit stecken. Damit aber der Mensch mit den Anforderungen der Arbeitswelt Schritt halten kann und Unternehmen die Chancen auch nutzen können, wird der Staat massiv investieren müssen: in Bildung, in digitale Infrastruktur und in Innovationen. Genau das werden wir tun. Die SPD war immer eine Partei für das Management von grundlegenden Veränderungen. So ist die SPD überhaupt erst entstanden, bei „Industrie 1.0“ sozusagen. Es war immer unser Anspruch, aus technologischem Fortschritt auch gesellschaftlichen Fortschritt zu entwickeln.
Wie möchte Ihre Partei den Schutz der Privatsphäre im Netz sicherstellen? Plädieren Sie für Datensparsamkeit oder Datenreichtum?
Es geht nicht um ein „Entweder-oder“. Ziel unserer Datenpolitik ist es, das Recht auf Privatsphäre zu gewährleisten. Gleichzeitig muss es möglich sein, aus Daten Geschäftsmodelle zu entwickeln, denn hier steckt unglaublich großes ökonomisches Potenzial. Nicht-personenbezogene, anonymisierte Daten sollen genutzt werden können. Hier muss auch angesichts technischer Entwicklungen geprüft werden, ob es neue Datenrechte geben muss, wie ein fairer Wettbewerb beim Zugang zu Daten gewährleistet werden kann. Gerade auch in der Arbeitswelt stellt uns die Digitalisierung vor immense Herausforderungen. Wir müssen zum Beispiel sicherstellen, dass es den gläsernen Beschäftigten, der auf Schritt und Tritt kontrolliert wird, auch in Zukunft nicht gibt. Dabei ist die Mitbestimmung und Mitgestaltung in den Betrieben natürlich ein ganz entscheidender Faktor. Hierfür steht die SPD.
Viele stellen sich die Frage, wie die Politik mit Algorithmen umgehen soll. Kann der Staat deren Offenlegung verlangen und wie sollen sie reguliert werden?
Wir müssen auf jeden Fall einen fairen Wettbewerb sicherstellen. Auch müssen wir uns fragen, welche Entscheidungen wir letztlich Algorithmen überlassen wollen. Die Aufgabe von Datenpolitik ist auch, Antworten auf zukünftige Entwicklungen zu liefern und den rechtlichen Rahmen vorzugeben. Aus der Verknüpfung von Daten, dem zunehmenden Umgang mit neuen Technologien – wie beispielsweise autonomem Fahren und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz – ergeben sich viele neuartige rechtliche und ethische Fragen. Diese wollen wir in einem umfassenden Dialog mit der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und der Wirtschaft im Rahmen einer Daten-Ethikkommission klären.
Zuletzt haben wir mehrere Versuche gesehen, die großen Internet-Unternehmen zu mehr Verantwortung zu veranlassen – zum Beispiel mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Wo sehen Sie Handlungsbedarf in der nächsten Legislaturperiode?
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz war notwendig, da die Selbstverpflichtungen der Unternehmen nicht ausreichten, um das geltende Recht auch in sozialen Netzwerken durchzusetzen. Wir müssen der Verbreitung von Hasskriminalität und so genannten Fake News – nicht nur in Wahlkampfzeiten – entgegenwirken. Wir brauchen einen digitalen Ordnungsrahmen, der einen fairen Wettbewerb sowie Transparenz und Diskriminierungsfreiheit sicherstellt. Dieser digitale Ordnungsrahmen muss auch eine faire Besteuerung der Gewinne und eine angemessene Vergütung der Produzenten der digitalen Inhalte, der Kreativen und Urheber, sicherstellen.
Die Vorratsdatenspeicherung ist nun zum zweiten Mal aus verfassungsrechtlichen Gründen gescheitert. Ist Ihre Partei für ein drittes deutsches Gesetz dazu in der neuen Legislaturperiode?
Beim Bundesverfassungsgericht sind Klagen zum Gesetz über die Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist zu diesem Themenkomplex anhängig. Deshalb wollen wir sowohl die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster in der Hauptsache, als auch die Entscheidung des Verfassungsgerichts abwarten.
Welche Rolle spielt der digitale Wahlkampf im Rennen um den Bundestag? Was sind die wichtigsten Tools Ihrer Partei, um Wähler zu erreichen?
Wie in unserer gesamten Gesellschaft durchdringt die Digitalisierung alle Bereiche unserer Kampagne. Wir arbeiten nach dem Kredo „Online für Offline und Offline für Online“. Wir denken das immer zusammen. Wir versuchen die Menschen im Netz so anzusprechen, wie sie es dort gewohnt sind: humorvoll, pointiert und inhaltlich klar. So gewinnen wir viele Unterstützer. Diese erhalten dann per E-Mail und per Messenger kleine Mitmachangebote und exklusive Infos. Unser Tür-zu-Tür Wahlkampf funktioniert digital gestützt. Durch eine App, können unsere Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer ihre Daten aus den Tür-zu-Tür Aktionen eingeben und helfen so der regionalen Kampagne stetig besser zu werden und mehr Menschen zu erreichen – und hoffentlich auch von unseren Inhalten zu Überzeugen.
Auf den Punkt gebracht: Warum sollten die digitalpolitisch Interessierten sich bei der Bundestagswahl für Ihre Partei entscheiden?
Weil die SPD den digitalen Wandel gestalten statt verwalten will, um aus dem technischen Fortschritt der Digitalisierung auch einen gesellschaftlichen Fortschritt zu machen. Dies gilt für den Bereich Arbeit ebenso wie für Wirtschaft, für Bildung wie Verwaltung und nicht zu vergessen für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir sind überzeugt: Deutschland kann auch im Bereich Digitalisierung mehr.