Interviewserie Ausschuss Digitale Agenda: Für Anna Christmann ist Digitalisierung kein Nebenthema

Veröffentlicht am 31.01.2018

Langsam kehrt Normalität zurück ins Parlament: Am 17. Januar hat der Bundestag beschlossen, alle 23 ständigen Ausschüsse, die es in der vergangenen Legislaturperiode gab, wieder einzusetzen. So nimmt auch der Ausschuss „Digitale Agenda“, dessen Vorsitz Jimmy Schulz von der FDP-Fraktion übernehmen wird, bald wieder seine Arbeit auf. Der Digitalausschuss wurde sogar von 15 auf 21 Mitglieder vergrößert – allerdings wird er als einziger Ausschuss wieder nur mitberatend und nicht federführend tätig sein. Wird diese Funktion ausreichen, um das Thema Digitalpolitik hoch auf die Agenda zu setzen? In der Interviewserie Ausschuss Digitale Agenda richtet UdL Digital diese und andere Fragen direkt an die alten und neuen Digitalpolitiker im Bundestag.

Anna Christmann von Bündnis 90/Die Grünen ist nicht nur neu im Digitalausschuss, sondern überhaupt neu im Parlament. Bis zur Bundestagswahlhat sie als Büroleiterin und Grundsatzreferentin für Wissenschaftspolitik im baden-württembergischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst gearbeitet. Die 34-Jährige promovierte Politikwissenschaftlerin aus Stuttgart sieht Digitalisierung als eines ihrer Kernthemen an – und hat fest vor, sie in dieser Wahlperiode mit voranzubringen. Neulich stellte sie in einer Plenardebatte eine mündliche Anfrage zum Digitalpakt, bei der sie allerdings von der geschäftsführenden Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU), so Christmann, „eine unbefriedigende Antwort“ bekam und „auf die nächste Regierung vertröstet“ wurde. Neben dem Ausschuss „Digitale Agenda“ ist sie Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.

Frau Christmann, Sie sind neu im Bundestag und somit auch zum ersten Mal als Mitglied im Ausschuss Digitale Agenda vertreten. Was war Ihre Motivation, sich für diesen Ausschuss zu bewerben?

Mich interessiert sehr, wie unsere Gesellschaft in den nächste Jahrzehnten aussehen wird. Das wird entscheidend davon abhängen, wie es uns gelingt, die Digitalisierung zum Wohl der Menschen zu gestalten. Es ist keine Frage, ob sie stattfindet, sondern was wir daraus machen. Daran möchte ich mitwirken. Ich habe bereits die Digitalisierungsstrategie des Landes Baden-Württemberg auf Mitarbeiterebene mitgestalten dürfen. Jetzt freue ich mich sehr, dass ich das Thema als Abgeordnete stärker ins politische Zentrum rücken kann.

Beim UdL Digital Talk im Dezember hat Ihr Parteikollege und möglicher neuer Bundesvorsitzender Robert Habeck über seine Vision einer „grünen Digitalpolitik“ gesprochen. Was ist Ihr Ansatz? Welche digitalpolitischen Themen wollen Sie in dieser Wahlperiode mitgestalten?

Als Grüne haben wir beide Seiten im Blick: Wir wollen die großen Chancen der Digitalisierung nutzen, um etwa die Gesundheitsversorgung für die Menschen zu verbessern, Busse und Bahnen zu vernetzen, mit 3D-Druck Ressourcen zu sparen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt durch Nachbarschaftsnetze zu verbessern. Als Bürgerrechtspartei sehen wir aber auch die Menschen, die Sorge haben, die Technik würde sie überrollen, ihre Daten könnten dort landen, wo sie nicht hingehören oder gar, ihr Arbeitsplatz könnte wegfallen. Beide Perspektiven müssen wir zusammenbringen, um das Innovationspotential der Digitalisierung für unsere Gesellschaft zu nutzen und nicht zu verschlafen.

Der Ausschuss Digitale Agenda ist in dieser Legislaturperiode vorerst nur mitberatend bei Themen der Digitalisierung tätig. Wie soll die neue Bundesregierung Ihrer Meinung nach die Digitalpolitik organisieren? Welche Rolle soll der Ausschuss Digitale Agenda dabei spielen?

Der Ausschuss Digitale Agenda muss dringend zu einem federführenden Ausschuss aufgewertet werden. Die Digitalisierung ist kein Nebenthema sondern eines der großen Zukunftsthemen. Auch die Bundesregierung sollte das endlich am Kabinettstisch widerspiegeln. Dass wir nicht längst viel weiter sind hat viel damit zu tun, dass mehr Zeit für Zuständigkeitsgerangel zwischen Ministerien verwendet wurde als für inhaltliche Vorschläge. In dieser Woche bringen wir Grünen einen entsprechenden Antrag in den Bundestag ein, in dem wir die Bundesregierung auffordern, endlich klare Zuständigkeiten zu schaffen und eine echte Digitalisierungsstrategie vorzulegen, die ihren Namen auch verdient.

Vor Ihrer Wahl haben Sie im baden-württembergischen Wissenschaftsministerium als Grundsatzreferentin für Wissenschaftspolitik gearbeitet. Im Bundestag sitzen Sie auch im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Welche Themen sind bei der digitalen Bildung besonders dringend?

Es mangelt leider an allen Ecken – kein Wunder, dass Deutschland im internationalen Vergleich weit hinterherhinkt. Spätestens seit dem desaströsen Ergebnis der internationalen ICILS-Studie von 2014 ist klar, dass sich hier in Sachen digitaler Bildung dringend etwas verbessern muss. Und trotzdem hat Bildungsministerin Wanka zwei Jahre gebraucht, um überhaupt erst einen Vorschlag für den Digitalpakt Schule vorzulegen. Und nach dieser Ankündigung ist wieder nichts passiert: Weder das Geld für die technische Ausstattung der Schulen wird bisher vom Bund bereitgestellt, noch gibt es die notwendigen pädagogischen Konzepte, um die Lehrerinnen und Lehrer auf den richtigen Medieneinsatz im Unterricht vorzubereiten. Damit hat Ministerin Wanka maßgeblich zum derzeitigen Stillstand beigetragen. Während Schulen, Kommunen und Länder auf das Geld vom Bund warten, entwickeln sie natürlich auch keine eigenen Konzepte. Der Bund muss hier endlich liefern.

Was sind Ihre ersten Eindrücke als neues Mitglied der digitalpolitischen Szene in Berlin und welche Akteure möchten Sie unbedingt noch kennenlernen?

Ich erlebe viele spannende Menschen, die hochmotiviert sind, und den Mut haben, ihre Ideen umzusetzen. Ein Beispiel ist die CODE University. Weil man Fächer wie Software Engineering so in Deutschland bisher nicht studieren konnte, haben die Gründer einfach ihre eigene Fachhochschule eröffnet. Als nächstes möchte ich mich verstärkt auch mit Frauen aus der Digitalbranche treffen, von denen es leider immer noch viel zu wenige gibt.

 

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