Interviewserie Ausschuss Digitale Agenda: Berlin ist wie ein Brennglas der Digitalpolitik, sagt Ronja Kemmer
Langsam kehrt Normalität zurück ins Parlament: Am 17. Januar hat der Bundestag beschlossen, alle 23 ständigen Ausschüsse, die es in der vergangenen Legislaturperiode gab, neu einzusetzen. So nimmt auch der Ausschuss Digitale Agenda wieder seine Arbeit auf. Der Digitalausschuss wurde sogar von 15 auf 21 Mitglieder vergrößert – allerdings wird er als einziger Ausschuss wieder nur mitberatend und nicht federführend tätig sein. Wird diese Funktion ausreichen, um das Thema Digitalpolitik hoch auf die Agenda zu setzen? In der Interviewserie Ausschuss Digitale Agenda richtet UdL Digital diese und andere Fragen direkt an die alten und neuen Digitalpolitiker im Bundestag.
Mit viel bildungspolitischer Erfahrung steigt die CDU-Abgeordnete Ronja Kemmer als neues Mitglied in den Ausschuss Digitale Agenda ein. Die 28-jährige Volkwirtin, die für den Wahlkreis Ulm zum zweiten Mal im Bundestag sitzt, kam im Dezember 2014 damals als jüngstes Mitglied in den Deutschen Bundestag. In der 19. Legislaturperiode sitzt die Parlamentarierin außer im Digitalausschuss auch noch im Bildungs- und Forschungsausschuss und kümmert sich auch dort um ein wichtiges Digitalthema: den Digitalpakt#D. Im Interview mit UdL Digital erklärt Ronja Kemmer ihre Positionen und Erwartungen im Ausschuss Digitale Agenda.
Frau Kemmer, Sie sind zum ersten Mal als Mitglied im Ausschuss Digitale Agenda vertreten. Was war Ihre Motivation, sich für diesen Ausschuss zu bewerben?
Digitalisierung ist das große Thema unserer Zeit. Es geht dabei zum einen um die digitale Infrastruktur, die in Deutschland nicht überall in der notwendigen Qualität zur Verfügung steht. Wir dürfen nicht den Anschluss an die technologischen Standards und Möglichkeiten verlieren. Unser Wohlstand fußt darauf, dass wir bei den meisten wirtschaftlichen Entwicklungen bisher an der Spitze gestanden sind, aber alle Lebensbereiche werden immer mehr digital durchdrungen, was neue Perspektiven eröffnet. Da können wir von manchen kleineren Ländern viel lernen, die dieses Momentum für sich besser nutzen. Zum anderen finde ich, dass wir noch zu wenig über die Chancen für unsere Gesellschaft reden, die in der Digitalisierung liegen. Durch mehr und bessere digitale Bildung werden völlig neue Horizonte eröffnet. Manche Bereiche der Digital- und Kreativwirtschaft wie die Gaming-Branche werden in der Öffentlichkeit als Spielwiese für Computerfreaks und Nerds betrachtet, dabei wird dort eine enorme Wertschöpfung generiert. Und schließlich bin ich als digital native völlig normal mit den digitalen Möglichkeiten aufgewachsen – ich finde, dass diese Lebenswelten nach wie vor in der Politik zu wenig Gehör finden.
Welche digitalpolitischen Themen wollen Sie in dieser Wahlperiode mitgestalten? Welche sind besonders dringend? Glauben Sie, dass der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD dafür eine gute Grundlage bietet?
In dieser Wahlperiode werde ich das Thema Digitalisierung in zwei Bundestagsausschüssen bearbeiten. Neben dem Ausschuss Digitale Agenda bin ich auch ordentliches Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Dort werde ich mich besonders stark beim Thema Digitale Bildung einbringen. Mein primärer Arbeitsbereich ist der Digitalpakt#D, mit dem wir für eine flächendeckende digitale Ausstattung aller Schulen in Deutschland sorgen werden. Digitale Kompetenzen, die in der Ausbildung, im Studium und Beruf heute immer wichtiger werden, müssen bereits an den Schulen vermittelt werden. Dafür müssen die Schulen aber auch erst einmal befähigt werden, diese Kenntnisse überhaupt vermitteln zu können. Hier werden wir mit 5 Milliarden Euro viel Geld in die Hand nehmen, um dieses Ziel zu erreichen.
Im Ausschuss Digitale Agenda werde ich in erster Linie internationale Themen bearbeiten. In einer immer stärker globalisierten Welt wird auch bei der Digitalisierung die internationale Kooperation zunehmend wichtiger. Entscheidungen, die auf internationaler Ebene getroffen werden, wirken sich unmittelbar auf unseren Alltag, unseren Wohlstand und unsere Sicherheit aus. Um es etwas zuzuspitzen: Bei einigen Akteuren weltweit unterscheiden sich die Vorstellungen von den Regeln für die Digitalisierung deutlich von unseren. Deutschland muss sich aktiv daran beteiligen, die Regeln im Bereich Digitalisierung mitzugestalten, wenn wir es nicht anderen überlassen wollen, das für uns zu tun.
Wir haben den Koalitionsvertrag mit einem eigenen Kapitel zu Digitalisierung versehen, wo wir sehr ambitionierte und sehr konkrete Vorhaben aufgenommen haben. Zudem zieht sich Digitalisierung konsequent durch alle Kapitel des Vertrags, wo wir bei den jeweiligen Themen immer auch die digitale Komponente mit in den Blick nehmen, Herausforderungen benennen und mit konkreten Maßnahmen unterlegen, wie wir diese lösen werden. Natürlich lässt sich bei einem so rasant entwickelnden Thema wie dem digitalen Wandel nicht jede Entwicklung der kommenden Jahre schon zu hundert Prozent absehen. Aber mit dem Koalitionsvertrag haben wir die Weichen ganz gut gestellt, um auch auf unvorhergesehene Entwicklungen vorbereitet zu sein.
Der Ausschuss Digitale Agenda ist in dieser Legislaturperiode vorerst nur mitberatend bei Themen der Digitalisierung tätig. Wie soll die neue Bundesregierung Ihrer Meinung nach die Digitalpolitik organisieren? Welche Rolle soll der Ausschuss Digitale Agenda dabei spielen?
Wir Digitalpolitiker sind uns über die Fraktionsgrenzen hinweg einig, dass angesichts der immensen Bedeutung des Themas Digitalisierung unser Ausschuss auch bei den entsprechenden Themen die federführende Verantwortung übernehmen muss. In meiner Fraktion gibt es deutliche Bestrebungen zur Aufwertung des Ausschusses, weil man sich der Tragweite der Angelegenheit voll bewusst ist. Ich kann natürlich nicht für die anderen Fraktionen sprechen, aber mein Eindruck ist, dass deren Fachpolitiker ebenfalls im Austausch mit ihren Fraktionen stehen und sich mit großem Nachdruck für eine Ausweitung der Kompetenzen des Ausschusses einsetzen. Ich bin zuversichtlich, dass wir hier Fortschritte erzielen. Die jetzige Position, die dem Ausschuss Digitale Agenda im parlamentarischen System zukommt, wird der Bedeutung der Arbeit des Ausschusses einfach nicht gerecht.
Auf Ihrer Website beschreiben Sie Bildungspolitik als ihr „Steckenpferd“ und derzeit sind Sie auch im Bildungs- und Forschungsausschuss vertreten. Welchen Stellenwert haben digitale Technologien, ihrer Meinung nach, in der Bildung und welche Themen sind bei der digitalen Bildung besonders dringend?
Bildung ist der Schlüssel zu allem. Und da können klug eingesetzte digitale Hilfsmittel und Technologien ein wahrer Segen sein. Digitalisierung hält immer stärker Einzug in die Bildungs- und Forschungsarbeit in Deutschland. Im Bildungs- und Forschungsausschuss wollen wir mit den richtigen Weichenstellungen dafür sorgen, dass wir bei der Bildung auf allen Ebenen gut aufgestellt sind – von der Grundschule bis zur Weiterbildung für Berufstätige. Ganz wichtig für Deutschland ist aber auch der Bereich Forschung. Als Hochtechnologieland mit wenigen Rohstoffen müssen wir unsere Stellung in der Forschung weiter ausbauen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. In zahlreichen Bereichen sind wir international spitze und diese Position wollen und müssen wir erhalten. Aber in manchen Bereichen haben wir noch Aufholbedarf, zum Beispiel gegenüber den USA und Japan. Wichtige Zukunftsfelder in der Forschung, bei denen Digitalisierung eine immer größere Rolle spielt, sind zum Beispiel Data Science, künstliche Intelligenz, autonome Mobilität, Energie, Klima und Gesundheit. Unsere Aufgabe als Bildungs- und Forschungspolitiker ist es, von staatlicher Seite die Spitzenforschung in Deutschland zu fördern und dabei auch die Vernetzung zwischen öffentlichen und privaten Initiativen noch besser zu gestalten, auch um die Transmission von Wissen in Innovationen zu verbessern. Hier liegt ein riesiges Potenzial im Bereich der Digitalisierung. Damit dieses Potenzial voll gehoben werden kann, braucht es die richtigen politischen Entscheidungen.
Zugleich müssen wir aber auch dafür sorgen, dass es einen realistischeren Umgang mit den digitalen Optionen gibt. Zu viele Menschen – aller Generationen übrigens – gehen sorglos mit ihren Daten und Passwörtern um oder sind sich nicht bewusst, dass man im Netz oftmals eben nicht in einem „geschützten Rahmen“ agiert. Da sehe ich Nahholbedarf bei Lehrplänen oder den Angeboten lebenslangen Lernens. Wir haben die nächsten Jahre also einiges an Arbeit vor uns.
Was sind Ihre ersten Eindrücke als neues Mitglied der digitalpolitischen Szene in Berlin und welche Akteure möchten Sie unbedingt noch kennenlernen?
Ich bin ja nicht ganz neu in diesem Bereich, aber durch meine Ausschussmitgliedschaft merke ich schon, dass man mehr im Fokus steht. Die Szene in Berlin ist wie ein Brennglas der Digitalpolitik unseres Landes, weil hier nicht nur alle wichtigen Akteure versammelt sind, sondern auch ein enormes Fachwissen vorhanden ist. Vernetzung findet hier im Wortsinne statt, was dem Thema ja nur gut tut. Die digitale Fachcommunity in der Hauptstadt ist sehr gut aufgestellt. Alle großen Player im Bereich Internet und Digitalisierung sind in der Hauptstadt mit Repräsentanzen gut vertreten. Im Zusammenspiel mit dem Bundestag, den Ministerien, Behörden, Verbänden und weiteren Akteuren ergibt sich eine rege Dynamik mit vielen interessanten Veranstaltungen, wo ein produktiver Meinungsaustausch untereinander stattfindet. Zudem ist nirgends in Deutschland die kreative Startup-Szene in den letzten Jahren so stark gewachsen wie in Berlin.
Digitalisierung liegt in Berlin quasi in der Luft. Allerdings nicht uneingeschränkt, denn bei der Qualität des Handynetzes ärgere ich mich doch das eine oder andere Mal. In meiner Heimat in Baden-Württemberg erlebe ich es häufig, dass ich in ländlichen, bergigen Gegenden auf der Schwäbischen Alb in Funklöchern ohne guten Netzempfang bin. In der Hauptstadt sollte man aber eigentlich anderes erwarten können. Nein, im Ernst: Beides muss gelöst werden. Der Ausbau der digitalen Netze in Deutschland ohne weiße Flecken bleibt in jeder Hinsicht weiterhin eine zentrale Aufgabe und ist quasi die Basis für alles das, von dem wir heute gesprochen haben.