Interview mit Sabine Verheyen zur Digitalen Agenda

Veröffentlicht am 14.08.2015

Nach eineinhalb Jahren Bundestagsausschuss Digitale Agenda und einem Jahr Digitale Agenda der Bundesregierung möchten wir erfahren, welche Ergebnisse erreicht wurden und wo aus Sicht der politischen Entscheider noch etwas zu tun bleibt. Die CDU-Europaabgeordnete Sabine Verheyen, Mitglied im Ausschuss für Kultur und Bildung sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, stellt sich heute unseren Fragen zum Bereich „Europäische und internationale Dimension der Digitalen Agenda“.

Sabine Verheyen ist seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments. Seit März dieses Jahres ist die 50-Jährige Vorsitzende einer neuen Arbeitsgruppe der EVP-Fraktion, die sich um das Thema „Copyright“ kümmert. Von 1999 bis zum Jahr 2009 war sie Bürgermeisterin der Stadt Aachen. Sabine Verheyen ist verheiratet und hat drei Kinder.

Der Bundestagsausschuss Digitale Agenda besteht seit eineinhalb Jahren, die Bundesregierung hat einen ersten Bericht zur Umsetzung ihrer im Jahr 2014 beschlossenen Digitalen Agenda vorgelegt. Sind Sie zufrieden mit den bisherigen Ergebnissen der Digitalisierungspolitik in Deutschland?

Ich denke, dass man mit der Umsetzung der digitalen Agenda bisher durchaus zufrieden sein kann. Die Analyse des Bitkom zeigt, dass etwa 80 Prozent der vorgestellten Maßnahmen bereits in Angriff genommen wurden. Trotzdem bleibt noch viel zu tun, zum Beispiel beim Thema Breitbandausbau. Hier muss schnell etwas passieren, insbesondere im ländlichen Raum. Die Digitalisierung bietet viele Möglichkeiten, gerade auch für kleine und mittelständische Unternehmen, von denen viele auch im ländlichen Raum angesiedelt sind. Damit diese das volle Potenzial des digitalen Binnenmarkts auch vollends nutzen können, ist eine schnelle und zuverlässige Infrastruktur unbedingte Voraussetzung. Nur so kann Deutschland wettbewerbsfähig bleiben. Grundsätzlich ist es aber dennoch wichtig, die Digitale Agenda nicht als Bündel von Einzelmaßnahmen zu betrachten und anhand dieser zu bewerten. Die Digitale Agenda ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, der massive wirtschaftliche und gesellschaftliche Chancen bietet; kein Projekt, das nach einem gewissen Zeitraum finalisiert sein wird. Die technologischen Entwicklungen sind rasend und es gilt, kontinuierlich Schritt zu halten.

Wer waren für Sie im vergangenen Jahr die wichtigsten politischen Impulsgeber zur Digitalen Agenda?

Sicherlich die EU-Kommission, die im Mai 2015 ihre Strategie für den digitalen Binnenmarkt vorgestellt hat. Darin werden ehrgeizige Schlüsselaktionen definiert, die nun gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten angegangen werden müssen. Hier ist eine gute Zusammenarbeit für den erforderlichen schnellen Erfolg enorm wichtig. Ich denke aber, dass wir vor allem im Bereich der Digitalen Agenda auf einem guten Wege sind, nicht nur die verschiedenen Ressorts sondern auch die verschiedenen Ebenen der Politik besser zu verzahnen und so eine bessere und effizientere Zusammenarbeit zu erreichen. So haben wir innerhalb der CDU unter anderem die Netzwerke Medien und Regulierung sowie Digitalisierung gegründet. Mitglieder sind, neben Vertretern der Ministerien, Abgeordnete des Europäischen Parlaments, des Bundestags sowie der Landtage. Es finden regelmäßige Treffen und ein kontinuierlicher Austausch statt, Strategien werden gemeinsam erarbeitet, Probleme gemeinsam angegangen, Informationen ausgetauscht und Positionen frühzeitig diskutiert.

Welche drei Ziele sollten Ihrer Meinung nach bis zum Jahr 2017 auf jeden Fall erreicht sein?

Allen voran ist hier der Breitbandausbau zu nennen. Das Ziel, flächendeckend alle Haushalte in Deutschland mit Zugang zu schnellem Internet mit mehr als 50 Mbit pro Sekunde zu versorgen, sollte bis 2017/2018 erreicht sein. Auch muss das Thema Datenschutzgrundverordnung endlich zum Abschluss gebracht werden. Und wir brauchen eine ausbalancierte Lösung beim Thema Urheberrecht, denn die Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, fordern die Durchsetzung und Aufrechterhaltung der Urheberrechte besonders heraus. Mit der Entstehung neuer Möglichkeiten für den Zugriff auf kreative Inhalte ändern sich auch die Gewohnheiten ihrer Nutzer. Die Zugriffsmöglichkeiten auf kreative Inhalte sind sehr vielfältig geworden. Die Digitalisierung schafft Expansion und enorme Vervielfältigungsmöglichkeiten von künstlerischen Werken über Landesgrenzen hinweg. Es muss sichergestellt werden, dass die Portabilität von Inhalten ermöglicht wird, und dennoch der Schutz der Urheber gewahrt bleibt. Das grenzlose Internet darf nicht dazu führen, dass man in Europa als Kunstschaffender nicht mehr von seiner Arbeit leben kann – Autoren und Kunstschaffende sind der wesentliche Antrieb unserer kulturellen Vielfalt in Europa und diese müssen wir stärken und bewahren. Die Kommission hat angekündigt, noch in diesem Jahr einen Entwurf zur Urheberrechtsreform vorzulegen.

Von Günther Oettinger ist oft zu hören, dass die Gesetzgebungsprozesse auf EU-Ebene nicht mit der digitalen Entwicklung Schritt halten können. Wie beurteilen Sie die Gestaltungsmöglichkeiten der Politik? Kann der digitale Binnenmarkt schneller zustande kommen als bisher üblich?

Der Kommissar für den digitalen Binnenmarkt, Günther Oettinger, hat einen ehrgeizigen Zeitplan vorgestellt. Noch im Jahr 2015 soll der Vorschlag für eine europäische Urheberrechtsreform vorgelegt werden, im ersten Halbjahr 2016 soll die Revision der Audiovisuellen Mediendiensterichtlinie (AVMD) kommen. Aufgrund der rasend schnellen technologischen Entwicklungen hinkt die Regulierung oft hinterher. Fakt ist, dass der Gesetzgebungsprozess beschleunigt werden muss, um Schritt halten zu können. Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament zeigen sich hier sehr ehrgeizig und bemühen sich, die Prozesse zu optimieren, um schneller Ergebnisse zu erzielen. Allerdings werden viele Initiativen kurz vor Abschluss von den Mitgliedsstaaten verzögert und ausgebremst. Das ist sehr bedauerlich.

Trügt der Eindruck, dass das Parlament sich oft als Anwalt der Verbraucher sieht und übergeordnete Themen oder die Interessen der EU-Mitgliedsländer kaum wahrnimmt?

Das Europäische Parlament ist das einzige direkt gewählte und damit unmittelbar demokratisch legitimierte Organ der EU und vertritt damit die Bürger der Europäischen Union auf EU-Ebene. Entscheidungen werden in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission als politisch unabhängige Exekutive und dem Europäischen Rat, der Vertretung der Regierungen der Mitgliedstaaten, gemeinsam getroffen. Das Parlament vertritt nach dem Prinzip der Gewaltenteilung in diesen Prozessen klar die Interessen der EU-Bürger, der Rat die der Mitgliedstaaten. Ziel ist immer, einen Ausgleich der Interessen zu finden.

Mit dem Thema „Copyright“ beschäftigt sich seit März eine neu eingerichtete Arbeitsgruppe innerhalb der EVP-Fraktion, die Sie als Vorsitzende leiten. Wie kann man Urheber in einer digitalisierten Welt schützen, deren Erfolg zu großen Teilen durch „Copy & Paste“ geschaffen wurde?

Eine Anpassung des Urheberrechts an die digitale Welt ist dringend notwendig. Die EU-Richtlinie zum Urheberrecht ist veraltet, sie stammt aus dem Jahr 2001, bevor Youtube und Facebook in unserem Alltag selbstverständlich wurden. Mit der angekündigten Reform muss eine ausbalancierte Lösung gefunden werden, die Nutzern, Verbrauchern sowie Autoren, Kulturschaffenden und Herausgebern entgegenkommt. Diese sollte insbesondere in Form einer angemessenen Vergütung gefunden werden. Es muss sichergestellt werden, dass die Portabilität von Inhalten ermöglicht wird, und dennoch der Schutz der Urheber gewahrt bleibt. Dabei darf allerdings das Urheberrecht keine Innovationsschranke werden, die die Entwicklung legaler Geschäftsmodelle erschwert, da Nutzer ansonsten möglicherweise verstärkt auf illegale Angebote ausweichen.

Es muss klar sein, dass das Urheberrecht die wirtschaftliche Grundlage des kreativen Schaffens darstellt. Viele Werke sind das Ergebnis einer höchst arbeitsteiligen und komplexen Zusammenarbeit zwischen Urhebern und Verwertern. Diese oft komplizierten Zusammenhänge sollten verdeutlicht werden, um das Bewusstsein für den Wert des geistigen Eigentums und den Respekt vor der künstlerischen Leistung zu stärken. Aus diesem Grund setze ich mich auch gegen pauschale Vergütungsmodelle wie die sogenannte „Kulturflatrate“ ein, Kulturschaffende sollen individuell nach ihrer Leistung und deren Nutzung vergütet werden. Doch gerade die Voraussetzung, eine faire Balance zwischen diesen verschiedensten Interessen zu finden, stellt eine erhebliche Herausforderung dar.

Eine Anpassung des Urheberrechts muss sorgfältig vorbereitet, ausgewogen und durchdacht erfolgen. Die geplante Modernisierung des Urheberrechts ist eine Mammutaufgabe, wenn man die Vielfalt der verschiedenen Akteure und Interessen fair ausbalancieren möchte. Die ausschussübergreifende EVP-Arbeitsgruppe hat hier wichtige Vorarbeit geleistet und die verschiedenen Herausforderungen beim Thema Urheberrecht einzeln betrachtet, mit Experten diskutiert und analysiert. Die Ergebnisse werden dem zuständigen Kommissar Günther Oettinger präsentiert, bevor dieser noch in diesem Jahr einen Entwurf für eine Reform vorlegen wird.

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