Interview mit Robert Weber: Industrial Newsgames für die Industrie 4.0

Veröffentlicht am 22.04.2016

Robert Weber ist Technikjournalist und Gründer. Für den Würzburger Verlag Vogel Business Media verantwortete er bis Mai 2015 die Fachzeitschrift Elektrotechnik. Inzwischen konzentriert sich Weber statt auf die journalistische Karriere auf sein Start-Up Industrial Newsgames, das Kommunikationslösungen für die Industrie entwickelt. Die Newsgames stecken noch in der Entwicklungsphase, doch erste Ergebnisse wird Weber im Mai beim Kongress der Deutschen Fachpresse in Berlin präsentieren. Er ist zuversichtlich, dass sein Start-up weiter wachsen wird. Über die Herausforderungen der Industrie 4.0, das Medium Newsgames und Kreativität als wichtige Voraussetzung für Innovation sprach Robert Weber mit uns im Interview.

Sie sind Technik-Journalist und Unternehmer in einem, wollen mit Ihrem Start-up die Industriekommunikation verändern. Warum ist das überhaupt nötig?

Robert Weber, Gründer von Industrial Newsgames, (c) privat
Robert Weber, Gründer von Industrial Newsgames, Foto: privat

Wir wollen sie nicht verändern, wir wollen sie ergänzen – um ein neues Format, das viele etablierte Medientypen aufgreift, ihre Stärken zusammenführt und spielerisch Informationen vermittelt. Ein Newsgame wird nie ein Massenprodukt sein, aber mir und vielen anderen Unternehmen fehlen in der Industriekommunikation und in der Fachmedienwelt neue, frische Ideen. Für diese Unternehmen produzieren wir Industrial Newsgames.

Die virtuelle Fabrik könnte schon bald Realität werden. Inwiefern müssen Unternehmen und ihre Mitarbeiter dafür umdenken und warum tun sie sich so schwer dabei?

Spannend finde ich in der Diskussion, dass die Industrie, die Verbände und wir Journalisten vor vier Jahren fast ausschließlich über die technische Komponente der Industrie 4.0 berichteten. Vernetzung, Vernetzung und Vernetzung – das waren die Themen. Mittlerweile verläuft die Diskussion anders. Der Mitarbeiter rückt wieder in den Vordergrund, auch weil der Industrie 4.0 das Jobvernichter-Image anhaftete. Das Problem: Jetzt diskutieren wir meiner Meinung nach wieder zu viel über Arbeitszeiten, Home Office und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – die Technikkomponente bleibt außen vor. Einige Stichworte: Roboter als Rechtssubjekte, neue Entlohnungsmodelle, Industriearbeitsplatz versus Büroarbeitsplatz.

Doch was passiert: Einfache Tätigkeiten werden in der Fabrik der Zukunft wohl verschwinden. Die Frage ist: Schafft die Gesellschaft es, diese Menschen weiter zu qualifizieren oder muss sie einen Teil der Automatisierungsdividende dafür nutzen, diese dann ehemaligen Mitarbeiter mit neuen Aufgaben in der Gesellschaft oder Wirtschaft zu betrauen. Industrie 4.0 und der Mensch in der Industrie 4.0 ist ein richtig großes sozialpolitisches Thema und vielen Politikern, Verbandsmanagern, Gewerkschaftern und der breiten Öffentlichkeit fehlt das technische Wissen, um Entwicklungen abzuschätzen.

Ihr Produkt sind sogenannte Industrial Newsgames – was kann man sich darunter vorstellen und welche Anwendungen entwickeln Sie aktuell?

Stellen Sie sich vor, Sie bieten Cyber-Security-Lösungen für die Industrie an und suchen neue Kommunikationsformate für Ihre Zielgruppe: Auf Banner, Fachbeiträge, Printanzeigen und Co. haben Sie keine Lust mehr, weil die Erfolge der Maßnahmen Sie nicht überzeugen und Ihre Zielgruppe dort nicht mehr erreichen. Wie wäre es, wenn Ihr potenzieller neuer Kunde in einem Onlinespiel in die Rolle eines Hackers schlüpfen und spielerisch die Produktion einer fiktiven Fabrik lahmlegen könnte? Nach dem erfolgreichen Angriff erklären Sie dem Spieler dann, wie er seine Produktion schützt. Das leistet ein Newsgame. Wir lassen die Spieler in Ihre Rolle schlüpfen. Die Spiele greifen aktuelle Themen (News) auf und erklären den Usern spielerisch die Zusammenhänge von komplexen Geschichten. Vor allem Publikumsmedien nutzen mittlerweile dieses neue, journalistische Format. Momentan arbeiten wir an einem Game zum Thema „Präzision in der industriellen Fertigung“ und zu einem Game zur neuen „Rolle des Ingenieurs“.

Games haben einen schlechten Ruf und werden oft als sinnfreier Zeitvertreib verpönt. Die amerikanische Game-Entwicklerin und -Forscherin Jane McGonigal behauptet hingegen, dass Games die Welt verbessern können. Wie kann die Industrie von „Gamification“ profitieren?

Die Industrie tut es schon. Gamification-Ansätze finden sich in vielen Bedienoberflächen von Maschinen und Anlagen. Weil dadurch die Motivation erhöht werden kann, aber auch, weil sich Mitarbeiter schneller orientieren können. Erfolgreiche Computerspiele sind Usability-Champions, sonst wären sie nicht so erfolgreich. Das kann sich die Industrie von den Gamern abschauen, denn in Zukunft wird ein Mitarbeiter unterschiedliche Maschinen mit immer neuen Bedienoberflächen fahren müssen. Er muss sich an jeder Maschinen aber schnell einarbeiten können.

Zur Industrie 4.0 und zur Arbeit 4.0 gehört auch die Bildung 4.0. Mit der digitalen Bildung tut Deutschland sich aber noch schwer. Können Sie sich vorstellen, dass das Medium Newsgames auch im Bildungsbereich eine Chance hat? Was muss sich in der Bildungspolitik bewegen, damit junge Menschen fit für die Berufe der Zukunft sind?

Viele fordern ein Pflichtfach Informatik. Das kann eine Lösung sein, aber ich glaube nicht dran. Industrielle Produkte, die von Mittelständlern in Deutschland produziert werden, spielen technisch noch in der Champions League. Aber Innovationskraft der Firmen schwindet. Viele Mittelständler sorgen sich vor Konkurrenten aus den USA. Warum? Weil dort neue Geschäftsmodelle entstehen, die sehr schnell viel Marktmacht entwickeln. Industrieunternehmen müssen in Zukunft Kreativität fördern und die Politik soll sich bitte nicht in technische Standarddiskussionen einmischen, sondern Glasfaser ausbauen und eine gute Bildungspolitik machen. Denn Business Development funktioniert eben nicht nur mit Informatik und HTML-Codes. Ich bin Geisteswissenschaftler, habe erfolgreiche technische Fachmedien gemacht und entwickle jetzt Games, bin Lehrbeauftragter an einer Technischen Hochschule, kann zwar keine technische Zeichnung, habe aber Ideen und Kreativität. Das brauchen wir in Deutschland – neben den vielen guten Ingenieuren, die wir ja haben. Deshalb bin ich ein Anhänger von mehr Sport, Textilkunde, Musik oder Kunst in der Schule. Und eines ist mir sehr wichtig: Wir brauchen in Deutschland auch gute Handwerker. Und wenn der Tischler in fünf Jahren mit einem kolloborativen Roboter beispielsweise von Kuka oder ABB zusammenarbeitet, dann tut der Tischler das, weil er sich Vorteile von der Robotik verspricht, weil er ein kreativer Kopf ist und nicht, weil er mal Informatik in der Schule hatte.

Wege zur Industrie 4.0 stehen ganz oben auf der politischen Agenda und trotzdem hinkt Deutschland im internationalen Vergleich bei der Digitalisierung hinterher. Was muss die Politik noch tun, damit die Industrie 4.0 Wirklichkeit werden kann?

Sich raushalten und vor allem keinen deutschen Protektionismus-Kurs fahren. Industrie 4.0 soll der Wachstumsmotor für deutsche Unternehmen sein. Das digitale Wirtschaftswunder ist nicht für Deutschland reserviert und ich frage mich: Ist Siemens ein deutsches Unternehmen, ist GE ein amerikanisches Unternehmen, ist SAP ein deutsches Unternehmen, ist IBM ein amerikanisches Unternehmen? Wie definieren wir US-Unternehmen oder deutsches Unternehmen? Wer schafft wo wie viele Arbeitsplätze oder zahlt wo Steuern? Vielleicht beschäftigen US-Unternehmen weltweit mehr Menschen als in den USA!? Die Unternehmen denken nicht mehr in Nationalstaaten. Die Politik wird Industrie 4.0 oder IoT nicht für Deutschland reservieren können. Die Politik muss sich daran messen lassen, ob es ihr gelingt, die Kreativen, die Klugen in Deutschland zu halten, sie anzulocken, dann kommen auch die Unternehmen. Dann sprechen wir plötzlich auch über Bildungspolitik (Qualifikation), Familienpolitik (Kinder und Senioren) und Umweltpolitik (ich will da leben und arbeiten, wo gute Luft ist).

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