Interview mit Martin Fuchs: „Fehler in der Kommunikation bereits vor dem Scheitern mitdenken“
Digitale Kommunikation ist mittlerweile eine wesentliche Aufgabe jeder politischen Arbeit – und verändert sich durch neue Plattformen und Verbreitungswege immer wieder. Mit dem Digitalexperten und Politikberater Martin Fuchs, bekannt unter anderem für seinen Blog Hamburger Wahlbeobachter, haben wir über aktuelle Trends, die digitale Kommunikation der Regierung und die Fehlerkultur in der Politik gesprochen.
Herr Fuchs, die Nutzung von Social-Media-Kanälen ist mittlerweile seit mehreren Jahren ein fester Bestandteil der politischen Kommunikation von Abgeordneten, Parteien, Ministerien und Behörden. Was sind da die aktuellen Trends, die man im Politikbetrieb im Blick haben sollte?
Wir reden bei digitaler politischer Kommunikation seit Jahren fast nur über die Big 4, also Facebook, YouTube, Instagram und Twitter. Das sind auch die unter den Abgeordneten meistgenutzten Plattformen. In Zukunft wird sich das ändern, durch die TikTokisierung und Messengerisierung.
TikTok ist gerade die Plattform, die weltweit die Standards setzt. Alle anderen bauen deren Algorithmen nach, kopieren deren Formate und wollen ein Stück vom Erfolg abhaben. Das heißt, alle Plattformen versuchen ein wenig wie TikTok zu sein – das wird die Art und Weise, wie wir Inhalte erstellen und politische Themen aufbereiten, sehr verändern.
Zum einen weil immer mehr Politiker:innen selber aktiv auf TikTok werden, aber auch weil deren DNA dann an anderen Stellen wiederzufinden ist. Auf der anderen Seite ziehen sich Menschen immer stärker aus dem öffentlichen Internet zurück und diskutieren nur noch in geschützten Bereichen wie Foren, geschlossenen Gruppen oder Messengerdiensten. Hier sollten politische Akteure schnellstmöglich Ideen und Konzepte entwickeln, wie man Bürger:innen über Messenger erreicht.
Ebenfalls spannend finde ich, wie sich LinkedIn gerade zu einer wichtigen Plattform für politische Kommunikation in Deutschland mausert und was im Bereich Virtual Games und Metaverse in den kommenden Jahren passieren wird.
Wie sieht es mit der digitalen Kommunikation der Ampelkoalition aus, gerade auch im Vergleich zur vorherigen Großen Koalition? Wer sticht da besonders heraus?
Ich habe das Gefühl, dass das Digitale nun noch viel selbstverständlicher ein Teil der Kommunikation der Koalition ist, allein 15 von 17 Bundesminister:innen twittern. Einige Minister:innen wie Karl Lauterbach haben sich auch mit Hilfe ihrer digitalen Kommunikation erst eine Machtbasis aufgebaut, die bestimmt hilfreich war, um überhaupt in das Amt zu gelangen
Über Robert Habeck und seinen neuen Kommunikationsstil wurde viel berichtet, der sticht natürlich auch digital hervor – das ist oftmals eine sehr gute Inszenierung. Christian Lindner ist natürlich eine eigene digitale Liga, was seine Reichweiten angeht: Allein bei LinkedIn hat er aktuell über 160.000 Follower:innen, er podcastet, spielt bei Twitch Games, taucht bei Jodel auf und wird bei TikTok zum Kult, obwohl er noch nicht mal einen eigenen Account hat. Aber auch Annalena Baerbock, Marco Buschmann und Cem Özdemir gefallen mir sehr gut!
Ein immer wiederkehrendes Thema im politischen Raum ist der Umgang mit Fehlern und unbedachten Äußerungen, worüber wir vor kurzem auch mit dem Politik- und Twitter-Veteranen Peter Altmaier gesprochen haben. Inwieweit hat sich die Fehlerkultur in Politik und Öffentlichkeit durch die digitale Kommunikation in den letzten Jahren aus Ihrer Sicht verändert?
Das ist in der Tat sehr ambivalent. Auf der einen Seite wird die Entschuldigung, das Machen und Eingestehen von Fehlern im Netz viel mehr respektiert und wertgeschätzt. Auf der anderen Seite wird oftmals aus jedem kleinen Fehltritt ein Riesenskandal gemacht, der sich schnell zu einer Empörungswelle entwickelt. Schon seit einigen Jahren landen Fehltritte, Patzer und unglückliche Zitate fast in Echtzeit im Netz und entwickeln eine Dynamik, die man oftmals nicht mehr einfangen kann. Und wenn, dann ist es zu spät.
Deshalb finde ich es richtig, wenn erste Politiker:innen anfangen, Fehler und das Scheitern in ihrer Kommunikation bereits vor dem Scheitern mitzudenken so wie Jens Spahn („Wir werden einander verzeihen müssen“ ), der zu Beginn der Pandemie offen mit möglichen Fehlern der Politik in der Krise umgegangen ist. Auch die öffentliche Entschuldigung von Bodo Ramelow bei der Kanzlerin nach seiner falschen Einschätzung der Corona-Maßnahmen war neu. Da findet also durchaus gerade die Entwicklung einer Fehlerkultur statt – positiv beeinflusst durch die Netzkultur.
Mit der Hertie-Stiftung habe ich vor kurzem die erste Fuck Up-Night für die Demokratie auf die Bühne gebracht, bei der Politiker:innen einen Abend ehrlich über gemachte Fehler reden. Auch hier waren das Netz und die Startup-Kultur Pate dieses Formats.
Wie sollten Politiker:innen sich im Idealfall verhalten, wenn sie auf ihren Social-Media-Kanälen etwas falsch gemacht, z.B. einen nicht haltbaren Tweet veröffentlicht haben?
Eine „One fits all“-Empfehlung ist schwierig, es kommt ja immer auch auf den Kontext an: Was wurde von wem und wo gesagt? Aber prinzipiell ist das schnelle, offene und ehrliche Eingestehen eines Fehlers immer besser als der Versuch, es auszusitzen.
In den meisten Fällen würde ich den Tweet auch nicht löschen, weil er sowieso in der Welt ist. Ein Fehler und die daraus entstehende Empörung kann auch der Anfang einer konstruktiven Diskussion sein. Die Aufmerksamkeit sollte produktiv genutzt werden, um ein Thema nach vorne zu diskutieren. Ich würde in jedem Fehler deshalb auch eine kommunikative Chance sehen.
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