Interview mit Ernst Dieter Rossmann über Digitale Bildung

Ernst Dieter Rossmann, MdB, Pressefoto: SPD
Veröffentlicht am 18.11.2016

Die Digitalisierung in Gesellschaft und Arbeitswelt schreitet unaufhörlich voran, nur um die Digitale Bildung ist es in Deutschland noch nicht allzu gut bestellt. Mit der Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft, die Bundesbildungsministerin Johanna Wanka im Juni vorgestellt hat, soll das jetzt anders werden. Mit dem Investitionsprogramm DigitalPakt#D will das BMBF außerdem Digitale Bildung in den Bundesländern fördern. Auch der Nationale IT-Gipfel am 16. und 17. November in Saarbrücken hat dieses Jahr den Schwerpunkt Digitale Bildung. Deshalb wollen wir es genauer wissen: Was passiert in der Bildung in puncto Digitalisierung? Was sind die Ansätze, Herausforderungen und Vorhaben? In unserer Interviewreihe zur Digitalen Bildung in Deutschland haben wir Akteure aus Politik und Wissenschaft befragt. Heute im Interview mit UdL Digital: Dr. Ernst Dieter Rossmann, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Ernst Dieter Rossmann ist seit dem Jahr 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit dem Jahr 2002 ist der Diplom-Psychologe und Doktor der Sportwissenschaft Mitglied des Fraktionsvorstandes und Sprecher der Landesgruppe Schleswig-Holstein. Das Amt des bildungs- und forschungspolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion übernahm Rossmann im Jahr 2009, nachdem er bereits seit dem Jahr 1998 stellvertretender Sprecher war. Seit dem Jahr 2007 ist er außerdem Vorsitzender des Deutschen Volkshochschulverbandes (DVV). Im Interview mit UdL Digital weist der Bildungspolitiker darauf hin, dass die von Bundesbildungsministerin Wanka im DigitalPakt#D versprochenen Mittel noch nicht im Bundeshaushalt 2017 hinterlegt sind. Eine Einigung mit den Ländern als Grundlage für den DigitalPakt ließe sich seiner Ansicht nach aber zügig herbeiführen.

Man gewinnt den Eindruck, dass Deutschland in puncto digitaler Bildung derzeit noch ein Flickenteppich ist. Was muss Ihrer Meinung nach besser werden? Was erwarten Sie von den Ländern in dieser Hinsicht?

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Ernst Dieter Rossmann, MdB, Pressefoto: SPD

Wir brauchen eine Nationale Bildungsoffensive mit klaren Signalen zum Ausbau digitaler Bildungsangebote. Da müssen Bund, Länder, Verbände, die Wissenschaft und auch die Sozialpartner gemeinsam mit ran. Schon auf mittlere Sicht ist es ja vor allen Dingen die Arbeitnehmerschaft, die von der Digitalisierung und der Wertschöpfung 4.0 besonders betroffen sein wird. Deshalb muss hier in der Bildung rechtzeitig und intensiv vorgearbeitet werden.

Mit der Digitalen Agenda der Bundesregierung, die im August 2014 gestartet ist, und der Ankündigung einer Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft durch das BMBF ist hier zumindest ein Anfang gemacht worden. Das BMBF wird für die Gestaltung des digitalen Wandels in der Bildung in 2017 70 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Ich freue mich sehr darüber, dass die Kultusministerkonferenz aktuell im laufenden Präsidentschaftsjahr die „Bildung in der digitalen Welt“ endlich zu ihrem Schwerpunktthema gemacht hat und dazu ein Strategiepapier entwickelt, welches Anfang Dezember dann auch beschlossen werden soll. Es passiert also viel und der digitale Wandel wird jetzt auch im Bereich Bildung aufgegriffen, nur müssen die Maßnahmen gebündelt werden. Dazu wäre eine Nationale Bildungsallianz das geeignete Instrument.

Das Bundesbildungsministerium hat mit dem DigitalPakt#D ein fünf Milliarden Euro-Investitionsprogramm für digitale Bildungsinfrastruktur in Schulen angekündigt. Im Gegenzug sollen sich die Länder verpflichten, „digitale Bildung zu realisieren“. Wie optimistisch sind Sie, dass es zu einer Einigung mit den Ländern kommt und wie bewerten Sie die Initiative des BMBF?

Ich begrüße die BMBF-Initiative DigitalPakt#D, denn Investitionen in die digitale Infrastruktur der Schulen bekämpfen die digitale Spaltung und schaffen Bildungsgerechtigkeit. Die Länder unternehmen große Anstrengungen, nicht zuletzt mit der KMK-Strategie Bildung in der digitalen Welt, mit pädagogischen Konzepten und Unterrichtscurricula zur Förderung der Medienkompetenz sowie durch Lehrerfortbildungen ihren Beitrag zur Bewältigung des digitalen Wandels zu leisten. Dennoch ist alles eine Frage der verfügbaren finanziellen Mittel.

Frau Wanka hat zwar mit ihrem DigitalPakt#D fünf Milliarden Euro versprochen für die nächsten fünf Jahre. Sie hat aber weder diese Mittel im Bundeshaushalt 2017 erkämpft noch realistische Vorschläge gemacht, wie diese Gelder ohne die weitere Auflockerung des Kooperationsverbotes verbindlich an die Länder fließen sollen. Stattdessen will sie diese Initiative nach den Bundestagswahlen erst richtig starten. Da riecht es doch sehr nach „heißer Luft“, was jetzt dazu ein bisschen sehr vorlaut verkündet wird.

Nach meiner Beobachtung haben viele einzelne Länder hier schon sehr konkrete Schritte unternommen. Die werden jetzt über die KMK auch konzeptionell gebündelt. Da sollte es dann doch möglich sein, sehr zügig nach dem Dezember mit den Ländern auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen und dann auch die Mittel grundsätzlich in den Entwurf 2018, die mittelfristige Finanzplanung und in ersten konkreten Raten schon in einen möglichen Nachtrag 2017 hineinzubekommen. Wir haben jedenfalls keine Zeit zu verschenken. Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Wir haben uns seit Langem dafür eingesetzt, dass es Mittelerhöhungen beim BMBF für die Förderung des digitalen Lernens gibt. Der Haushaltsansatz ist ja durch unsere Beharrlichkeit auch deutlich angewachsen. Und wir stehen auch zu der Ansage, hier ein kräftiges Programm für die Schulen und für die digitale Bildungsinfrastruktur insgesamt durch den Bund anzugehen. Frau Wanka muss hier jetzt möglichst schnell liefern und die CDU/CSU darf sich nicht querstellen. An uns soll es wirklich nicht scheitern, im Gegenteil.

Einige Schulen praktizieren inzwischen das Modell Bring Your Own Device. Welche Probleme birgt diese Regelung Ihrer Ansicht nach? Und welche Modelle und Lösungen sind denkbar und wünschenswert, um Schulen außerhalb des Förderprogramms DigitalPakt#D zeitnah mit WLAN und digitalen Endgeräten auszustatten?

Das Modell „Bring Your Own Device“ (BYOD) birgt zahlreiche offene Fragen, die gründlich geklärt werden müssen. Außerhalb des DigitalPakt#D bzw. staatlicher Investitionen in die Schulen sehe ich wenig gangbare Möglichkeiten, schnell Abhilfe zu schaffen. Die Finanzierung von WLAN und Endgeräten an den Schulen über private Firmen birgt Gefahren der versteckten Werbung, Manipulation etc. Da Bildungsrecht Menschenrecht ist, sollte für die öffentlichen Schulen der Staat die volle Verantwortung beibehalten und ausreichend Investitionen tätigen, um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Die oben genannte Nationale Bildungsallianz würde hierauf Antworten geben. Auch deshalb werben wir sehr für ein solches Instrument. Hinzu kommt, dass wir ausreichendes Unterstützungspersonal brauchen, das in der Lage ist, die IT-Infrastruktur zu warten. Da dürfen die Kommunen nicht alleine gelassen werden, denn die laufenden Folgekosten bei der Digitalisierung als Teil der neuen Lernwelten sind ja nicht unbeträchtlich. Im Übrigen kann ja auch die Digitalwirtschaft, die nun wirklich nicht schlecht verdient, über eigene Fonds und Stiftungen sehr uneigennützig und ohne Blick auf die eigene Rendite hier sehr viel Gutes tun. Da ist Gemeinwohlorientierung gefragt. Also: Rauf aufs Spielfeld und uneigennützig eigene Initiativen entwickeln.

Medienbildung und digitale Bildung sind inzwischen Bestandteil vieler Lehrpläne. Laut dem aktuellen Bericht des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) gilt das allerdings nicht für die Lehrerbildung und das Lehramtsstudium, wo dieses Thema offenbar deutschlandweit noch immer vernachlässigt wird. Wie kann dieser Missstand behoben werden?

Es besteht kein Zweifel, dass digitale Bildung und die Vermittlung von Medienkompetenz Bestandteil der Lehrerbildung und auch der Lehrerfortbildung sein müssen. Ich bin optimistisch, dass sich diese Einsicht durchsetzen wird, denn sowohl im Bundesprogramm Qualitätsoffensive Lehrerbildung, welches das BMBF mit 500 Millionen Euro fördert, als auch in der KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ wird dieses Thema aufgegriffen. Besonders wichtig finde ich, dass die digitale Bildung schnellstens in die Lehrerfortbildung Einzug findet, damit ältere Lehrerkollegien den Zugang dazu finden. Ohne eine Akzeptanz und Öffnung der Pädagogen für die digitale Welt kann ich mir einen lebendigen adressatenbezogenen Unterricht nicht mehr vorstellen.

Die Studie Digitale Medien in Betrieben aus dem Bundesbildungsministerium hat ergeben, dass fast jeder zweite Betrieb mit den IT-Kenntnissen seiner Auszubildenden unzufrieden ist. Sind die Berufsschulen schon ausreichend auf die Digitalisierung vorbereitet, um den Schülern die notwendigen Kenntnisse mit auf den Weg zu geben? Wie lassen sich auf diesem Gebiet weitere Fortschritte erzielen?

In den Berufsschulen besteht großer Handlungsbedarf im Bereich der digitalen Bildung. Das BMBF fördert deshalb derzeit im Rahmen seines Förderprogramms Digitale Medien in der beruflichen Bildung und mit dem Einsatz von Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) die Entwicklung, die Erprobung und den Einsatz neuer Bildungsangebote mit digitalen Medien in der beruflichen Aus- und Weiterbildung in einem jährlichen Umfang von 10 bis 14 Millionen Euro. Unterstützt werden beispielhafte Lösungen zum Einsatz von digitalen Medien, Web 2.0 und mobilen Technologien in der Aus- und Weiterbildungspraxis und zur Stärkung von digitaler Medienkompetenz in der beruflichen Bildung auf dem Weg zu einer Berufsbildung 4.0.

Aber nicht nur die Berufsschulen, sondern auch die Betriebe müssen in der digitalen Bildung mehr Anstrengungen unternehmen. Zusammen mit den Sozialpartnern sollten Bund und Länder das Thema digitale Bildung stärker in der Aus- und Weiterbildungsallianz verankern. Dazu gehört auch, dass die Unternehmen nicht nur endlich ein deutliches Plus bei den Lehrstellenangeboten schaffen, sondern dass sie auch mehr in die Qualifizierung ihrer Ausbilder und deren Ausstattung investieren. Hier drohen wir leider stattdessen zurückzufallen. Das ist auch im betrieblichen und unternehmerischen Sinne absolut kurzsichtig und wird sich bitter rächen. Es muss hier ein betriebliches Kern-Curriculum für digitales Lernen aufgebaut werden, das sich auch auf die schwächeren Einsteiger und Auszubildenden einstellt. Ohne das wird es nicht gehen. Da müssen die Wirtschaft und die Betriebe jetzt ran, weil der Staat hier auch nicht alles alleine schaffen kann.

Stichwort „lebenslanges Lernen“: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles will die Bundesanstalt für Arbeit vor dem Hintergrund der Digitalisierung zu einer „Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung“ weiterentwickeln. Wie bewerten Sie diesen Vorschlag und welche weiteren Maßnahmen sind Ihrer Ansicht nach wünschenswert, damit Arbeitnehmer fit für die Arbeit 4.0 werden?

Die Digitalisierung der Arbeitswelt macht das lebenslange Lernen notwendiger denn je. Ohne Weiterbildung werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zukunft noch weniger als jetzt in der Lage sein, den Anforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden. Eine Weiterbildungsoffensive wird unabdingbar sein. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles begleitet diesen Prozess sowohl mit der Initiative Arbeiten 4.0, mit der ein Weißbuch für die „Arbeit der Zukunft“ entstehen soll, als auch mit dem Konzept der Arbeitsversicherung, in dem Arbeitnehmer/-innen Beratungs- und Qualifizierungsansprüche nicht erst bei Arbeitslosigkeit, sondern präventiv während der Erwerbstätigkeit erwerben. Ich begrüße das Vorhaben der Weiterentwicklung der Arbeitsagentur zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung. Dieser Schritt wird zu einer Aufwertung der beruflichen Weiterbildung führen. Flankierend hierzu müssen wir mit einer digitalen Weiterbildungsoffensive auch die allgemeine Weiterbildung unterstützen. Hier kommt es auf eine breite Palette an Trägern und Institutionen in Deutschland an, nicht zuletzt auf die 900 Volkshochschulen mit ihrer starken Verankerung im kommunalen Bereich. Auch dort werden Ältere, Berufsrückkehrer, Erwerbslose und Personen mit Migrationshintergrund oder Grundbildungsbedarf unterstützt, digitale Teilhabe und Medienkompetenz zu erwerben. Deshalb muss auch die allgemeine Weiterbildung in der Strategie für die digitale Wissensgesellschaft mit besonderem Gewicht gefördert werden, denn die digitale Spaltung darf nicht noch weiter zunehmen.

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