Interview mit Christian Heise vom Förderverein Freie Netzwerke zur WLAN-Störerhaftung

Foto: Christian Heise
Veröffentlicht am 23.03.2015

Christian Heise ist Vorstandsmitglied des Fördervereins Freie Netzwerke e.V. sowie der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. Der Diplom-Politikwissenschaftler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre for Digital Cultures (CDC) an der Leuphana Universität Lüneburg und promoviert über das Thema Open Science. Er hat u.a. für „Die Zeit“ und „Zeit Online“ sowie für die Deutsche Presse-Agentur (dpa) gearbeitet. Wir haben mit ihm über den Gesetzentwurf zur Neuregelung der WLAN-Störerhaftung (Änderung des Telemediengesetzes) unterhalten, den Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel kürzlich vorgelegt hat.

Die Bundesregierung hat nach langer Diskussion den Gesetzentwurf zur WLAN-Störerhaftung vorgelegt. Trägt dieser Entwurf für Sie das Etikett Fortschritt oder Rückschritt?

Der Entwurf zur Neuregelung des Telemediengesetzes ist ein klarer Rückschritt und leider ein weiteres Paradebeispiel für die Realitätsferne und Sinnentleertheit aktueller deutscher Netzpolitik. Der Entwurf privilegiert kommerzielle Anbieter vor privaten Anbietern, führt zu neuen technischen Hürden bei der Bereitstellung von öffentlichem WLAN, bringt mehr Rechtsunsicherheit für alle, verursacht einen erhöhten Erfüllungsaufwand sowie Mehrkosten bei den Betreibern, erfordert mehr Beratungsbedarf und ist nicht mit gängigen EU-Richtlinien vereinbar. In einer aktuellen Stellungnahme zum finalen Entwurf auf freifunkstattangst.de erläutern wir in sechs ganz konkreten Punkten, warum eine Verabschiedung dieses Entwurfs negative Effekte auf die Verbreitung von Funknetzwerken in Deutschland hätte und zu mehr Rechtsunsicherheit und Mehrkosten für alle führen würde. Da er in der jetzigen Form auch gegen diverse EU-Richtlinien verstößt, gehen wir zudem davon aus, dass die anstehende Notifizierung des Gesetzesentwurfs durch die Europäische Union fehlschlägt oder der Entwurf spätestens in ein paar Jahren noch mal überarbeitet werden müsste. Das sehen übrigens andere zivilgesellschaftliche Organisationen, der Handelsverband Deutschland (HDE), die Juristische Community und der Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V. (eco) und viele mehr auch so. Die einzige Möglichkeit, diesen inhaltlich und handwerklich schlechten Entwurf noch zu einem „Fortschritt“ zu machen, besteht in der Abschaffung der in dieser Form weltweit einzigartigen Störerhaftung für Funknetzwerke.

 Frei zugängliches WLAN als Eintrittskarte zu einer freien Gesellschaft – ist das die richtige Interpretation Ihrer Initiative?

Klingt interessant, aber wir sprechen eher von dem Ziel der Demokratisierung der Kommunikationsmedien durch freie Netzwerke. Außerdem muss man für eine Eintrittskarte meist bezahlen, das würden wir im Rahmen des Zugangs zum Freifunknetzwerk nicht akzeptieren. Auf lokaler Ebene ermöglichen die über 150 Freifunk-Initiativen mit über 10.000 Zugangspunkten eine Alternative zu den kommerziellen Netzwerkanbietern in Deutschland. Dabei ist der Zugang zum Internet nur ein Dienst, der über ein solches Netzwerk möglich ist. Die Freifunk-Netze bieten einen öffentlichen Raum, in dem freie Inhalte verbreitet werden können. Wir legen dabei einen großen Wert auf Netzneutralität, das Pico Peering Agreement und die Grundprinzipen des freien Internets.

Mit einem frei zugänglichen Internet sind viele rechtliche Fragen verbunden – Urheberrecht, Jugendschutz, Internetkriminalität. Wer trägt in einem „Gemeinschaftsnetz“ Verantwortung und Kosten, wenn es zu Schäden kommt?

Wie überall anders auch, der Verursacher. Die Frage impliziert ja, dass die Störerhaftung oder die geplante Neuregelung die genannten Herausforderungen meistern könnten, das kann und wird sie nachweislich nicht. Die Störerhaftung hat damit überhaupt nichts zu tun. Sie ermöglicht es nur, die haftbar zu machen, die den Zugang anbieten. Abgesehen davon bieten die im Entwurf genannten Maßnahmen keinen Schutz gegen kriminelle Akte, Urheberrechtsverletzungen oder für den Jugendschutz. Alles, was der Entwurf diesbezüglich ermöglicht, sind weiterhin blühende Geschäfte für die Abmahnindustrie. Kleiner Lesetipp dazu: Drüben bei carta.info hat Oliver Schmidt mit „Wir haften für unsere Mitesser“ einen ganz guten Text verfasst, der die Absurdität der Störerhaftung schön beschreibt.

Was halten Sie davon, wenn Städte wie Berlin und Hamburg ihren Bewohnern und Besuchern ein freies Internet zur Verfügung stellen wollen?

Das würde ich mir wünschen. Mit diesem Entwurf, wird das aber ein Wunsch bleiben.

Datensicherheit hat für viele Nutzer eine immer größere Bedeutung. Wie schützen Sie Ihre Daten in einem freien, unverschlüsselten Netz?

Genauso wie in meinem verschlüsselten Netzwerk zu Hause: Die Entwicklungen der letzten Jahre haben ja gezeigt, dass die Internetnutzung mit dem bloßen Verschlüsseln eines WLANs oder der Nutzung von kabelgebundenen Netzwerken nicht automatisch sicherer ist. Datensicherheit kann nicht einfach durch ein verschlüsseltes WLAN-Netz sichergestellt werden. Das ist ein Irrglaube. Entscheidend im Sinne der IT-Sicherheit ist allein die Verschlüsselung seitens der Nutzerinnen und Nutzer. Der Entwurf würde demnach zwar dazu führen, dass das Café um die Ecke vielleicht einen verschlüsselten Zugang betreiben kann, aber alle den gleichen Schlüssel nutzen. Damit ist jede Verschlüsselung wirkungslos. Auch die weiteren im Entwurf genannten Maßnahmen sind weder ohne großen Mehraufwand seitens der Betreiber umsetzbar, noch datenschutztechnisch sinnvoll. Sie werfen an einigen Stellen sogar rechtsmethodisch ungewollte datenschutzrechtliche Herausforderungen auf.

Foto: Christian Heise

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