Internetkultur: Die Bedeutung von Memes für die politische Kommunikation
Von Mareile Ihde
Wer sich mit politischer Kommunikation im digitalen Raum auseinandersetzt, stößt über kurz oder lang auf ein Phänomen, das im Internet seit Jahren präsent ist: Memes. In diesem Text erklärt Mareile Ihde (Leiterin Digitale Kommunikation bei polisphere) was es damit auf sich hat und wie Memes in der Politik mittlerweile eingesetzt werden.
Jeder, der regelmäßig auf Social Media-Kanälen oder in Messengern unterwegs ist, kennt das süffisant lächelnde Mädchen vor dem brennenden Haus oder – ganz aktuell – Shiba Inus in Kampfmonturen, die das Markenzeichen der NAFO, einem Internetphänomen, sind, das online gegen russische Desinformation kämpft. Die NAFO arbeitet mit Memes, also mit Bildern oder kurzen Videos, die in der Regel mit Text versehen sind, der das Dargestellte in einen neuen Kontext bringt, im Zusammenspiel oft witzig, ironisch oder sarkastisch ist und sich auf aktuelle Ereignisse bezieht.
Schnell herzustellen, einfach zu kopieren
Memes sind schon lange fester Bestandteil der Internetkultur, eine allgemein anerkannte Definition des Begriffs gibt es trotzdem nicht. Aber neben der Text-Bild-Kombination zeichnen sich Memes vor allem dadurch aus, dass sie im Internet schnell weiterverbreitet und immer wieder angepasst werden. Eines der bekanntesten Beispiele für die Möglichkeiten, Memes in unzählige Kontexte zu setzen, ist sicherlich das Meme des „Distracted Boyfriend“.
„Viele Memes sind für Außenstehende unverständlich. Teils stecken sie voller Anspielungen auf netzkulturelle Nischenphänomene oder referenzieren Witze, die man nur versteht, wenn man sein halbes Leben auf Twitter und Reddit verbringt.“ (Social Media Watchblog)
Die Entstehung und Verbreitung von Memes hat sich in den letzten Jahren stark verändert, wie eine Analyse der Seite Know Your Meme für die USA herausgefunden hat: Während im Jahr 2010 die meisten Memes noch auf YouTube und dem berühmt-berüchtigten Imageboard 4chan entstanden sind, hat sich seit 2014 Twitter zur zentralen Meme-Plattform entwickelt, die nun aber von TikTok überholt wurde. Beide Plattformen profitieren dabei vor allem von der mobilen Nutzung auf Smartphones.
Das Kommunikationsmittel der jungen Generation
Doch die Wege der Meme-Verbreitung werden sich auch in Zukunft dynamisch wandeln, da sie plattformübergreifend geteilt werden und mit der Beliebtheit der jeweiligen Plattformen korrespondieren, wie man am Beispiel des noch vergleichsweise jungen TikTok gut erkennen kann. Populäre Memes sind Ausdruck des Zeitgeists, der aktuell massiv von der sogenannten Gen Z geprägt wird, also von jungen Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurden. Zugleich können Memes die gemeinsamen Ansichten von Millionen von Social-Media-Nutzer:innen widerspiegeln. Und genau das macht sie so interessant für die politische Kommunikation.
Memes waren anfangs Ausdrucksform einer Subkultur, mittlerweile sind sie internetkultureller Mainstream geworden und Parteien versuchen, mit ihrer Hilfe besonders jüngere Wählergruppen zu erreichen. Denn mit ihnen als Multiplikator:innen kann man nicht nur Aufmerksamkeit generieren, sondern auch Reflektion und Eigenkritik beweisen. Doch damit Memes funktionieren, müssen sie Emotionen auslösen. Meistens (Schaden)Freude, aber auch Wut oder Trauer – was bei politischen Statements nicht immer einfach ist oder sehr gewollt wirken kann.
So hat die CDU bei Instagram mittlerweile einen eigenen Kanal nur für Memes, der selbst damit kokettiert, “cringe” zu sein – die präsentierten Inhalte also ziemlich häufig peinlich oder zum Fremdschämen sind. Trotzdem hat “connect” mehr als Zehntausend Follower. Die meisten anderen deutschen Parteien haben zumindest inoffizielle Meme-Accounts mit vier- bis fünfstelligen Anhängerzahlen.
Trumps Präsidentschaft als Katalysator politischer Memes
Was popkulturell-politische Entwicklungen angeht, hinkt Deutschland den USA auch in Sachen Memes mal wieder einige Monate hinterher. So wurden die Präsidentschaftswahlen 2020 vom TV-Sender CNN vorab zur „Meme-Wahl“ erklärt, was an Donald Trump und seine Anhänger:innen auf der einen und den Unterstützer:innen der Demokraten und Joe Biden auf anderen Seite lag, die sich mit Memes vor allem über Trump lustig machten (und zugegeben: von Trump gibt es auch einfach viel memetaugliches Material). Mit dem “Lincoln Project” gab es sogar eine Gruppe von Trump-Gegnern innerhalb der Republikanischen Partei, die mit Memes, Videos und einer Social-Media-Kampagne dessen Wiederwahl verhindern wollten.
Dass Memes dazu beitragen können, bestimmte Eigenschaften oder Fehlverhalten von Politiker:innen in der öffentlichen Wahrnehmung zu verfestigen, muss man in Deutschland spätestens seit dem Bundestagswahlkampf niemandem mehr erzählen, der im Netz unterwegs ist. Armin Laschet als Kanzlerkandidat der Union wurde zu einem Dauerbrenner aller Meme-Ersteller:innen – insbesondere nach seinem viel kritisierten Lachen im Flutgebiet, das sicherlich einen nicht unerheblichen Teil dazu beitrug, dass heute Olaf Scholz und nicht Laschet im Bundeskanzleramt sitzt. Aber auch andere deutsche Spitzenpolitiker:innen müssen regelmäßig für Memes herhalten.
Obwohl politische Parteien und Politiker:innen selbst Memes erstellen und verbreiten, ist allerdings nicht von der Hand zu weisen, dass die erfolgreichsten Memes in der Regel von einzelnen Usern kreiert werden, die damit einen Nerv in ihrer Blase treffen. Trotzdem ist es gerade für junge, politische Talente essentiell, Memes zu nutzen, um Öffentlichkeit für die eigenen Anliegen und vor allem auch die eigene Person herzustellen.
Zuspitzung und Desinformation als Gefahren
So unterhaltsam und pointiert Memes in der politischen Kommunikation eingesetzt werden können, darf man ihre Wirkung aber auch nicht unterschätzen. Aktuelle Diskurse oder komplizierte Sachverhalte – sie alle werden vermehrt über Bilder erschlossen und dadurch zwangsläufig weniger über Worte und Argumente. Das kann Debatten unzulässig zuspitzen und verkürzen, Nuancen gehen verloren. Ganze Sachverhalte können mithilfe von Memes so zusammengestaucht und geframed werden, dass sie sogar ein Anknüpfungspunkt für Desinformation sein können.
Ein bekanntes Opfer von Memes, mit denen Desinformation und Hate Speech verbreitet wurden, war beispielsweise die Grünen-Politikerin Renate Künast, die mittlerweile vor Gericht erstritten hat, dass Facebook die Bilder mit ihr zugeordneten Falschzitaten automatisch löschen muss. Auch sind marginalisierte Gruppen wie etwa die LGBTQI*-Community Gegenstand von Memes, die die Realität verzerren oder verkürzen und vielfach von antidemokratischen und rechtsextremen Gruppierungen via 4chan, reddit oder dem Messenger-Dienst Telegram verbreitet werden.
Großes kommunikatives Potenzial – positiv wie negativ
Kein Dach ohne Ach – das gilt also auch für die Nutzung von Memes im politischen Raum. Sie können Mittel sein, um Desinformation zu verbreiten und größere Gruppen für ein Thema einzuspannen, weil sie Debatten und Sachverhalte auf zentrale Aussagen herunterbrechen, Differenzierungen aber vollständig ausblenden. Gleichzeitig entfalten sie großes Potenzial als Türöffner für mehr politische Partizipation und demokratischen Diskurs für alle: Memes kann jeder Mensch erstellen und sich so in den politischen Diskurs einbringen; niedrige Zugangsschwellen erweitern die politische Teilhabe. Für Parteien und Politiker:innen fungieren sie als Zugang zu jungen Zielgruppen.
Auch bei Memes gilt somit: Augen auf im Internet, gerade wenn auf diese Weise relevante politische Inhalte kommuniziert werden sollen.
Dieser Artikel ist im Rahmen einer Kooperation mit polisphere auf der Webseite BASECAMP.digital erschienen.
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