Internationale Stimme: Ein wirtschaftspolitischer Leitfaden für ein besseres Europa

Veröffentlicht am 06.02.2017

Im September 2016 verkündete Jean-Claude Juncker in seiner alljährlichen Europa-Rede, was jeder europäische Bürger bereits seit 2011 wusste:

„Wir befinden uns in einer existenziellen Krise“, so der Präsident der EU-Kommission.

Die Weltwirtschaftskrise hatte nicht nur die wirtschaftlichen Grundlagen Europas und das weltweit fortschrittlichste Gesellschaftsmodell getroffen, sondern auch die politischen Werte, die seit 70 Jahren einen Krieg verhindert haben. Im Januar 2017 ist nicht klar, ob Europa heute besser dasteht als noch vor vier Monaten.

Seit diesem Zeitpunkt sind einige weitere ausschlaggebende Ereignisse eingetreten. Im November wurde Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt. Matteo Renzi rief die Italiener zu einem Referendum über eine Verfassungsreform auf, das er verlor. Theresa May kündigte an, dass Großbritannien bis März 2017 Artikel 50 auslösen würde. Trump nahm am 20. Januar seine Amtsgeschäfte auf. Noch vor Ablauf seiner ersten Arbeitswoche als @POTUS hatte er ein Präsidialdekret erlassen, mit dem die USA aus dem Handelsabkommen Trans-Pacific Partnership ausschieden und eine Abgabe von 20 % auf mexikanische Importe ins Auge gefasst wurde. Gute Nachrichten für Protektionisten und Globalisierungsgegner. Für diejenigen, die den freien Handel als Quelle von Reichtum und Wohlstand betrachten, könnten dies rabenschwarze Tage werden.

Aber noch ist nicht alles verloren. Manche zeigen sich optimistisch, wenn es darum geht, was getan werden kann, um das Leben der Menschen und insbesondere das Leben derjenigen, die in Europa leben, zu verbessern. Margrethe Vestager tweetete am 21. Dezember:

„#Eine gute Nachricht in finsteren Zeiten: Heute ist Wintersonnenwende – die längste Nacht ist vorbei und das Licht kehrt langsam zurück.”

Die Unterstützung für die EU hat sich seit dem Brexit verändert – aber anders, als man dies vermutet hätte, so lautet der Titel des jüngsten Artikels des Weltwirtschaftsforums.

Trending Data for EU Membership, Vote to Stay

Der ERT hat soeben seinen jährlichen Benchmarking Report veröffentlicht, der vor möglichen Handelsbeschränkungen warnt und mehr Digitalisierung und Innovation als wichtigste Wachstumstreiber für die Zukunft fordert. Ein Hauch kühner wirtschaftlicher Erkenntnisse und richtungsweisender politischer Maßnahmen zur Verbesserung der Zukunft Europas. Werfen wir einen genaueren Blick darauf:

  1. Europa ist mit einem Produktivitätsproblem konfrontiert. Das Verhältnis reale Lohnstückkosten/BIP geht in den USA und in Japan stärker zurück als in der EU und beim BIP pro Stunde klafft zwischen der EU und den USA nach wie vor eine Lücke. Vor dem Hintergrund einer Inflationsrate von nahezu 0 %, sollte der Großteil der Produktivitätssteigerungen durch Innovationen erzielt werden. Europa belegt unter den Regionen mit der höchsten Ertragskraft einen Platz unter den ersten Fünf, was Innovationen anbelangt. Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben stagnieren jedoch im Durchschnitt bei 2 % des BIP und liegen damit deutlich unter der Zielvorgabe der EU von 3 % bis 2020, wohingegen andere Regionen ihre Innovationskraft steigern. Obwohl Start-up-Unternehmen in Europa in ihrer Anlaufphase florieren, scheint das Scale-up umwälzender Innovationen hier schwieriger zu sein, als dies in anderen Teilen der Welt der Fall ist (siehe Diagramm).Unicorns
  2. Die Digitalisierung gewinnt in allen Wirtschafts- und Unternehmensbereichen an Bedeutung. Es besteht Konsens bezüglich der Rolle der Digitalisierung als Instrument für wirtschaftliche Entwicklung. Es fehlen jedoch ausreichende Investitionen in die digitale Infrastruktur in Europa, was eine Gefahr für die künftigen digitalen Chancen Europas darstellt. Die Pro-Kopf-Investitionen in die Telekommunikations­infrastruktur sind in den USA doppelt so hoch wie in Europa. Eine ähnliche Lage zeigt sich bei den Zahlen im Zusammenhang mit Risikokapital. Von 2010 bis 2014 nahmen die Risikokapitalinvestitionen in den USA um 80 %, in China um 135 % und in Europa lediglich um 51 % zu. Der ERT betont die Notwendigkeit eines anlegerfreundlichen Umfelds, insbesondere was das digitale Leben anbelangt.
  3. Vernetzte Geräte sind stark im Kommen. Die Vielzahl und Vielfalt vernetzter Geräte sowie das wachsende Angebot von IoT-Anwendungen erfordern eine stärkere Telekommunikationsinfrastruktur, ein flexibles regulatorisches Rahmenkonzept und umfassende Maßnahmen zur Computer- und Netzwerksicherheit, um die prognostizierten 26,3 Milliarden vernetzten Geräte bis 2021 (Verdoppelung der derzeitigen Anzahl von IoT-Geräten) zu unterstützen.

Venture Capital Investments

Zur Ankurbelung der Wettbewerbsfähigkeit und des Wirtschaftswachstums schlägt der ERT die folgende Liste tragfähiger und sinnvoller Grundsatzempfehlungen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Ertragskraft Europas und zur Bewältigung der kurz- und mittelfristigen wirtschaftlichen Probleme vor:

  1. Stärkung des Binnenmarkts insbesondere durch die Vollendung des Digitalen Binnenmarkts, der Energieunion und der Kapitalmarktunion.
  2. Anreize für Innovationen und die Einführung neuer Technologien als wichtigste treibende Kraft für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in Europa. Bewertung aller gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen im Hinblick auf ihre Auswirkung auf Innovationen im Rahmen des gesamten politischen Gestaltungsprozesses (Innovationsgrundsatz).
  3. Sicherstellung des Zugangs zu Auslandsmärkten unter Aufrechterhaltung der Chancengleichheit.
  4. Ausschöpfung der Vorteile der Digitalisierung durch Investitionen in die digitale Infrastruktur, die Weiterentwicklung von Schlüsseltechnologien und Fertigkeiten, gestützt auf ein nachhaltiges regulatorisches Rahmenkonzept, das die Sicherheit von Computern und Netzwerken abdeckt.
  5. Förderung von Start-up-Unternehmen zur Entfaltung und Erschließung ihres vollen unternehmerischen Potenzials, Zugang zu Finanzierungsquellen und Abbau bürokratischer Hemmnisse.

Vernetzung, Start-up-Unternehmen, Entfaltung ihres vollen unternehmerischen Potenzials (Scale-up) und ein modernes Bildungssystem sind die Grundlagen des Wirtschaftswachstums von heute (und morgen). Offenheit, Anlegerfreundlichkeit, unternehmerisches Denken und Digitalisierung sind die wichtigsten Faktoren für ein besseres Europa.

Dieser Post stammt ursprünglich aus dem Public Policy Blog von Telefónica.

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