Industrie 4.0: Sicherheit mitdenken
Es war nur eine Stippvisite von 20 Minuten, die Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel als Podiumsgast der Industrie 4.0 Tagung „Wissenschaft und Wirtschaft“ des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) am Donnerstag, 19.02.2015, in Potsdam abstattete. Die Zeit reichte aber aus, um einige prägnante Thesen ans Auditorium zu richten. So hält der Bundesminister es für die größte Marktlüge der Welt, dass das Geschäftsmodell von Social Media auf der Vernetzung von Menschen beruhe. „Die vernetzen nicht, die sammeln vor allem Daten“, so der Bundesminister. In puncto Industrie 4.0 verwies er darauf, dass laut Studien 35 Prozent der mittelständischen Unternehmen mit diesem Thema nichts anzufangen wüssten. Manche hätten Angst, die von ihrem Unternehmen erhobenen Daten in eine Cloud zu stellen, weil sich dies für sie bereits wie „stehlen“ anhöre. Einige sorgten sich auch, dass durch eine Möglichkeit der Datenverwertbarkeit außerhalb des eigenen Systems der Vorsprung gegenüber den Wettbewerbern schmelze. An einem regulatorischen Rahmen auf europäischer Ebene mangele es derzeit. Den müsse die Politik noch liefern, sagte Sigmar Gabriel.
Zufrieden zeigte sich der Bundeswirtschaftsminister damit, dass Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Staaten an der industriellen Produktion festgehalten habe. Deswegen gehe es uns so gut. „Bis jetzt waren wir der Ausrüster der Industrialisierung der Welt“, bilanzierte Gabriel. Er gab sich optimistisch, dass dies auch in Zukunft so sein werde, obwohl die Industrie 4.0 eine riesige Herausforderung darstelle. Ähnlich positiv blickte sein Gesprächspartner, der Gründer des Hasso-Plattner-Instituts Prof. Dr. h.c. mult. Hasso Plattner, in die Zukunft. In der Verknüpfung von verschiedenen Daten liege eine Menge Potential, das gehoben werden müsse. Bei intelligenten Maschinen und Autos sei Deutschland bereits weit vorn. Dem Mittelstand müsse man seine Ängste nehmen und mit Mut vorangehen. Die Deponierung von Daten in der Cloud hält er für ähnlich sicher wie zu Hause.
Sicherheit als Grundvoraussetzung für Industrie 4.0
Bernd Leukert von SAP hält die sichere Cloud zumindest für eine Notwendigkeit und das entscheidende Kriterium bei der Frage, wer seinen Kunden verlässlichen Service zur Verfügung stellen kann. Das Produkt werde unwichtiger, Echtzeitservice gewinne an Bedeutung und sei das entscheidende Monetarisierungsinstrument in der Industrie 4.0. In Zukunft müssten Ausfälle durch ein permanentes Zustandsmonitoring prognostiziert werden können. Es obläge dann nicht mehr dem Kunden, erst im Schadensfall tätig zu werden, sondern ein Schwächen aufweisendes Bauteil werde ausgetauscht, sobald die Verschleißerscheinungen vom System erfasst würden. Das Verhindern von Produktionsausfällen könne viele Ressourcen sparen. Die Revolution der Industrie 4.0 werde nach Ansicht von Bernd Leukert nur dann stattfinden, wenn sich Plattformen durchsetzten. Man benötige intelligente Lösungen, um aus großen Datenmengen die gewünschten zu filtern, „von Big Data zu Small Data“, so das SAP-Vorstandsmitglied. Er berichtete den Tagungsteilnehmern von dem gelungenen Beispiel Connected Logistics im Hamburger Hafen. Dort wurden die verlässlichen Ankunftsdaten der Schiffe mit dem Zulieferverkehr verbunden. Die Politik habe die Erlaubnis erteilt, die Brücken auf dem Weg zum Hafen mit Sensoren auszustatten. Die LKW bekämen basierend auf ihrem Standort signalisiert, dass sie nicht in das Hafengelände einfahren sollen, wenn das Schiff mit der Ladung noch nicht im Hafen liege. Durch diese Maßnahme habe der Umschlag im Hamburger Hafen um 14 Prozent gesteigert werden können.
Die Sicherheit von Systemen müsse künftig bereits bei ihrer Entwicklung mitgedacht werden, forderte Prof. Dr. Peter Liggesmeyer vom Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE). Bisher seien sowohl Safety als auch Security in Deutschland gut geregelt, aber beides sei häufig kaum kombinierbar. Man müsse es schaffen, dass auch die durch Industrie 4.0 möglichen, sich autonom verändernden Systeme, während ihrer Veränderung sicher blieben. Dies könne erreicht werden, indem auch das Sicherheitssystem sich selbst anpasse. „Weil man nicht mehr den ganzen Prozess vorher plant, müssen die Systeme selbst reagieren“, so der geschäftsführende Leiter des IESE. Seiner Ansicht nach verhindere Datensparsamkeit Innovation. Die meisten Menschen seien bereit, ihre Daten zur Verfügung zu stellen, wenn diese nur zu bestimmten Zwecken verwendet würden und sie darauf vertrauen könnten, „dass kein Schindluder damit getrieben wird“, sagte Liggesmeyer. Sie wollten die Kontrolle darüber behalten, was mit ihren Daten passiere. Eine Zugriffskontrolle reiche dafür nicht aus. Diese müsse durch eine Nutzungskontrolle erweitert werden. Big Data werde kommen. Dafür brauche man ein abgestuftes System mit Richtlinien zur Spezifikation der Datennutzung, die auch nach der Gewährung des Zugriffs modifiziert und bestenfalls kontrolliert werden könne.
Der Kooperationspartner der HPI-Veranstaltung, Prof. Dr. Norbert Gronau von der benachbarten Universität Potsdam, erläuterte in seinem Vortrag, was Industrie 4.0. seiner Meinung nach nicht ist: keine Barcodes, keine menschenleere Fabrik, keine Fortsetzung alter Konzepte und nicht top-down-getrieben. Die Industrie könne IT aber für das Analytic Manufacturing einsetzen: „eine umfangreiche Nutzung von Daten, statistischer und quantitativer Analyse, Erklärungs- und Vorhersagemodellen und faktenbasierter Unternehmensführung, um Entscheidungen und Handlungen in der Produktion voranzubringen“, wie der Wissenschaftler definierte. Durch Analytic Manufacturing stünden mehr Informationen besser, schneller und direkter zur Verfügung. Dadurch würden statistische Analysen ebenso möglich wie das Erstellen von Prognosemodellen und die Optimierung von Prozessen. Konkret könne man die Preise in Echtzeit sowie die Produktion der Nachfrage anpassen. Die Instandhaltung ließe sich sicherstellen und das Erstellen von kundenindividuellen Produkten würde möglich. Seine Empfehlungen für eine erfolgreiche Zukunft in der Industrie 4.0: Man müsse saubere Datenmodelle schaffen und die IT müsse mit großen Datenmengen umgehen können. Es sei notwendig, zu einer Standardisierung zu kommen. Darüber hinaus müsse Methodenwissen aufgebaut und der Zugriff auf das Analytic-Know-How organisiert werden.
Jobmotor oder Jobvernichter?
Dass Industrie 4.0 tatsächlich keine menschenleeren Fabriken zur Folge hat, sondern vielmehr ein neues Zusammenspiel von Menschen und Maschinen ermöglicht, erläuterte Dr. Michael Zürn von Daimler anhand von Beispielen aus seinem Unternehmen. So würden Roboter bei der Getriebemontage und beim Stopfensetzen eingesetzt. Früher hätte dabei über Kopf gearbeitet werden müssen, heute übernehme ein Roboter die Stellen, die für die Arbeiter nur in einer unbequemen Haltung erreichbar seien. Bei der Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) würden starre Strukturen aufgelöst und eine individuelle Anpassung und Flexibilität ermöglicht. Es handele sich nicht um eine Vollautomatisierung, sondern der Mensch stehe im Mittelpunkt, während der Roboter assistiere und ihm planbare Prozesse und bestimmte Tätigkeiten abnehme. Auf diese Weise könne auch eine älter werdende Belegschaft bei der Arbeit unterstützt und länger im Betrieb gehalten werden, so Zürn. „Bei uns werden Arbeitsplätze geschaffen, weil wir Dinge tun können, die vorher nicht gingen“, trat er der Befürchtung des Jobabbaus in der Industrie 4.0 entgegen.
Prof. Dr. Jochen Deuse von der Technischen Universität Dortmund stand dieser Aussage skeptisch gegenüber. Wenn das Versprechen gehalten werde, durch Industrie 4.0 die Produktivität um 30 Prozent zu steigern, dann bedeute das automatisch weniger Arbeitsplätze. Es würden zwar auch neue Arbeitsplätze entstehen, aber nicht für diejenigen, die durch den Einsatz der Roboter arbeitslos geworden sind. Das von Verfechtern der Industrie 4.0 entworfene Bild einer Humanisierung des Arbeitslebens durch den Einsatz von Robotern hält er für eine Renaissance der Sozialromantik. Hinsichtlich des Werkzeugszenarios – die Roboter unterstützen lediglich den Menschen bei seiner Arbeit – gab er sich skeptisch. Dies sei nur eine Erscheinung des Übergangs. Deuse hält das Automatisierungsszenario – die Maschine ersetzt den Menschen – für wahrscheinlicher. Immerhin, so seine bewusst zynische Zuspitzung, gäbe es bei der Zuliefertätigkeit für die maschinelle Arbeit der Roboter dann wieder eine Chance für Einfacharbeiter, an denen es bisher in Deutschland mangele.
Auch im BASE-camp war kürzlich ein deutscher Spitzenpolitiker beim UdL Digital Talk zum Thema Industrie 4.0 zu Gast: Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) diskutierte mit der Bundesvorsitzenden des Wirtschaftsverbandes Die Jungen Unternehmer (BJU), Lencke Steiner unter der Moderation von Cherno Jobatey. Die beiden Gäste auf dem Podium des BASE-camps waren sich einig darin, dass Industrie 4.0 hauptsächlich Chancen für Deutschland berge, die es jetzt zu nutzen gilt.
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Berliner Informationsdienst auf UdL Digital. Nadine Brockmann ist als Analystin des wöchentlichen Monitoringdienstes für das Themenfeld Netzpolitik verantwortlich.