History retweetet – Zeitreise zum Kriegsende
Die Befreiung von Ausschwitz, der Untergang der Wilhelm Gustloff, die Bombardierung von Dresden – alltägliche Twitterkost ist es gerade nicht, was fünf studierte und studierende Historiker auf dem Profil @digitalpast seit dem 27. Januar twittern. Unter dem Titel „Heute vor 70 Jahren“ berichten sie noch bis zum Tag der Befreiung am 8. Mai in Echtzeit mit History Tweets über historisch relevante Ereignisse und persönliche Erlebnisse von ausgewählten Personen in den letzten Monaten vor dem Kriegsende.
History-Tweets in Echtzeit
Viele Tweets vom Alltag der Menschen stammen aus Tagebuchaufzeichnungen, Briefen und Kalendereinträgen. So erfahren die Follower die Gedanken der zu jener Zeit regimetreuen Schriftstellerin und Journalistin Margret Boveri und der NS-kritischen Feministin Elisabeth de Boor. Sie lesen die Schilderungen des norwegischen KZ-Häftlings Odd Nansen aus Sachsenhausen, begleiten den Rotarmisten Wladimir Gelfand auf seinem Marsch Richtung Berlin und werfen dank der Aufzeichnungen von Harald Schäfer einen Blick hinter die Mauern der Napola Oranienstein. Zu allen zitierten Personen und allen erwähnten Ereignissen des Public-History-Projekts „Heute vor 70 Jahren“ gibt es in einem begleitenden Blog Hintergrundinformationen und Hinweise zu den verwendeten Quellen.
Es ist nicht das erste Geschichtsprojekt mit History Tweets, das Christian Gieseke, Moritz Hoffmann, Charlotte Jahnz, Petra Tabarelli und Michael Schmalenstroer zusammen recherchiert und umgesetzt haben. Das Historikerquintett steckte auch hinter dem inzwischen umbenannten Twitterprofil @9nov38, unter dem sie im November 2013 die Ereignisse der nationalsozialistische Judenverfolgung in Form eines sogenannten „Reentweetments“ für die Öffentlichkeit nacherzählten und erste Erfahrungen mit dieser modernen Art der Geschichtsvermittlung sammelten.
Crossmediale Chronik der Ereignisse
Nicht alles, was zu den getwitterten Ereignissen aus der Vergangenheit zu sagen ist, passt in 140 Zeichen. Deshalb haben die Initiatoren zusätzlich zu ihrem aktuellen historischen Echtzeitformat mit History Tweets auf Twitter das Begleitbuch Als der Krieg nach Hause kam herausgebracht. Darin finden sich Hintergrundinformationen aus Tagebucheinträgen und der Fachliteratur, die zusammen eine Chronik des Kriegsendes in Deutschland bilden.
Das Ziel einer zeitlich korrekten und umfassenden Chronik ist auch der Grund, warum sich die Organisatoren für Twitter als mediale Plattform entschieden haben. Durch die selektiven Algorithmen von Facebook lässt sich keine Chronologie entwickeln, deshalb kam das reichweitenstärkere Netzwerk nicht in Frage.