Große Mehrheit im EU-Parlament für digitalen Binnenmarkt und Netzneutralität

Veröffentlicht am 08.04.2014

Am Donnerstag, 3. April, fand in erster Lesung die Abstimmung im EU-Parlament zur Telekommunikationsverordnung statt. Mit 534 Ja-Stimmen bei 25 Gegenstimmen stimmten die Parlamentarier unter anderem für Netzneutralität sowie für die Abschaffung von Roaming-Gebühren. 58 Abgeordnete enthielten sich. Damit stimmten 87 Prozent des Parlaments für den Verordnungsentwurf zum europäischen Binnenmarkt für elektronische Kommunikation, dem nun in einem nächsten Schritt der Europäische Rat zustimmen muss. Der Ministerrat wird allerdings erst nach der EU-Parlamentswahl im Mai über den Entwurf abstimmen.

Abstimmungsverhalten im EU-Parlament

Die Fraktion der Grünen/EFA sowie die liberale ALDE stimmten geschlossen für den Entwurf, während in den anderen parlamentarischen Gruppen des EU-Parlaments vereinzelte Gegenstimmen zu verzeichnen waren. Die meisten EU-Abgeordneten, die dem Entwurf kritisch gegenüberstanden, sind Briten. Von ihnen stimmten 11 Parlamentarier gegen den Verordnungsentwurf, 20 enthielten sich und 14 Briten beteiligten sich gar nicht an der Abstimmung.

Von den deutschen Vertretern gab es nur eine Gegenstimme von Axel Voss (CDU) und insgesamt lediglich 5 Enthaltungen. Auffällig ist, dass nur die Hälfte der FDP-Mitglieder an der Abstimmung teilnahm, die anderen 6 stimmten dem Entwurf zu. Die Grünen und Linken stimmten bis auf jeweils einen Abgeordneten geschlossen mit Ja. Von der SPD gab es 20 Ja-Stimmen gegenüber 3 Parlamentariern, die sich nicht beteiligten.

Reaktionen zur Netzneutralität-Regulierung

Europaweit hatten sich Aktivisten für Netzneutralität organisiert und über mehrere Monate Kampagnen zur Mobilisierung der EU-Bürger durchgeführt. Die Reaktion der Bürgerrechtsorganisationen auf das Abstimmungsergebnis im Plenum war positiv überrascht, doch die Regelungen im Entwurf gehen den Aktivisten nicht weit genug.

Alexander Sander, Geschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft, bemängelte die bestehenden Lücken im Verordnungsentwurf. Um die Netzneutralität nachhaltig zu sichern, müsse verhindert werden, dass zahlungskräftige Dienste auf kostenpflichtige Spezialdienste ausweichen, „um sich gegenüber weniger finanzstarken Konkurrenten Wettbewerbsvorteile zu erkaufen.“ Dies könne passieren, „wenn in naher Zukunft die Bandbreiten knapper werden“ und dadurch der Datenverkehr im offenen Internet verlangsamt würde, erklärte Sander. Die europäische Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights zeigte sich erfreut über das Votum des Parlaments und führte den Erfolg auch auf ihre Kampagne zurück, in deren Rahmen die Aktivisten 5 Jahre lang für ein offenes Internet geworben hatten. Nun appellieren sie an die Mitgliedsstaaten im Rat, den Entwurf zu unterstützen.

In einer gemeinsamen Pressemitteilung äußerten sich die beiden Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Thomas Jarzombek und Andreas Nick zufrieden über das Abstimmungsergebnis. Die Regelungen entsprächen grundsätzlich der Vereinbarung im Koalitionsvertrag, erklärten sie. Entgegen der Haltung der Netzaktivisten begrüßten die Konservativen die im Entwurf festgelegte Möglichkeit, Spezialdienste anzubieten.

Mehrheitlich Kritik der Wirtschaftsverbände

Auch der BITKOM verwies darauf, dass zukünftig „gesicherte Qualitätsklassen“ möglich sein müssten, um „die Güte neuer Internet-Dienste“ zu gewährleisten. Inhalteanbieter und Endkunden müssten zu vernünftigen Preisen garantierte Qualitäten einkaufen können, die über die bislang üblichen, meist nicht garantierten Maximalbandbreiten hinausgingen, forderte Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Gepaart mit dem „Best Effort“-Prinzip könnte nach Ansicht des BITKOM eine neue Bandbreite an Produkten und Geschäftsmodellen entstehen.

Der ANGA zweifelt hingegen die Praxistauglichkeit des gefundenen Kompromisses an, da zahlreiche Restriktionen eingefügt worden seien, die das Angebot qualitätsgesicherter Spezialdienste in der Praxis erheblich erschweren. So sei zum einen unklar, ob TK-Netzbetreiber überhaupt Vereinbarungen mit Inhalteanbietern abschließen dürfen. Zum anderen sollen Spezialdienste künftig nur über logisch getrennte Kapazität in den Netzen erbracht werden. Das erfordert wiederum ein Vorhalten von Kapazität, die sonstigen Anwendungen nicht zur Verfügung steht.

Die restriktive Haltung des Parlaments wurde dagegen vom Bundesverband IT-Mittelstand e.V. (BITMi) begrüßt. Eine Drosselung oder gar Blockade von Datenverkehr hätte vor allem den Mittelstand schwer getroffen, so Oliver Grün, Präsident des BITMi. Beim IT-Mittelstand besteht vor allem die Sorge, dass man sich im Wettbewerb mit großen Konzernen einen schnellen Datenverkehr nicht mehr leisten könne und so die Chancengleichheit nicht mehr gewährleistet sei.

Roaming und Ferngespräche

Die Verordnung regelt noch weitere Aspekte des digitalen Binnenmarktes in der EU, doch die Bestimmungen zur Netzneutralität waren stets besonders heftig umstritten. Neben verschiedenen Aspekten des Verbraucherschutzes wie Vorgaben zur Nichtdiskriminierung, weitere Informationspflichten sowie einer strengeren Regelung zur Überwachung von elektronischer Kommunikation, wird auch die Lizenzvergabe für Funkfrequenzen neu geregelt. Für die Vergabe bei drahtlosen Breitbandnetzen sollen zwar weiterhin die Mitgliedsstaaten verantwortlich sein, doch will die EU-Kommission die Vergabe unter anderem hinsichtlich des Zeitrahmens vereinheitlichen.

Der VATM begrüßt mit Blick auf den Entwurf, dass der Zugang zu Vorleistungsprodukten, die für den Breitbandausbau unverzichtbar sind, nicht erschwert oder verhindert werde. Laut VATM sei der Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung (TAL) noch auf lange Zeit unabdingbare Voraussetzung für weitere Investitionen. Erfreut zeigte sich der VATM auch darüber, dass EU-weite Ferngespräche nicht auf das Preisniveau nationaler Ferngespräche angeglichen werden. Hier gäbe es bereits ausreichend „wettbewerbliche Korrektive“, so dass eine Endkundenpreisfestsetzung hierzu keine Alternative gewesen wäre. Kritisch sieht der Verband allerdings die Roaming-Verbote, da die Nutzung fremder Mobilfunknetze im Ausland nun einmal beitragspflichtig sei und es für die Kunden durchaus nachvollziehbar wäre, dass diese Kosten an die Nutzer weitergegeben werden.
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Stimmen zu dem Thema:

Joe McNamee, Geschäftsführer von European Digital Rights (EDRi)

The European Parliament today established the EU as the major global force to protect the freedom of the open internet. The value of the Internet is its openness – the European Commission’s efforts to experiment with the freedom of the internet in order to help a small number of companies is dangerous and short-sighted.

(EDRi, 03.04.2014)

Thomas Jarzombek, Sprecher für Digitale Agenda und Andreas Nick, zuständiger Berichterstatter (CDU/CSU-Bundestagsfraktion)

Wir begrüßen es auch, dass zukünftig in engen Grenzen Spezialdienste angeboten werden können, die nicht zulasten der Qualität und der Verfügbarkeit des Internetzugangs gehen dürfen. (…) Wir werden aber unsere Aufgabe ernst nehmen und den Beschluss auf Herz und Nieren prüfen, ob damit das Ziel auch erreicht wird, das offene und freie Internet, die Sicherung von Teilhabe, Meinungsvielfalt, Innovation und fairem Wettbewerb zu gewährleisten.
(CDU/CSU, 03.04.2014)

Alexander Sander, Geschäftsführer des Digitale Gesellschaft e.V.

Die heute beschlossenen Änderungen waren dringend erforderlich, um die Zukunft des freien und offenen Internet zu sichern, sie sind dafür aber keineswegs hinreichend. Der Verordnungstext enthält weiterhin Lücken, die den Telekommunikationsunternehmen die Auslagerung von beliebten Online-Inhalten auf kostenpflichtige Spezialdienste erlauben. (…) Die Gefahren für Verbraucherschutz, Grundrechte und Innovation, welche durch Beeinträchtigungen der Netzneutralität verursacht werden, haben die Parlamentarier heute daher leider keineswegs effektiv gebannt. Wir werden uns daher nun dafür einsetzen, dass der Ministerrat die bisherigen Errungenschaften für die Netzneutralität aufrecht erhält und die verbleibenden Versäumnisse beseitigt.

(DigiGes, 03.04.2014)

Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des BITKOM

Eine Abschaffung der Roaming-Gebühren würde das komplette Preisgefüge in der Mobilkommunikation ins Rutschen bringen und die Verbraucher an anderer Stelle zusätzlich belasten. Die Preise für Inlandstelefonate und mobile Internetnutzung würden zwangsläufig steigen. Profitieren werden vor allem Geschäftsleute, die häufig im Ausland unterwegs sind. Leidtragende werden die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen sein, die wenig reisen und derzeit von den niedrigen Gebühren für Inlandsgespräche am stärksten profitieren.

(BITKOM, 03.04.2014)

Andrea Huber, Geschäftsführerin des ANGA

Notwendig ist eine praxistaugliche Ausgestaltung der Regeln, um Netzneutralität zu garantieren und gleichzeitig die Entwicklung qualitätsgesicherter Dienste zu ermöglichen. Nur so können die nachhaltige Wertschöpfung in den Netzen gesichert und innovative Dienste gefördert werden.

(ANGA, 03.04.2013)

Jürgen Grützner, Geschäftsführer des VATM

Ein Verbot, für eine unstrittig erbrachte Leistung ein Entgelt vom Kunden zu verlangen, ist eine schlechte Verbraucherschutzpolitik. Nun müssen andere dafür zahlen. Für den Breitbandausbau ist es enorm wichtig, dass die Kunden wissen, wofür sie bezahlen und die Nutzung eines Netzes auch einen Wert hat.

(VATM, 03.04.2014)

Oliver Grün, Präsident des BITMi

Wir freuen uns über die Entscheidung des Parlaments. Diese ist wichtig, um dem europäischen IT-Mittelstand nicht das Fundament zu entziehen, auf dem Innovationen entstehen können. Und diese sind dringend notwendig, um ein digitales Gegengewicht zum Silicon Valley in Europa zu schaffen.

(BITMi, 04.04.2014)

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Berliner Informationsdienst auf UdL Digital und ist Teil der aktuellen Ausgabe zur Netzpolitik. Aylin Ünal ist als Redakteurin des wöchentlich erscheinenden Monitoring-Services für das Themenfeld Netzpolitik verantwortlich.

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