Google, facebook & Co. sammeln unsere Daten. Warum nicht auch wir?

Veröffentlicht am 24.10.2012

Self-tracking als ein Weg, die Kontrolle ein Stück weit zurückzuerobern – über Vitalwerte, körperliche Aktivitäten und Gewohnheiten. Ein Blick auf die Quantified-Self-Bewegung von Gastautorin Judith Zinke aus dem BMPS-Newsroom.

Globales Phänomen

Eine neue Bewegung hält Menschen rund um den Globus auf Trab. Überall beginnen Anhänger ihre Vitalwerte, Bewegungen und Gewohnheiten zu messen und aufzuzeichnen, um sie dann gemeinsam mit anderen online auszuwerten – und die nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Unterstützt werden sie dabei vor allem von ihren Smartphones, die damit eine weitere zentrale Funktion in ihrem Alltagsleben übernehmen. Ergänzt wird die Ausrüstung der Selbstquantifizierer durch Messgeräte wie das Nike+ FuelBand. Nicht besonders überraschend: Die Bewegung wurde 2007 in den USA offiziell ins Leben gerufen. Als Reaktion auf die weltweit zerstreuten Self-tracking-Aktivitäten starteten Garry Wolf und Kevin Kelly die Online-Plattform www.quantifiedself.com, die mittlerweile Ableger auf allen Kontinenten hat.

Das Smartphone als Messinstrument

Die sogenannten Self-Tracker nutzen ihre Smartphones als Messgeräte, zahlreiche Apps wie sleepcycle, lose it! oder moodscope helfen ihnen dabei, den eigenen Schlaf zu überwachen, Kalorien und die gelaufenen Kilometer zu zählen, Gewicht zu verlieren oder den Alkohol- und Koffeinkonsum zu überwachen. Auf Webseiten wie www.curetogether.com, www.drinkingdiary.com oder der zentralen Plattform der Bewegung können sich die Anhänger dann online austauschen, Tipps geben, gegenseitig motivieren und sich Anerkennung und Lob für bereits Erreichtes abholen. Die Veröffentlichung der Daten und das gemeinsame Auswerten wirken hier als treibende Kraft – oder auch: als Kontroll- und als Druckmittel.

Kultur des Teilens und Austauschens

Die Quantified-Self-Bewegung geht einher mit der grundsätzlichen Entwicklung der Kultur des Teilens, des Sharing, die die digitale Revolution mit sich gebracht hat. Wir sind es gewohnt, in Online-Communities jedweder Art mitzuteilen, wo und mit wem oder was wir uns gerade beschäftigen, was wir essen, hören, sehen. Der Schritt hin zur kollektiven Selbstvermessung und Besprechung des eigenen Biorhythmus, der sportlichen Fort- wie Rückschritte, des gestiegenen oder gesunkenen Alkohol- oder Koffeinkonsums scheint daher gar nicht so abwegig.

Selbstvermessung: Kontrolle vs. Entmündigung

Dass diese Bewegung auch Gegner hat, wundert jedoch nicht. Autorin Juli Zeh etwa warnte vor Kurzem vor der Entwicklung der Quantified Self-Bewegung zu einem gesamtgesellschaftlichen Konzept und warf den Selbstvermessern Körperwahn und Entmündigung vor.

Der Hinweis auf Abhängigkeit und Sucht kommt nicht von ungefähr – es gibt bereits „Aussteiger“ aus der Bewegung, deren Selbstwahrnehmung und -bewusstsein unter der Selbstvermessung gelitten haben. Originäres Ziel ist es laut Mitbegründer Garry Wolf jedoch vielmehr, sich mithilfe der Daten selbst zu entdecken, als sich über ihre Kontrolle zu optimieren. Das Verfügen über und die Konsultation der eigenen Daten soll das Körperbewusstsein schärfen, ein Gefühl der Selbstkontrolle und der Selbstverwirklichung geben und letztendlich zur positiven Verhaltensänderung führen.

Ein Gefühl der Selbstkontrolle? Die interessante Frage scheint mir zu sein, was danach kommt. Wohin mit den Daten, wohin mit meinem (gefühlten) Überblick? Wohin mit alldem, wenn ich dann für den leckeren Schokokuchen letztens bei Oma meine 5 Tage Buße auf dem Laufband getan habe, dies von meinen App-Freunden honoriert wurde und mein datengeneriertes Selbst- und Fremdbild wieder meiner Vorstellung entsprechen?

Der nächste Kick kommt vermutlich erst mit dem nächsten Fehltritt und der unmittelbar daraus folgenden Kompensationsmöglichkeit – und deren erfolgreicher Umsetzung, natürlich. Ich könnte die Daten meiner Krankenkasse übermitteln. Als Beweis meines Einsatzes für ein gesünderes Leben. Und die Rückschläge.

Emanzipiert oder entmündigt? Egal für welche der beiden Wahrnehmungsoptionen man sich entscheidet (denn darum geht es ja letztlich) – die Quantified Self-Bewegung ist eine Weiterentwicklung unseres digitalen Lebensstils. Ich warte erst einmal auf das FuelBand – und wenn mich das dreimal die Woche auf die Laufstrecke bringt, dann sei es so.

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