Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung 2.0
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat dem Kabinett am Mittwoch, 27.05.2015, den offiziellen Gesetzentwurf zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung vorgelegt. Das „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“ fand die Zustimmung der Ministerrunde. Wie der vor zwei Wochen veröffentlichte Referentenentwurf stößt der nun vorgelegte Gesetzentwurf weiterhin bei Teilen der SPD, bei der Opposition, bei IT-Wirtschaftsverbänden und Datenschützern auf Kritik. Der Kabinettsentwurf enthält allerdings ein paar inhaltliche Klarstellungen, mit denen das Bundesjustizministerium auf Bedenken reagiert, die in den vergangenen Wochen geäußert worden waren.
Änderungen im Vergleich zum Referentenentwurf
So war mit dem Referentenentwurf der Eindruck entstanden, die im Gesetz festgelegten, umfangreichen Speicherfristen könnten auch für Anbieter von öffentlichem WLAN, also Cafés, Restaurants und Hotels gelten, und damit deren Existenz weiter erschweren. Jetzt heißt es in der Gesetzesbegründung zu den Änderungen im Telekommunikationsgesetz ausdrücklich, dass die Regelung nur für „Erbringer“ von Telekommunikationsdiensten gilt: „Erbringer zeichnen sich dadurch aus, dass den Kunden regelmäßig ein eigener, in der Regel auf unbestimmte Dauer angelegter, Telekommunikationsanschluss zur selbständigen Verwendung überlassen wird. Nicht verpflichtet sind demnach Anbieter, die ihren Kunden nur eine kurzzeitige Nutzung des Telekommunikationsanschlusses ermöglichen, zum Beispiel Betreiber von Hotels, Restaurants und Cafés, die ihren Kunden eine Telefon- oder Internetnutzung zur Verfügung stellen.“ Durch diese Klarstellung dürften auch Freifunk-Organisationen beruhigt sein, die sich bereits Sorgen um ihre Idee von einem dezentralen gemeinnützigen Netz gemacht hatten. Eine weitere neu formulierte Passage im Telekommunikationsgesetz stellt klar, dass „die Zuordnung von dynamischen IP-Adressen im Rahmen einer Bestandsdatenauskunft für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten“ unzulässig ist.
Eine Klarstellung gibt es ebenfalls in dem neu eingeführten Straftatbestand der Datenhehlerei. Dort war der Eindruck entstanden, dass lediglich fest angestellte Journalisten nicht unter eine dort beschriebene Ausnahmeregelung fallen. Jetzt heißt es in der Begründung des Gesetzes, „dass insbesondere journalistische Tätigkeiten unter den Tatbestandsausschluss fallen. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob diese Tätigkeiten von dritter Seite auferlegt wurden, sodass auch die freie Entscheidung des Journalisten im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit erfasst wird.“ Keine Konkretisierungen oder gar Verbesserungen enthält der vorgelegte Gesetzentwurf aber beim Schutz von Berufsgeheimnisträgern in puncto Vorratsdatenspeicherung. Der europäische Gerichtshof hatte in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2014 gefordert, Berufsgeheimnisträger von der anlasslosen Speicherung der Kommunikationsdaten auszunehmen. Dies gewährleisten die Vorgaben des Gesetzentwurfs aus dem BMJV nicht. Lediglich die Daten der Telefonseelsorge sollen von den Telekommunikationsunternehmen nicht gespeichert werden. Die Daten von Berufsgeheimnisträgern wie Ärzten, Anwälten und Journalisten hingegen sollen gespeichert, dann aber in den Ermittlungsverfahren nicht verwendet werden. Journalistenverbände sehen durch die Speicherung und den Abruf der Daten den Schutz von Informanten und die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses gefährdet.
Zweifel an Verhältnismäßigkeit
An den grundsätzlichen Regelungen hat sich im Vergleich zwischen dem Referentenentwurf und dem jetzt vorgelegten Kabinettsentwurf nichts geändert. Bundesjustizminister Heiko Maas hob bei der Pressekonferenz die kurzen Speicherfristen, die hohen Sicherheitsanforderungen bei den Telekommunikationsunternehmen und deren Löschverpflichtung sowie die hohen rechtlichen Hürden für eine Erhebung der Daten hervor. Kritiker beklagen nach wie vor die mangelnde Einbeziehung betroffener Interessengruppen und die Eile im Gesetzgebungsprozess. Bezweifelt wird grundsätzlich, ob die anlasslose Datenspeicherung verhältnismäßig und mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist.
Konkret gibt es u.a. Zweifel, ob die rechtlichen Hürden so hoch sind, wie der Bundesjustizminister behauptet. Zum einen ist der Richtervorbehalt in der Praxis offenbar kein scharfes Schwert. Eine empirische Untersuchung der Rechtswissenschaftler Otto Backes und Christoph Gusy zum Richtervorbehalt bei der Telefonüberwachung hatte beispielsweise im Jahr 2003 ergeben, dass die Richter in 92,3 Prozent der 173 untersuchten Strafverfahren dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgten. Eine eingehende, eigene Prüfung des Sachverhalts erfolge nach Ansicht von Gusy auch zehn Jahre später nicht in ausreichendem Maße, wie er in einem Interview mit „ZDF Zoom“ für die Dokumentation „Verschwörung gegen die Freiheit“ im vergangenen Jahr sagte. Zum anderen hatte „netzpolitik.org“ vor einem Monat eine „nicht öffentliche Nebenabrede“ zwischen dem Bundesjustizministerium und dem Bundesinnenministerium geleakt, wonach „eine Auskunft über die Bestandsdaten auch anhand der nach § […] TKG-E gespeicherten Daten verlangt werden kann.“
Reaktionen aus der Politik
Bundesjustizminister Heiko Maas, der selbst lange gegen die Vorratsdatenspeicherung war, erklärt öffentlich, dass man zufrieden sein könne, „diesen vernünftigen Kompromiss“ gefunden zu haben. Zufrieden sind allerdings in erster Linie Politiker der CDU, die wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière und der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Thomas Strobl, den Gesetzentwurf ausdrücklich loben. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich bislang noch nicht offiziell zu dem Gesetzentwurf geäußert. Der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, verteidigt die Vorlage des Bundesjustizministers mit Verweis auf den Koalitionsvertrag und den Parteitagsbeschluss aus dem Jahr 2011, die sich allerdings beide auf die vom EuGH inzwischen als unzulässig erklärte EU-Richtlinie beziehen. Der netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Klingbeil, verweist auf die zahlreichen Gegner der Vorratsdatenspeicherung in der SPD. 115 Gliederungen haben nach Angaben des Think Tanks D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt bisher Anträge für den Parteikonvent am 20. Juni 2015 gestellt, in denen die Einführung dieses Ermittlungsinstruments abgelehnt wird. Die Antragskommission des Parteikonvents hat am Wochenende beschlossen, dass die Anträge nicht ohne Debatte an die SPD-Bundestagsfraktion überwiesen werden, wie es die Parteispitze präferiert hatte, sondern dass sie den Delegierten zur Abstimmung vorgelegt werden. SPD-Parteivize Ralf Stegner hat unterdessen den Kompromissvorschlag einer zeitlichen Befristung der gesetzlichen Regelung aufgegriffen, der kürzlich bei einem fraktionsoffenen Abend der SPD-Bundestagsfraktion schon einmal thematisiert worden war.
Die Opposition lehnt den Gesetzentwurf entschlossen ab, wählt allerdings bislang unterschiedliche Ansätze, ihre Interessen zu vertreten. Konstantin von Notz und Renate Künast von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen kündigten an, gegen die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und auf europäischer Ebene gerichtlich vorgehen zu wollen. Die Bundestagsfraktion Die Linke hat einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, in dem sie den Verzicht auf die Vorratsdatenspeicherung fordert. Auch die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit sieht den Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums kritisch. Der Europäische Gerichtshof habe gefordert, dass von einer Vorratsdatenspeicherung nur Personen betroffen sein dürfen, die „beispielsweise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnten“. Diese Vorgabe werde in dem vorgelegten Gesetzesentwurf, der nach wie vor eine anlasslose Gesamterfassung der Telekommunikation vorsieht, nicht berücksichtigt.
Erhebliche Einwände gegen das Gesetz hat außerdem der Normenkontrollrat. In seiner aktuellen Stellungnahme in der Bundesrats-Drucksache des Gesetzes moniert er u.a., dass die Darstellung des Erfüllungsaufwands bei der Wirtschaft völlig und für die Verwaltung in wesentlichen Teilen fehle. Der Mangel sei umso gravierender, da der Normenkontrollrat durch eigene Recherchen Anhaltspunkte für Kosten der Telekommunikationswirtschaft von bis zu rd. 600 Millionen Euro gefunden habe. Der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco hatte diesen Betrag ermittelt. Der Normenkontrollrat rügt außerdem, dass die Bundesregierung auf eine Evaluierung des Gesetzes verzichten will. Die Evaluierung sei nicht etwa deshalb entbehrlich, weil das Regelungsvorhaben im Zusammenhang mit der Rechtsprechung des BVerfG und des EuGH steht. Da diese Rechtsprechung die Verwirklichung effektiven Grundrechtsschutzes verlange, sei es im Gegenteil unverzichtbar, die Erreichung des Schutzziels binnen angemessener Frist zu überprüfen, heißt es in der Stellungnahme. Der Normenkontrollrat kommt zu dem Schluss: „In der vorliegenden Fassung entspricht der Entwurf nicht den Anforderungen der GGO einer Gesetzesvorlage an die Bundesregierung.“
Reaktionen aus den Verbänden
Die Interessenverbände der Internet-und IT-Wirtschaft eco und BITMi bleiben bei ihrer Kritik, dass der Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung eine große finanzielle Belastung darstelle und die Vorgaben organisatorisch wie technisch nur schwer umsetzbar sind. „Wir appellieren an die Parlamentarier, denen dieser Gesetzesentwurf nun zur Entscheidung vorgelegt wird, in den nun anstehenden Beratungen Verantwortung zu zeigen und sich gründlich mit den wesentlichen Umsetzungshürden auseinanderzusetzen“, sagt Oliver Süme, Vorstand Politik und Recht des eco. Im Bundesrat wird es am Mittwoch, 03.06.2015, eine Sondersitzung des Rechtsauschusses geben, deren einziger Tagesordnungspunkt die Beratung des Gesetzentwurfes zur Vorratsdatenspeicherung ist. Die Regierungsfraktionen werden den Entwurf in der nächsten Sitzungswoche in ihren Fraktionssitzungen am 9. Juni erstmals beraten. Die erste Lesung im Deutschen Bundestag ist bereits drei Tage später am Freitag, 12.06.2015, vorgesehen.
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Nadine Brockmann ist als Analystin für das Themenfeld Netzpolitik verantwortlich.
Im Mai 2014 berichteten wir auf UdL Digital bereits über eine deutliche Absage an die Vorratsdatenspeicherung seitens eco – Verband der Internetwirtschaft.