future.work: Künstliche Intelligenz krempelt die Büroarbeit um (Interview)
Roboter, Software und künstliche Intelligenzen entlasten Menschen vor allem von monotonen Aufgaben, die leicht zu automatisieren sind. Davon ging man bisher aus. Doch die Entwicklung erreicht längst auch andere Bereiche des Arbeitsmarktes, erklärt uns Devin Fidler in einem Interview. Der US-Amerikaner ist Forschungsdirektor beim Think Tank Institute for the Future in Palo Alto. Und neben seinen Untersuchungen über die Zukunft der Arbeit baut er auch selbst ein Unternehmen auf, das sich schon bald ganz allein managen soll. Ist das noch Arbeit 4.0?
Herr Fidler, wenn über den Einfluss von Techniken wie künstliche Intelligenz auf den Arbeitsmarkt diskutiert wird, geht es meistens um Tätigkeiten, die nach festen Regeln und Routinen ablaufen. Sie seien am leichtesten automatisierbar. Stimmt das?
Devin Fidler: Das stimmt schon. Aber ich würde auch sagen, dass längst schon sehr komplexe Tätigkeiten in Unternehmen automatisiert werden – und dass es sogar höchste Management-Ebenen betrifft. Es gibt viele Beispiele, die das bereits zeigen.
Ja? Welche zum Beispiel?
Fidler: Es gibt zum Beispiel ganze Finanzprodukte, die bereits komplett automatisch von Algorithmen gemanagt werden. Die Firma Deep Knowledge Ventures hat ein intelligentes Programm bereits formell zum Vorstandsmitglied ernannt und auch Ray Dalio, der berühmte Gründer des Hedgefonds Bridgewater, hat erklärt, sich selbst und seine eigene Abteilung durch Algorithmen ersetzen zu wollen.
Rethinkery Lab: Ein Unternehmen nur aus Software
Amazon wiederum arbeitet an einem automatisierten Managementsystem für seine enorm komplexe logistische Supply Chain: Es verknüpft die umfassende Analyse von Kundendaten mit den automatisierten Lagerhäusern vor Ort und diese wiederum mit den großen Herstellungszentren in China, zum Beispiel in Shenzhen – so entsteht ein System, dass die Waren automatisch in der richtigen Menge von der Produktionsstätte dorthin bringt, wo sie gebraucht werden.
Und wenn man sich anschaut, wie zum Beispiel die Algorithmen bei Uber automatisch entscheiden, welcher Fahrer welchen Kunden abholt: Auch für so etwas gab es mal Manager, die sogenannten Dispatcher. Bisher noch werden überall eher Teilbereiche automatisiert, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich dieses zu einem großen Ganzen zusammenfügt.
Wie soll dieses große Ganze denn aussehen?
Fidler: Ich glaube, es wird Firmen geben, die sich über Software komplett selbst steuern und regeln und Profite ganz ohne das Eingreifen von Menschen erzeugen. Und ich glaube, wir sind auch gar nicht mehr weit davon entfernt.
Wie bitte? Unternehmen auf Autopilot?
Fidler: So ungefähr. Schauen sie sich zum Beispiel einmal sogenannte Ransom-Software an. Das sind Programme, die Kriminelle nutzen, um Computer zu kapern und zu sperren. Erst wenn die Betroffenen eine bestimme Summe zahlen, werden ihre Rechner wieder freigegeben. Sagen wir nun einmal, dass drei Leute einen solchen kriminellen Software-Ring betreiben: Wenn sie aus irgendeinem Grund ausfallen, weil sie festgenommen werden oder in einem Unfall verwickelt sind, dann läuft ihr illegales Unternehmen schon heute einfach weiter.
future.work: Events im Telefónica BASECAMP
Dieses Interview von Lars Gaede ist ein Teil unseres neuen Themenschwerpunkts future.work, der sich mit der Arbeit 4.0 befasst – und zu dem auch unsere Veranstaltung mit dem WIRED-Magazin am 25. Oktober gehörte. Weitere Events sind schon geplant und mehr Informationen gibt es hier.
Es befällt automatisch Rechner, verschlüsselt sie, überprüft Geldeingänge und gibt Rechner wieder frei. Es ist ein selbsterhaltender Software-Prozess, der kontinuierlich Umsatz erzeugt. Und wir sind nicht mehr weit von Firmen entfernt, die ganz ähnlich funktionieren können, nur dass sie eben kein kriminelles Business-Modell verfolgen. Wir sind selbst schon mit unserem ausgegründeten Unternehmen Rethinkery Lab dabei, die einzelnen Elemente einer solchen Software-gesteuerten Firma zu bauen und einzusetzen.
Was genau machen Sie da?
Fidler: Gemeinsam mit einigen großen Tech-Firmen, Organisationen und Beratungsunternehmen versuchen wir in verschiedenen Projekten herauszufinden, wie man Wissensarbeit mit Hilfe von Software komplett neu denken und organisieren kann. Die Grundfrage ist: Können wir eine Maschine bauen, die besser und schneller darin ist, kollektives Wissen zu generieren und zu organisieren, als es die bisherigen Abläufe in der Wissensarbeit schaffen?
Geht es dabei um Wissensgenerierung durch Maschinen? Oder eher darum, menschliche Intelligenz anders zu organisieren und einzusetzen?
Fidler: Beides. Wir gauben, dass gerade die Mischung aus menschlichen und maschinellen Fähigkeiten zu den besten Ergebnissen führt. Ein Beispiel dafür ist der Schachgroßmeister Garry Kasparov, der nach seiner Niederlage gegen den Computer Deep Blue begann, menschliche Spieler mit hochentwickelten Machine-Learning-Systemen zusammenzubringen.
Das Ergebnis ist erstaunlich: Es gibt zwar Computersysteme, die jeden menschlichen Spieler schlagen können. Aber die Kombination eines Menschen mit einem Computersystem schlägt wiederum jeden anderen Computer, der allein spielt.
Wie sieht denn so ein neuer Workflow für die Wissensarbeit aus?
Fidler: Angenommen, es geht darum, einen Report über die Zukunft der Arbeit zu erstellen. Dann würde unsere Software automatisch das Taskrouting übernehmen. Das bedeutet, dass man Aufgaben immer an die bestmögliche Person verteilt, die gerade dafür bereitsteht.
Taskrouting: Jobsuche und Pitches abgeschafft
Die Maschine versucht also in unserem Pool an Experten oder auf Freelancer-Plattformen wie Upwork genau den richtigen Researcher zu finden und anzufragen, der zu genau diesem Zeitpunkt im Arbeitsprozess genau die richtigen Skills hat und diese bestmöglich einsetzen kann.
Dieses Taskrouting betreibt man mit möglichst vielen Akteuren im Workflow. Der eine ist vielleicht extrem gut darin, Statistiken auszuwerten, die nächste kennt sich mit den wichtigsten Studien über das Thema aus – oder kann sie zumindest auswählen – und der dritte kann wiederum die besten Präsentationen aus solchen Informationen bauen.
Die Maschine ist also der Projekt-Manager, der ein Heer von Freelancern steuert?
Fidler: Nicht nur! Für einige Aufgaben zum Beispiel „Finde die wichtigsten Artikel aus akademischen Journalen dazu und liefere eine Zusammenfassung“ oder „Identifiziere die wichtigsten Experten zum Thema Co-Working“ würde das Programm keine Freelancer einsetzen, sondern wiederum Software-Module die Machine Learning nutzen.
Die Software orchestriert also die Teamarbeit zwischen smarten Maschinen und menschlichen Mitarbeitern mit dem Ziel das qualitativ bestmögliche Ergebnis zu erzielen. An diesem Prozess arbeiten wir und um den geht es uns auch vorrangig.
Das eigentliche Thema – oder ob das Endprodukt ein Bericht, eine Präsentation, ein Programm oder sonst etwas sein soll – ist eigentlich egal. Wir wollen den bestmöglichen Workflow für Wissen auf Knopfdruck finden. Und grundsätzlich könnte man so auch andere Business-Ideen umsetzen.
Klingt ja ganz schön. Aber wollen sich Menschen wirklich Befehle von Maschinen geben lassen?
Fidler: Sie werden ja nicht befehligt. Sie bekommen einfach einen Job angeboten, den sie annehmen oder ablehnen können. Für viele Freelancer ist doch gerade das ständige Pitchen und Jobsuchen frustrierend. Ich glaube, es ist viel angenehmer, wenn der Job mich findet, als wenn ich ihn suchen muss.
Was würde das für den Arbeitsmarkt bedeuten? Dann fielen ja viele Management-Positionen weg.
Fidler: Das ist richtig. Aber ich glaube, dass sich die Menge der Geschäftstransaktionen und das gesamte Bruttoinlandsprodukt vervielfachen würden, wenn Unternehmen so funktionierten. Und wenn Menschen statt 90 Prozent nur noch 60 Prozent der Arbeit übernehmen, aber das Bruttoinlandsprodukt sich verdreifacht, dann hebt sich dieser Negativeffekt auf. Und zusätzlich wäre das Taskrouting – also das gezielte Matching von Aufträgen und Auftraggnehmern – sicher für viele Menschen eine Befreiung.
Wirklich? Ich bin mir da nicht so sicher.
Fidler: Schauen sie, die meisten Menschen sind heute mit ihren Jobs unzufrieden. Das zeigen viele Umfragen. Ein Grund ist, dass sie oft nur zu einem Drittel an Aufgaben arbeiten, für die sie wirklich brennen und gut sind. Und zu zwei Dritteln beschäftigen sie sich mit irgendwelchen anderen Pflichten, denn sie müssen nun einmal die Arbeitszeit erfüllen, für die sie bezahlt werden. Wäre es da nicht viel besser, wenn man stattdessen immer nur solche Jobs vermittelt bekäme, die exakt den eigenen Fähigkeiten entsprechen?
Aber unsere Vergütungssysteme, sozialen Sicherungen und die ganze Gesellschaft sind auf klassische Jobs ausgerichtet. Sie passen doch gar nicht zu dieser fluiden Arbeitswelt aus Freelancern!
Fidler: Das ist richtig. Aber ich glaube auch, dass es sich lohnen würde, diese Modelle so umzubauen, dass freies Arbeiten nicht automatisch mit größeren Risiken und Unsicherheiten verbunden ist.