future.work: Künstliche Intelligenz demokratisiert das Expertenwissen

Foto: Henrik Andree
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Veröffentlicht am 28.10.2016

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Das Thema wird momentan überall heiß diskutiert: Der Spiegel erklärte es zum Aufmacher, die Technik-Presse schreibt immer wieder darüber und die ARD startet am Sonntag sogar eine Themenwoche, bei der ihre Sender deutschlandweit in Radio und Fernsehen darüber berichten. Selbst der US-Präsident Barack Obama schaltete sich schon in die Debatte ein. Deshalb war die Diskussion am Dienstag im Telefónica BASECAMP besonders interessant.

Bei unserer Veranstaltung future.work: Wie die künstliche Intelligenz unsere Arbeitswelt revolutioniert, die wir gemeinsam mit der deutschen Ausgabe von WIRED organisiert hatten, ging es vor allem um die Frage, ob menschliche Arbeit durch den Einsatz von Robotern und künstlicher Intelligenz (KI) überflüssig wird – oder ob vielleicht sogar mehr Jobs dadurch entstehen. Und die Antworten darauf fielen überraschend positiv aus. Das bemerkt auch der Bericht im Heise-Newsticker über den Abend, bei dem das Telefónica BASECAMP wieder bis zum letzten Stehplatz voll war. Der Moderator Lars Gaede hatte die Debatte mit seinen interessanten Fragen sofort in Schwung gebracht.

Carl Frey: Hightech schafft Jobs auch in anderen Branchen

Skepsis gegenüber technischen Entwicklungen gab es schon immer, erklärte der Wirtschaftshistoriker Carl Frey von der Universität Oxford gleich am Anfang seiner Präsentation: Schon im 16. Jahrhundert verweigerte die englische Königin Elisabeth I. das Patent für die erste Strickmaschine, weil sie um die Arbeitsplätze ihrer Untertanen fürchtete, die noch von Hand strickten.

 

 

 

 

 

 

 

 


Und 1930 warnte der weltbekannte Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes vor einer „Technologie-bedingten Arbeitslosigkeit“, die dann doch nicht eintrat, weil gleichzeitig ein Boom bei den Dienstleistungen begann. Diese Entwicklung sehe man heute beispielsweise auch in Indien, wo jeder neue Hightech-Job gleich 15 Arbeitsplätze in anderen Branchen schafft, weil die Gutverdiener aus der Computer-Industrie auch mehr Geld für Taxifahrten oder Friseurbesuche ausgeben.

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Carl Frey beim Vortrag. Foto: Henrik Andree

Das Zeitalter des ökonomischen Wachstums ist nicht vorbei“, sagte der Experte. Allerdings habe sich das Lohnwachstum seit einigen Jahren von den Anstiegen in der Produktivität abgekoppelt, die vor allem durch neue Technik erzielt werden. Daraus ergäben sich Herausforderungen für die Politik, um den gesellschaftlichen Wohlstand gerechter zu verteilen.

Doch bis sich beispielsweise Roboter auch außerhalb von ihren eng begrenzten Einsatzbereichen in Produktion oder Logistik durchsetzten, sei es noch ein weiter Weg. Bisher könnten die Maschinen noch nicht einmal ein Glas hochheben, wenn sie nicht exakt darauf programmiert sind. Denn um es von seinem Hintergrund zu unterscheiden und dann beim Zupacken nicht zu zerdrücken, dazu braucht es Intelligenz. Und die gibt es heute in einem bestimmten Maß schon aus dem Computer.

Künstliche Intelligenz: Maschinen lernen durch Beispiele

Künstliche Intelligenz entsteht durch die Trennung des gespeicherten Wissens von seiner Verarbeitung im Computer“, erklärte Prof. Dr. Susanne Biundo-Stephan, Direktorin des Instituts für künstliche Intelligenz der Universität Ulm. Die Ergebnisse der Datenverarbeitung werden dabei nicht mehr durch den Programmcode der Software vorgegeben. Neue Algorithmen finden stattdessen eigene Lösungen, indem sie Muster in großen Datenmengen anhand von Beispielen erkennen.

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Ulrich Irnich, Susanne Biundo-Stephan, Lars Gaede und Wolfgang Hildesheim. Foto: Henrik Andree

Je mehr Informationen die KI-Systeme bei diesem maschinellen Lernen verarbeiten, desto intelligenter werden sie beim Erfüllen ihrer Aufgaben. „Diese neue Art der Software veraltet nicht“, erklärte Dr. Wolfgang Hildesheim, „denn durch das Lernen wird sie immer besser“. Damit habe jetzt ein kognitives Zeitalter in der Technik-Geschichte begonnen, sagte der Director Watson Core Solutions Europe von IBM. Der Startschuss fiel vor fünf Jahren, als die künstliche Intelligenz Watson von der amerikanischen Computerfirma die beliebte Gameshow Jeopardy gegen die besten Spieler aller Zeiten gewann.

Daraus entstand bis heute ein weltweites Computersystem, das auch jeder andere Software-Entwickler für seine eigenen Lösungen nutzen kann, weil die Watson Developer Cloud seine Intelligenz über das Internet nutzbar macht. Wolfgang Hildesheims 16-jähriger Sohn lässt sich beispielsweise über einen Gratis-Account seine E-Mails vorlesen – und der Watson Oncology Advisor hilft Krankenhäusern in Thailand und Indien bei der Behandlung von Krebs, indem er regelmäßig 290 medizinische Fachzeitschriften liest sowie 12 Millionen Textseiten aus Fachbüchern über dieses Thema verarbeitet hat. Dieses Wissen steht nun für Ärzte aus allen Ländern bereit. Sie müssen Watson nur fragen und er antwortet wie der klügste Krebsexperte der Welt.

Konkurrent oder Kollege? Plakatwerbung für ARD-Themenwoche über künstliche Intelligenz. Foto: Markus Göbel
Konkurrent oder Kollege? Plakatwerbung für ARD-Themenwoche über künstliche Intelligenz. Foto: Markus Göbel

Künstliche Intelligenz demokratisiert das Expertenwissen“, sagte deshalb auch Ulrich Irnich, Director Simplification & Transformation bei Telefónica Deutschland bei future.work. In seiner Firma gehört sie längst zum Alltag, seit das Digital Brain automatisch die richtigen Ansprechpartner für alle Fragen findet. Genau wie das automatische Routing in einem Navigationssystem sucht das KI-System im Intranet selbsttätig nach passenden Kollegen und lernt kontinuierlich aus ihren Antworten, wer der beste Experte für welches Thema ist. So wird die Zusammenarbeit verbessert und es wird vor allem auch Fachwissen nutzbar, das gar nicht zu den beruflichen Aufgaben der einzelnen Mitarbeiter gehört.

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future.work: Wie die künstliche Intelligenz unsere Arbeitswelt revolutioniert. Foto: Henrik Andree

Doch die Demokratisierung geht noch weiter. „Wir haben das Herrschaftswissen abgeschafft“, sagte Ulrich Irnich. Bei Telefónica Deutschland fielen täglich 130 Milliarden Daten an, die auch statistisch verarbeitet werden. Daraus generieren sich aktuelle Auswertungen, die Mitarbeiter über das Digital Collaboration Center einsehen für berufliche Aufgaben nutzen können. Auch die Entscheidungen, die sich dadurch ergeben, dürfen sie in ihren Bereichen selbst treffen. Und das Beste ist: Die dafür nötigen Analysen erstellen Algorithmen automatisch. Die Mitarbeiter werden Growth Hunter statt Excel-Auswerter“, sagte der Director Simplification. Sie müssen ihre Zeit nicht auf das Erstellen von Tabellen verwenden, stattdessen können sie Wachstumschancen finden und damit den Umsatz steigern.

Telefónica Deutschland: Trainings für Mitarbeiter

Bei Telefónica Deutschland finden deswegen jetzt crossfunktionale Trainings statt, um jeden Mitarbeiter an die neue Techniken heranzuführen. Das Echo ist in allen Bereichen sehr positiv, sagte Irnich. Erst neulich war er in einem Callcenter in Potsdam, wo sich die Mitarbeiter beispielsweise darauf freuen, von Routine-Arbeiten wie Adressänderungen entlastet zu werden. Damit können sie sich auf qualifiziertere Aufgaben wie besonders knifflige Kundenfälle konzentrieren.

Denn auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz bedeutet nicht das Ende der Arbeit für die Menschen. „Kognitive Fähigkeiten ziehen jetzt in alle Systeme ein und daraus entstehen neue Jobs“, sagte Wolfgang Hildesheim. Ein Beispiel dafür ist die neue Companion-Technologie, an der Susanne Biundo-Stephan gerade forscht: Damit könnten sich beispielsweise Digitalkameras mit ihren Nutzern unterhalten und selbst erklären, und beim Fotografieren stellen sie sich dann genau auf seinen Kenntnisstand ein. Dafür entstehen bereits jetzt neue Berufsbilder, wie Computer-Linguisten oder KI-Trainer, in denen die Mitarbeiter schon händeringend gesucht werden.

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Ulrich Irnich, Susanne Biundo-Stephan, Lars Gaede, Wolfgang Hildesheim und Carl Frey. Foto: Henrik Andree

Deshalb forderte die Ulmer Professorin, dass die Politik endlich ihr „Bildungsversprechen“ einlöst und den Nachwuchs fit für die Digitalisierung macht. Informatik sollte dafür eigentlich schon seit Jahrzehnten ein Pflichtfach an allen Schulen sein, auch wenn nicht jeder dieses Fach auch studieren muss. Künstliche Intelligenz erleichtere schließlich sogar die Arbeit von Altenpflegern oder Kindergärtnern, die sich damit auf den Kern ihrer Aufgaben konzentrieren und mit den Menschen beschäftigen können. Letztlich solle immer noch jeder den Job ergreifen, für den er das meiste Engagement aufbringen kann.

Ich bin da ganz optimisch“, sagte auch der US-Präsident Barack Obama neulich in einem Interview mit WIRED über die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz auf den Arbeitsmarkt. „Historisch war es immer so, dass wir neue Technologien angenommen haben und daraus neue Jobs entstanden, die unseren Lebensstandard weiter verbesserten.“ Das wäre auch ein gutes Schlusswort für den Abend im Telefónica BASECAMP gewesen.

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