Europawahl 2024: Interview mit Svenja Hahn (FDP)
In wenigen Wochen steht die Wahl zum Europaparlament an. Im Vorfeld befragen wir in einer neuen Interview-Reihe ausgewählte Abgeordnete der deutschen Parteien zu ihren digitalpolitischen Erfahrungen und Zielen in Brüssel und Straßburg. Nach Andreas Schwab (CDU) folgt heute Svenja Hahn (FDP). 2019 wurde sie als Spitzenkandidatin der FDP-Nachwuchsorganisation „Junge Liberale“ und der Hamburger FDP zum Mitglied des Europaparlaments gewählt. Hahn vertritt ihre Fraktion dort unter anderem im Sonderausschuss KI und dem wichtigen Binnenmarktausschuss. Die studierte Medienwissenschaftlerin war Berichterstatterin der liberalen Fraktion für den AI-Act und kandidiert nun erneut für das Europaparlament.
Frau Hahn, was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten digitalpolitischen Vorhaben und Fortschritte der zu Ende gehenden Legislaturperiode des Europaparlaments? Woran haben Sie besonders mitgewirkt?
Die vergangene Legislaturperiode im Europäischen Parlament war digitalpolitisch wohl die weitreichendste aller Zeiten. Die Daten-Gesetze „Data Act“ und „Data Governance“ Act, die „NIS 2“-Richtlinie zur Cybersicherheit, das Wettbewerbs-Gesetz „Digital Markets Act“ und der „Digital Services Act“ als neues Grundgesetz der Plattformökonomie sind einige der sehr prominenten EU-Regulierungsvorhaben der letzten fünf Jahre.
Für mich persönlich stand über die gesamte Wahlperiode jedoch der „AI Act“ im Mittelpunkt.
An dem Gesetz habe ich als Verhandlerin direkt mitgewirkt und insgesamt über vier Jahre intensiv an der europäischen KI-Regulierung gearbeitet.
Wie gut ist die EU auf die heutigen und kommenden digitalpolitischen Herausforderungen vorbereitet, z.B. was Desinformation oder Künstliche Intelligenz betrifft?
Regulatorisch ist die EU sehr weitreichende Schritte gegangen und dabei, für meinen Geschmack, sogar häufig übers Ziel hinausgeschossen. Eine Vielzahl digitalpolitischer Herausforderungen wurde mit den neuen Digitalgesetzen aktiv adressiert. Das war richtig und notwendig.
Dabei ist es sehr wichtig, dass wir europäische Lösungen gefunden haben, um die Herausforderungen wie illegale Inhalte online, politische Werbung oder die spezifischen Chancen und Risiken von KI adäquat zu adressieren. Dadurch besteht nun ein einheitlicher Regelungsrahmen in der gesamten EU, Schlupflöcher werden minimiert, Unternehmen haben EU-weit Planungssicherheit und gleiche Bedingungen.
Alle Beiträge der Serie „Europawahl 2024“:
Teil 1 der Serie: Interview mit Andreas Schwab (CDU)
Teil 3 der Serie: Interview mit Jens Geier (SPD)
Europawahl 2024: Digitalpolitik in den Wahlprogrammen
Allerdings sind viele neue Verordnungen und Richtlinien zu bürokratisch ausgefallen und werden in der Umsetzung sehr kostspielig. Hier hätte ich mir in zahlreichen Bereichen mehr Praxisnähe gewünscht. Der Schutz der Bürgerrechte geht mir, insbesondere beim AI Act, nicht weit genug. Die finale Version des Gesetzes räumt viel zu weitgehende Rechte für den Staat gegenüber den Bürgern ein, etwa was biometrische Überwachung des öffentlichen Raums angeht.
Welches digitalpolitische Ziel oder Vorhaben wäre Ihnen persönlich für die kommende Legislaturperiode am wichtigsten und warum?
In den vergangenen fünf Jahren haben wir seitens der EU-Kommission einen Wettlauf gesehen, welcher Kommissar die meisten Gesetze vorschlägt. Häufig hat die Kommission noch nicht einmal Folgenabschätzungen durchgeführt. Die daraus entstehende
Bürokratie, Berichtspflichten, Compliance-Kosten sind höchst gefährlich für die europäische Wirtschaft – von kleinen bis großen Unternehmen. Hier muss es einen radikalen Kurswechsel der nächsten Kommission geben.
Es sollte in der nächsten Wahlperiode auch digitalpolitisch nicht um noch mehr neue, sondern um die Umsetzung der zahlreichen jüngst verabschiedeten Gesetze gehen.
Es gibt dabei mehr als genug zu tun, um etwa im Rahmen von Guidelines der Kommission und harmonisierten Normen, Klarheit in die oft unverständlichen und unklaren Rechtstexte zu bringen. Nur so können die großen digitalpolitischen Projekte der vergangenen Jahre die positive Wirkung entfalten, die jetzt nötig ist.
In einigen Fällen, etwa beim Urheberrecht in Zeiten von KI, werden wir regulatorische Updates bestehenden Rechts benötigen. Oberstes Ziel unserer Digitalpolitik muss dabei sein, dass Europa im digitalen Zeitalter wettbewerbsfähiger wird und wir unsere Demokratie sowie die Grundrechte unserer Bürgerinnen und Bürger effektiv schützen – online wie offline.
Zum Abschluss: Wie und in welcher Intensität nutzen Sie Social Media im aktuellen Wahlkampf bzw. zur politischen Kommunikation?
Social Media ist für mich eines der wichtigsten Werkzeuge der Politik – 365 Tage im Jahr und nicht nur im Wahlkampf. Die verschiedenen Kanäle sind für mich von großer Bedeutung, um mit ganz unterschiedlichen Wählergruppen in direktem Kontakt zu bleiben und mich auch selbst darüber auf dem Laufenden zu halten, was andere politische Akteure umtreibt. Andererseits versuche ich über meine eigenen Social Media-Kanäle, die Bürgerinnen und Bürger sehr nah an meiner politischen Arbeit teilhaben zu lassen.
Mehr Informationen:
Teil 1 der Serie: Interview mit Andreas Schwab (CDU)
Europawahl: Wofür stehen die Spitzenkandidat:innen?
Europawahl 2024: Digitalpolitik in den Wahlprogrammen