Europa Digital: Was der Wechsel der EU-Ratspräsidentschaft bedeutet

Foto: Pixabay User geralt | CC0 1.0 | Ausschnitt bearbeitet
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Veröffentlicht am 09.07.2021

Zum 1. Juli hat Slowenien die EU-Ratspräsidentschaft von Portugal übernommen. Der Wechsel zur Jahresmitte bietet die Gelegenheit, einen Blick auf die europäische Digitalpolitik des vergangenen halben Jahres und der kommenden Monate zu werfen.

Als mittlerer Teil einer Trio-Präsidentschaft übernahm Portugal mit dem Beginn des Jahres 2021 den Vorsitz im Rat der Europäischen Union von Deutschland. Die Portugiesen traten dabei mit dem erklärten Ziel an, der Digitalisierung innerhalb des Achtzehnmonateprogramms des Rates neben der Klimafrage und der Überwindung der COVID-19-Pandemie eine besondere Priorität einzuräumen. Unter dem Motto „Zeit zu liefern: ein gerechter, grüner und digitaler Aufschwung“ ging es der portugiesischen Regierung unter Premierminister António Costa vor allem darum, ein zuverlässiges Konzept für die Datenökonomie zu etablieren und für einen EU-weiten Rahmen zu Künstlicher Intelligenz (KI) zu werben, der die Transparenz von und das Vertrauen in KI-Anwendungen erhöhen soll.

Portugals Bilanz

Um diese Ziele zu erreichen, konzentrierte sich der Ratsvorsitz laut Hugo Santos Mendes, Portugals stellvertretendem Minister für Kommunikationsnetze, zum einen auf europäische Gesetzesvorhaben wie den von der EU-Kommission eingebrachten Data Governance Act, der den Datenaustausch zwischen Unternehmen, Privatpersonen und dem öffentlichen Sektor vereinfachen soll. Zum anderen nutzte Portugal das Instrument der Ratserklärungen, um die Positionen der EU-Mitgliedstaaten zu mehreren digitalpolitischen Vorhaben zu bündeln. So wurden am Digital Day der EU im März 2021 gleich drei gemeinsame Erklärungen zur Digitalisierung in Europa unterzeichnet:

  • Die „Declaration on European Data Gateways as a key element of the EU’s Digital Decade“ zielt darauf ab, die Europäische Union zu einem globalen, sicheren und agilen Datenzentrum zu machen. Mit der Erklärung verpflichten sich 25 EU-Staaten plus Norwegen und Island dazu, die Konnektivität zwischen Europa und seinen Partnern in Afrika, Asien, der europäischen Nachbarschaft und Lateinamerika zu verbessern. Der Schwerpunkt liegt dabei auf terrestrischen und unterseeischen Kabeln, Satelliten und Netzverbindungen für einen verstärkten und sicheren Datenaustausch. Das soll auch dazu beitragen, die digitale Souveränität der EU zu stärken.
  • Ein noch weitreichenderes Vorhaben verfolgt die „Declaration on A Green and Digital Transformation of the EU“. So soll Europa eine weltweit führende Rolle beim ökologischen und digitalen Wandel spielen, indem unter anderem Anreize für den Einsatz umweltfreundlicher Technologien geschaffen werden. Zudem möchten die beteiligten europäischen Staaten stärker zusammenarbeiten, um die Entwicklung, Förderung und Einführung von „Schlüssellösungen für Klimaneutralität“ in vorrangigen Wirtschaftszweigen wie Energie, Verkehr, Fertigung, Land- und Nahrungsmittelwirtschaft sowie Bauwesen gemeinsam voranzubringen. Dabei steht eine große Bandbreite an Technologien und Maßnahmen im Fokus: 5G und 6G, Glasfasertechnik, Hochleistungsrechner, Internet der Dinge, umweltfreundliche Cloud-Dienste, Künstliche Intelligenz, Blockchain-Technik und nachhaltige Hardware, mehr Energieeffizienz, aber auch die umweltgerechte Vergabe öffentlicher Aufträge und die Unterstützung von Start-ups sowie kleiner und mittlerer Unternehmen, die sich auf umweltfreundliche Technik spezialisiert haben.
  • Die Unterstützung von Start-ups ist zudem die Absicht der dritten gemeinsamen Erklärung „EU Startup Nations Standard of Excellence“, mit der das Umfeld für neugegründete Start-up- und expandierende Scale-up-Unternehmen verbessertwerden soll – etwa durch eine europaweite Angleichung der Bedingungen für solche Unternehmen oder durch die Etablierung eines „Startup Nations’ Hub“ als gemeinsame Plattform für Beispiele guter Praxis und EU-weite Informationen zu dem Thema.

Von der E-Privacy-Verordnung bis zum digitalen Impfzertifikat

Neben diesen Erklärungen gab es noch viele weitere Initiativen und Entscheidungen zu digitalpolitischen Themen, die im Rahmen der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft und oft gemeinsam mit der EU-Kommission erfolgt sind. Zum Beispiel:

Auf dem Weg ins digitale Jahrzehnt?

All diesen Ergebnissen gingen viele bi- und multilaterale Verhandlungen Portugals mit den anderen EU-Staaten voraus, weshalb der portugiesische Minister für Wirtschaft und digitalen Wandel, Pedro Siza Vieira, besonders zu den drei Declarations am Digital Day im März nicht ohne Stolz erklärte:

„Der portugiesische Ratsvorsitz möchte eine entscheidende Rolle als Beschleuniger des digitalen Wandels spielen. Wir glauben, dass die heute von den Mitgliedstaaten eingegangenen Verpflichtungen Europa dabei helfen werden, eine weltweite Führungsrolle zu übernehmen, wie es in der Strategie für die digitale Dekade vorgesehen ist.“

Ob die EU-Mitgliedstaaten den vielen Absichtserklärungen aber auch Taten in Form von Kooperationen, Investitionen und eigenen Gesetzen folgen lassen, werden erst die nächsten Jahre der „Digitalen Dekade“ bis 2030 zeigen.

Die Agenda Sloweniens

Nach diesem umfangreichen und vielseitigen Programm im letzten halben Jahr überrascht es nicht, dass die portugiesische Seite auch einen Rat an ihre slowenischen Nachfolger für den EU-Ratsvorsitz hat. So plädiert der erwähnte Hugo Santos Mendes dafür, dass Slowenien seine Aufmerksamkeit auf die Etablierung und Förderung digitaler Rechte, digitaler Bildung, digitaler Demokratie und digitaler Verwaltung richten, aber auch die Kommunikationsnetzwerke und Datensysteme in Europa stärken sollte. Im Hinblick auf die europäische Gesetzgebung seien dafür besonders der Artificial Intelligence Act, der Data Governance Act (DGA), der Digital Services Act (DSA), der Digital Markets Act (DMA) sowie die E-Privacy-Verordnung relevant.

Inwieweit die neue EU-Ratspräsidentschaft unter dem umstrittenen Premier Janez Janša diesen Rat befolgen wird, ist bisher zwar nicht absehbar. Allerdings scheint Slowenien zum Teil andere Prioritäten setzen zu wollen: Im Fokus ihrer digitalpolitischen Aktivitäten soll insbesondere das Thema Cybersicherheit stehen – mit der Etablierung weiterer Sicherheitsstandards, Meldeverfahren und Anforderungen für Informationsaustausch im Rahmen der überarbeiteten NIS-Richtlinie (NIS 2). Und auch der vor kurzem veröffentlichte Plan der EU-Kommission für eine Gemeinsame Cyber-Einheit kann mit der Unterstützung durch den neuen Ratsvorsitz rechnen.

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Weitere zentrale Themen Sloweniens werden die Arbeit am Artificial Intelligence Act sein, dessen Entwurf seit April 2021 vorliegt und der nun das europäische Gesetzgebungsverfahren durchlaufen muss, sowie die Fortführung der innereuropäischen Verhandlungen zum Digital Services Act und zum Digital Markets Act.

Da das ambitionierte Gesetzespaket mit den beiden Verordnungen zur Regulierung digitaler Dienste und digitaler Märkte im Jahr 2022 verabschiedet werden soll und zumindest zum DSA bereits erste Einschätzungen des Europaparlaments vorliegen, ist es das Ziel der neuen Ratspräsidentschaft, bis November 2021 eine gemeinsame Position der EU-Staaten zu den Änderungsvorschlägen des Parlaments zu erreichen. Sollte dabei keine Übereinkunft zwischen dem EU-Rat und dem Parlament getroffen werden, kommt es zum Trilog zwischen Kommission, Rat und Parlament unter Leitung eines Vermittlungsausschusses. Doch dies wird dann schon nicht mehr unter dem Vorsitz Sloweniens stattfinden, denn pünktlich am 1. Januar übernimmt Frankreich – und darf seine eigenen digitalpolitischen Akzente in Europa setzen.

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